John Green: "Ich denke, ich bin immer noch genau an den gleichen Fragen interessiert wie im ersten Roman. Ich will wissen, warum wir andere Leute falsch einschätzen, warum wir uns ein Bild von anderen machen und vereinfachen. Denn, wir sind in unserem Körper und andere Leute sind in ihren Körpern und wir können nie völlig verstehen, dass da Leute sind, die ganz anders sind. Ich glaube, dieses Thema kann eine ganze Karriere ausfüllen."
Buchausschnitt: Am Morgen nachdem das anerkannte Wunderkind Colin Singleton seinen Highschool-Abschluss gemacht hatte und ihn zum neunzehnten Mal in seinem Leben ein Mädchen namens Katherine sitzen ließ, legte er sich in die Badewanne. Colin hatte schon immer lieber gebadet als geduscht. Einer seiner Grundsätze im Leben lautete: Tu nichts im Stehen, was du auch im Liegen erledigen kannst.
Viel zu groß für die Badewanne, da lang und schlaksig, versinkt der 17-jährige Colin in tiefem Kummer und Selbstmitleid. Eine normale Sache, könnte man denken, doch für John Greens Hauptfigur existiert das Wort Normalität nicht. Colin ist der hochbegabte von seinen Mitschülern ausgegrenzte Freak, der schon mit zwei Jahren lesen kann und mit vier Archimedes studiert, um seitdem auf sein Heureka-Erlebnis zu hoffen.
Colin beherrscht elf Sprachen, liest 400 Seiten am Tag, ist motorisch ungeschickt und leidet ganz menschlich unter Allergien. Mit acht Jahren beginnt sein Liebesleben voller Höhen und Tiefen. Das erste Mädchen, das ihn küsst, heißt Katherine. Doch nach nur zwei Minuten ist diese Beziehung auch schon wieder beendet, sie macht Schluss. Pummlige, begabte, rothaarige und wankelmütige Katherines geben Colin den Laufpass, bis die erste wahre Liebe die schicksalhafte Kette der Katherine - Episoden durchbricht.
"Ich denke, viel lesen und erkennen, was Liebe bedeutet, das sind extrem unterschiedliche Fähigkeiten, zum Beispiel als ich an der Highschool war, war ich gut im Lesen, ich habe viele Bücher gelesen. Aber ich wurde oft von Mädchen in die Tonne getreten, abgewiesen. Ich glaube, dieses Element im Leben von Colin, diese intellektuelle Fähigkeit und die Unfähigkeit, dass Leute ihn nicht mögen - Jungen wie Mädchen - das kommt von mir, vielleicht."
Ohne das Internet, behauptet er, hätte er jedoch seinen Roman, nicht schreiben können. Greens Hauptfigur jedenfalls stopft sich im Google-Zeitalter mit relevantem wie unnützem Wissen voll und stößt doch an seine Grenzen.
Er dachte: Tampons haben Fäden? Warum? Von all den Geheimnissen des Universums - Gott, der Sinn des Lebens usw. - wusste er von Tampons am allerwenigsten. Tampons waren für Colin so etwas Ähnliches wie Grizzlybären: Er hatte von ihrer Existenz gehört, aber er war noch keinem von ihnen in freier Wildbahn begegnet und hatte auch kein großes Verlangen danach.
So tragikomisch Colins Entdeckungen im wahren Leben auch sind, als höchst nerviges Wunderkind sorgt er sich ständig um seine von Erfolg gekrönte Zukunft. Immer plagt ihn die Angst, er habe seinen Zenit überschritten und könne nun kein Genie mehr werden.
"Da sind ein paar Leute, die können elf Sprachen sprechen, wenn sie im Gymnasium sind, aber sehr sehr wenig. Es ist ganz selten, dass sie Erfolg im erwachsenen Leben haben, denn ihr Talent ist es, mit Informationen zu arbeiten, wie Colin. Colin ist ganz sicher eine Vergrößerung des supersmarten Überfliegers, der süchtig danach ist ein Genie zu werden und nicht nur jemand, der viele Informationen abrufen kann. Er versteht aber, dass sich an vieles erinnern, nicht heißt, dass man effektiv sein kann als Erwachsener in der modernen Welt. Colin ist klar, dass er ein großes Problem haben wird, wenn er erwachsen ist. Und als Thema ist das eine Quelle für den Humor des Buches und die Tragik."
