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Ein hochverehrter Patriot

Jedes Kind kennt in Italien seinen Namen: Alessandro Manzoni. Der 1785 in Mailand geborene Schriftsteller hat den berühmtesten Roman der italienischen Literatur geschrieben: "Die Verlobten". Sein Buch wurde zum Symbol der kulturellen Einheit des politisch zerrissenen Italiens.

Von Ruth Jung | 07.03.2010
    Schriftstellern und besonders Dichtern pflegt es an Eitelkeit nicht zu fehlen. Hier aber begegnete mir eine Erscheinung, von der ich gestehe, sie in ähnlicher Art noch niemals gefunden zu haben; ein fast empfindliches Zucken um die Mundwinkel belehrte mich, welch unerwünschten Gegenstand des Gesprächs ich gewählt hatte,

    … notierte der Jurist und Dante-Forscher Karl Witte 1831 über seinen Besuch im Hause des Dichters Alessandro Manzoni. "Unerwünschter Gegenstand des Gesprächs" war der Erfolgsroman "Promessi Sposi", "Die Verlobten". Monatelang hatte sich Witte um eine Begegnung mit dem berühmten Autor bemüht, der als bescheiden und diskret galt. Eine fast krankhafte Menschenscheu und tiefe Religiosität kennzeichneten das Wesen des am
    7. März 1785 in Mailand geborenen Dichters. Er war das einzige Kind von Giulia Beccaria, Tochter eines berühmten Rechtsgelehrten, und Don Pietro Manzoni.

    Nur wenige Jahre nach seiner Geburt verlangte die selbstbewusste, gebildete Mutter die Trennung von dem zur Frömmelei neigenden, viel älteren adeligen Ehemann. In Paris führte sie das Leben einer Dame der Gesellschaft. Alessandro wurde in einem Klosterinternat in der Lombardei ausgebildet.

    1805 zog der 20-Jährige zur Mutter nach Paris, wo er in die Kreise namhafter liberaler Denker und Schriftsteller eingeführt wurde.

    Ihr beklagt Euch über das Ungewisse der Geschichte Frankreichs und über die Willkür Eurer modernen Historiografen,

    … schreibt Alessandro Manzoni im November 1821 an den Freund und Literaten Claude Fauriel.

    Doch das bedeutet nichts im Vergleich zu manchen Zeitabschnitten unserer Geschichte, zur Epoche der Langobarden zum Beispiel. Was können wir schon über uns und den Zustand der ursprünglichen Bevölkerung Italiens aussagen.

    Manzonis Lebensthema ist die Geschichte. In theoretischen Abhandlungen beschäftigt er sich mit dem Verhältnis der historischen Wahrheit zur erzählten Geschichte.

    Seit dem Wiener Kongress 1815 ist Italien zum Spielball der Restauration geworden. In der Lombardei und im Veneto herrschen die verhassten Habsburger, wiederholt kommt es zu Aufständen. 1821 erscheint Manzonis Trauerspiel "Il Conte di Carmagnola". Goethe ist begeistert, in einer Rezension lobt er Manzoni als

    … wahrhaften, klar auffassenden, innig durchdringenden, menschlich fühlenden, gemüthlichen Dichter.

    Die Ode "Il Cinque Maggio", eine Hommage an den am 5. Mai 1821 gestorbenen Napoléon Bonaparte, übertrug Goethe ins Deutsche. Seit 1810 lebte Manzoni mit Frau und wachsender Kinderschar wieder in Mailand. Von der zunehmenden Repression gegen die liberale Opposition war auch Manzonis Umfeld betroffen.

    In drei Bänden erschien von 1825 bis 1827 jener Roman, der den Weltruhm des Italieners begründete: "I promessi sposi", "Die Verlobten". Raffiniert verknüpfte Manzoni Geschichte und Fiktion. Er gibt vor, eine Chronik aus dem 17. Jahrhundert zur Zeit der spanischen Besatzung nachzuerzählen, in Wahrheit aber ist diese Chronik Fiktion und der Roman ein kluges Spiel mit Historiografie und Erfindung.

    Es gibt schließlich doch noch eine Gerechtigkeit auf der Welt,

    … hofft Renzo, Protagonist der Geschichte einer durch Tyrannenmacht verhinderten Eheschließung. In der Sprache Dantes, dem Toskanischen, erzählt Manzoni vom Leben kleiner Leute, die in der Historiografie keine Stimme haben. Die Hauptfiguren, Renzo und Lucia, Bauernkinder aus der Lombardei, müssen vor repressiver feudaler Tyrannei fliehen. Doch gottesfürchtig und gutherzig siegen sie am Ende über Willkür und Unterdrückung. Leser in ganz Italien waren begeistert von den braven Volkshelden. Anders Antonio Gramsci, Begründer der Kommunistischen Partei Italiens:

    Die kleinen Leute haben für Manzoni kein "inneres Leben", sie haben keine moralische Persönlichkeit, sie sind bloße "Lebewesen",

    … schreibt Gramsci über die "Volkskultur" Manzonis.

    Mehr und mehr zog sich der allem Revolutionärem abgeneigte Dichter ins Schweigen und in eine religiöse Neurose zurück. Alessandro Manzoni starb am 22. Mai 1873 in Mailand. Giuseppe Verdi widmete dem hochverehrten Patrioten seine Messa da Requiem.