Um Colin aus seinem seelischen Tief zu befreien, kündigt sein einziger Freund Hassan, einen Ortswechsel an. Hassan, das lebenskluge, libanesische Schlitzohr, zwingt Colin, der sich immer wieder in Rückblenden an kränkende Liebesmomente erinnert, sich mit den Tücken der Wirklichkeit auseinanderzusetzen.
"Was, wenn es das jetzt war? Was, wenn ich zehn Jahre in einem beschippten Großraumbüro sitze, Zahlen in den Computer tippe und Baseballstatistiken auswendig lerne.... ich werde nie etwas Besonderes leisten, sondern bin einfach nur eine totale Niete?" Hassan setzte sich wieder auf...: "Siehst du, genau deshalb solltest du an Gott glauben. Ich rechne nicht mal mit einem Platz in einem Großraumbüro, und mir geht's so gut wie einem Schwein in der Jauchegrube."
Startet die Reise von Colin und Hassan in Chicago, so ist sie bereits im kleinen Ort Gutshot, Tennessee beendet. Hier lernen beide die junge Lindsey kennen, die auf den ersten Blick ziemlich oberflächlich wirkt. John Green singt ein Hohelied auf Wissen und Bildung, führt den Leser aber auch Augen zwinkernd aufs Glatteis. Colin will endlich sein Heureka - Erlebnis spüren und seine vergangenen Katherine- Erfahrungen in etwas Originelles umwandeln. Eine von ihm entwickelte mathematische Formel soll voraussagen, wer von zwei Leuten die Beziehung beendet und wann.
"Als ich an der Highschool war, hatte ich die Idee, dass man romantische Beziehungen mit Hilfe einer komplizierten mathematischen Formel analysieren könnte. Denn wenn ich mir Beziehungen zwischen Bekannten angesehen habe, hatte ich immer das Gefühl, ich wüsste, welches Paar sich trennen würde. Ich bin furchtbar schlecht in Mathematik, aber diese Idee hatte ich jahrelang in meinem Kopf. Als ich dann diesen Roman begonnen habe, habe ich Colin diese Idee geschenkt, aber ich war immer noch schlecht in Mathe. Mein Freund, der Mathematiker, hat mir gezeigt, wie so eine mathematische Idee konzipiert werden kann. Es gibt natürlich keine Formel für die Liebe."
Hassan und Colin nehmen das Angebot an, in Gutshot bei Lindsey und ihrer leicht schrägen Mutter Hollis, der Fabrikbesitzerin des Ortes, zu wohnen. Und sie akzeptieren den ersten Job ihres Lebens, für Hollis Interviews mit langjährigen Mitarbeitern zu führen. Die Alltagsgeschichten der kleinen Leute können Colin nicht von seinem Liebestheorem ablenken. Als Lindsey sich in seine abstrusen Ideen vertieft, bemerkt Colin erst nach langen intensiven Gesprächen die unterschiedlichen Masken, die das feinfühlige, ziemlich clevere Mädchen zum Schein trägt und verliebt sich in sie.
"Lindsey und Colin formen das Leben des anderen in wirklich ernsthafter Weise. Sie ist eine Person, die denkt, dass sie anders ist als die anderen. Aber sie zeigt Colin, dass man trotzdem einen normalen Kontakt zu anderen Leuten haben kann, auch wenn man das Gefühl hat fremd zu sein. Colin zeigt Lindsey, das es in Ordnung ist anders zu sein, klüger als die anderen, mit mehr Talenten. Sie hatte dies alles weggedrückt und Colin befreit Lindsey."
Ähnlich wie in "Eine wie Alaska" baut der Autor in seinem neuen Roman ein spannungsvolles Beziehungsgefüge zwischen seinen Personen auf und durchlebt mit ihnen immer seine eigene Biographie im Hinterkopf lebenswichtige Entscheidungsprozesse. In manchen Szenen überwiegt jedoch das Gefühl, dem Leser muss alles einem Exempel gleich offenbart werden, damit die Botschaft nicht verpufft. Dass man davon nicht irritiert wird, stattdessen dem Erzählten nahtlos folgt, liegt vor allem an der maßgefertigt sitzenden Sprache. Sie trägt über jede noch so konstruierte Passage mühelos hinweg. Genaueste Beobachtungen, komische wie tiefsinnige Dialoge und das Vermögen, kleinste atmosphärische Veränderungen in Worte zu kleiden, all das zeichnet auch diesen zweiten Roman von John Green aus.
John Green: "Die erste Liebe ( nach 19 vergeblichen Versuchen)", Carl Hanser Verlag
Buchausschnitt: Am Morgen nachdem das anerkannte Wunderkind Colin Singleton seinen Highschool-Abschluss gemacht hatte und ihn zum neunzehnten Mal in seinem Leben ein Mädchen namens Katherine sitzen ließ, legte er sich in die Badewanne. Colin hatte schon immer lieber gebadet als geduscht. Einer seiner Grundsätze im Leben lautete: Tu nichts im Stehen, was du auch im Liegen erledigen kannst.
Viel zu groß für die Badewanne, da lang und schlaksig, versinkt der 17-jährige Colin in tiefem Kummer und Selbstmitleid. Eine normale Sache, könnte man denken, doch für John Greens Hauptfigur existiert das Wort Normalität nicht. Colin ist der hochbegabte von seinen Mitschülern ausgegrenzte Freak, der schon mit zwei Jahren lesen kann und mit vier Archimedes studiert, um seitdem auf sein Heureka-Erlebnis zu hoffen.
Colin beherrscht elf Sprachen, liest 400 Seiten am Tag, ist motorisch ungeschickt und leidet ganz menschlich unter Allergien. Mit acht Jahren beginnt sein Liebesleben voller Höhen und Tiefen. Das erste Mädchen, das ihn küsst, heißt Katherine. Doch nach nur zwei Minuten ist diese Beziehung auch schon wieder beendet, sie macht Schluss. Pummlige, begabte, rothaarige und wankelmütige Katherines geben Colin den Laufpass, bis die erste wahre Liebe die schicksalhafte Kette der Katherine - Episoden durchbricht.
"Ich denke, viel lesen und erkennen, was Liebe bedeutet, das sind extrem unterschiedliche Fähigkeiten, zum Beispiel als ich an der Highschool war, war ich gut im Lesen, ich habe viele Bücher gelesen. Aber ich wurde oft von Mädchen in die Tonne getreten, abgewiesen. Ich glaube, dieses Element im Leben von Colin, diese intellektuelle Fähigkeit und die Unfähigkeit, dass Leute ihn nicht mögen - Jungen wie Mädchen - das kommt von mir, vielleicht."
Ohne das Internet, behauptet er, hätte er jedoch seinen Roman, nicht schreiben können. Greens Hauptfigur jedenfalls stopft sich im Google-Zeitalter mit relevantem wie unnützem Wissen voll und stößt doch an seine Grenzen.
Er dachte: Tampons haben Fäden? Warum? Von all den Geheimnissen des Universums - Gott, der Sinn des Lebens usw. - wusste er von Tampons am allerwenigsten. Tampons waren für Colin so etwas Ähnliches wie Grizzlybären: Er hatte von ihrer Existenz gehört, aber er war noch keinem von ihnen in freier Wildbahn begegnet und hatte auch kein großes Verlangen danach.
So tragikomisch Colins Entdeckungen im wahren Leben auch sind, als höchst nerviges Wunderkind sorgt er sich ständig um seine von Erfolg gekrönte Zukunft. Immer plagt ihn die Angst, er habe seinen Zenit überschritten und könne nun kein Genie mehr werden.
"Da sind ein paar Leute, die können elf Sprachen sprechen, wenn sie im Gymnasium sind, aber sehr sehr wenig. Es ist ganz selten, dass sie Erfolg im erwachsenen Leben haben, denn ihr Talent ist es, mit Informationen zu arbeiten, wie Colin. Colin ist ganz sicher eine Vergrößerung des supersmarten Überfliegers, der süchtig danach ist ein Genie zu werden und nicht nur jemand, der viele Informationen abrufen kann. Er versteht aber, dass sich an vieles erinnern, nicht heißt, dass man effektiv sein kann als Erwachsener in der modernen Welt. Colin ist klar, dass er ein großes Problem haben wird, wenn er erwachsen ist. Und als Thema ist das eine Quelle für den Humor des Buches und die Tragik."
Um Colin aus seinem seelischen Tief zu befreien, kündigt sein einziger Freund Hassan, einen Ortswechsel an. Hassan, das lebenskluge, libanesische Schlitzohr, zwingt Colin, der sich immer wieder in Rückblenden an kränkende Liebesmomente erinnert, sich mit den Tücken der Wirklichkeit auseinanderzusetzen.
"Was, wenn es das jetzt war? Was, wenn ich zehn Jahre in einem beschippten Großraumbüro sitze, Zahlen in den Computer tippe und Baseballstatistiken auswendig lerne.... ich werde nie etwas Besonderes leisten, sondern bin einfach nur eine totale Niete?" Hassan setzte sich wieder auf...: "Siehst du, genau deshalb solltest du an Gott glauben. Ich rechne nicht mal mit einem Platz in einem Großraumbüro, und mir geht's so gut wie einem Schwein in der Jauchegrube."
Startet die Reise von Colin und Hassan in Chicago, so ist sie bereits im kleinen Ort Gutshot, Tennessee beendet. Hier lernen beide die junge Lindsey kennen, die auf den ersten Blick ziemlich oberflächlich wirkt. John Green singt ein Hohelied auf Wissen und Bildung, führt den Leser aber auch Augen zwinkernd aufs Glatteis. Colin will endlich sein Heureka - Erlebnis spüren und seine vergangenen Katherine- Erfahrungen in etwas Originelles umwandeln. Eine von ihm entwickelte mathematische Formel soll voraussagen, wer von zwei Leuten die Beziehung beendet und wann.
"Als ich an der Highschool war, hatte ich die Idee, dass man romantische Beziehungen mit Hilfe einer komplizierten mathematischen Formel analysieren könnte. Denn wenn ich mir Beziehungen zwischen Bekannten angesehen habe, hatte ich immer das Gefühl, ich wüsste, welches Paar sich trennen würde. Ich bin furchtbar schlecht in Mathematik, aber diese Idee hatte ich jahrelang in meinem Kopf. Als ich dann diesen Roman begonnen habe, habe ich Colin diese Idee geschenkt, aber ich war immer noch schlecht in Mathe. Mein Freund, der Mathematiker, hat mir gezeigt, wie so eine mathematische Idee konzipiert werden kann. Es gibt natürlich keine Formel für die Liebe."
Hassan und Colin nehmen das Angebot an, in Gutshot bei Lindsey und ihrer leicht schrägen Mutter Hollis, der Fabrikbesitzerin des Ortes, zu wohnen. Und sie akzeptieren den ersten Job ihres Lebens, für Hollis Interviews mit langjährigen Mitarbeitern zu führen. Die Alltagsgeschichten der kleinen Leute können Colin nicht von seinem Liebestheorem ablenken. Als Lindsey sich in seine abstrusen Ideen vertieft, bemerkt Colin erst nach langen intensiven Gesprächen die unterschiedlichen Masken, die das feinfühlige, ziemlich clevere Mädchen zum Schein trägt und verliebt sich in sie.
"Lindsey und Colin formen das Leben des anderen in wirklich ernsthafter Weise. Sie ist eine Person, die denkt, dass sie anders ist als die anderen. Aber sie zeigt Colin, dass man trotzdem einen normalen Kontakt zu anderen Leuten haben kann, auch wenn man das Gefühl hat fremd zu sein. Colin zeigt Lindsey, das es in Ordnung ist anders zu sein, klüger als die anderen, mit mehr Talenten. Sie hatte dies alles weggedrückt und Colin befreit Lindsey."
Ähnlich wie in "Eine wie Alaska" baut der Autor in seinem neuen Roman ein spannungsvolles Beziehungsgefüge zwischen seinen Personen auf und durchlebt mit ihnen immer seine eigene Biographie im Hinterkopf lebenswichtige Entscheidungsprozesse. In manchen Szenen überwiegt jedoch das Gefühl, dem Leser muss alles einem Exempel gleich offenbart werden, damit die Botschaft nicht verpufft. Dass man davon nicht irritiert wird, stattdessen dem Erzählten nahtlos folgt, liegt vor allem an der maßgefertigt sitzenden Sprache. Sie trägt über jede noch so konstruierte Passage mühelos hinweg. Genaueste Beobachtungen, komische wie tiefsinnige Dialoge und das Vermögen, kleinste atmosphärische Veränderungen in Worte zu kleiden, all das zeichnet auch diesen zweiten Roman von John Green aus.
John Green: "Die erste Liebe ( nach 19 vergeblichen Versuchen)", Carl Hanser Verlag