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Ein holländisches Schloss für den deutschen Kaiser

Als Kaiser Wilhelm II. im November 1918 ins niederländische Exil ging, bewohnte er zunächst das wehrhafte Schloss Amerongen in der Provinz Utrecht. 1919 kaufte er das benachbarte Haus Doorn, das er nach umfangreichen Umbauten im Mai 1920 mit Kaiserin Auguste Viktoria bezog.

Von Katrin Kühne | 22.01.2012
    "Wir sind in Haus Doorn im Norden der Provinz Utrecht. Die Ursprünge des kleinen Schlosses gehen bis ins Mittelalter zurück, als es im Besitz des Bischofs von Utrecht war. Erst im 17. Jahrhundert wurde es zu einer privaten Residenz umgestaltet, und als Kaiser Wilhelm nach Holland kam, kaufte er den gesamten Besitz mit dem Park und lebte hier noch 20 Jahre bis zu seinem Tod."

    Wendy Landewé ist die Konservatorin des Schlosses, das ein Reichsmuseum der Niederlande ist. Der Eingang des zweiflügeligen Backsteingebäudes liegt heute im Untergeschoss, wo sich noch die original eingerichtete Küche befindet. Mit raschen Schritten bringt mich die Museumsfrau die Stufen hinauf zur Beletage in das Herz - und Prunkstück des Hauses, den 60 Quadratmeter großen Speisesaal.
    Dort grüßen den Besucher zweimal Kaiser Wilhelm mit Spitzbart und in Uniform sowie Kaiserin Auguste Viktoria von den Wänden herab. Wendy Landewé führt mich zu einer alarmgesicherten Glasvitrine.

    " Es gibt ein paar exquisite Stücke hier im Salon wie dieses Silberschiff. Es ist das Geschenk der Deutschen Bundesstaaten und der Freien Städte des Kaiserreiches an den Herrscher anlässlich seines 25-jährigen Thronjubiläums. Er war begeistert von dem Wikingerschiff. In Berlin oder Potsdam war es früher Tradition, imposante Silber-Tischdekorationen bei den Diners zu haben. Wenn auch die Räume hier nicht so groß sind, so gibt es doch etwas von der Atmosphäre wieder."

    Das Wikingerschiff symbolisiert das Staatsschiff als Allegorie des Kaiserreiches. Den Kopf des nordischen Fabeltiers am Heck schmückt die brillanten- und perlenbesetzte Herrscherkrone. Das Schiff selber liegt in einem Lapislazuli-Block, umspielt von silbernen Wellen, die es zu durchpflügen scheint.

    " Bei der großen Restaurierung von Haus Doorn 1991 haben sie einen Fehler gemacht. Sie haben die Flagge des Deutschen Kaiserreichs auf dem Mast umgedreht, sodass sie wie die holländische aussah. Erst als wir vor einiger Zeit das Schiff in die Sicherheitsvitrine heben wollten, haben wir das entdeckt und korrigiert."

    Dazu wurden sechs starke Männer benötigt, erzählt die Konservatorin, so schwer ist der 1,20 Meter hohe Tafelaufsatz. Erst 1927 ist dem ehemaligen Kaiser das 1913 in Auftrag gegebene Prunkstück im Exil überreicht worden. Da konnte der nur noch wehmütig träumen von seinem untergegangenen Deutschen Reich. Solange hatten Weltkrieg und Wirtschaftskrise die Fertigstellung verhindert.

    Wie für ein Galadiner ist die große Tafel in der Mitte des Saals mit Damast, Porzellan, Gläsern und silbernem Besteck der Hohenzollern eingedeckt. Über allem schwebt ein elektrifizierter, goldgefasster Empire-Kristalllüster. Es scheint, als hätte Kaiser Wilhelm gerade Besuch von der Familie und man wäre nur kurz hinausgegangen in den Garten. Vielleicht für ein Familienfoto? 1938, anlässlich der Hochzeitsfeier von Prinz Louis Ferdinand und Kira, Großfürstin von Russland? Der Lieblingsenkel hatte zwar schon in Potsdam geheiratet. Aber dahin durfte der abgedankte Großvater nicht reisen.

    Auf der Tafel besticht vor allem das Geschirr mit zierlichem Rocaille-Rand von der Königlich-Preußischen Porzellan-Manufaktur Berlin.

    "Neuosier ist das - und die Farbe ist eine rostige orangenartige braune Farbe."

    Wendy Landewé ist unbewusst ins Deutsche übergewechselt, als sie mir das Service im Stil des sogenannten "Dritten Rokoko" erklärt und der zarte Klang einer der napoleonischen Pendule-Uhren uns innehalten lässt.

    Ausgestellt ist auch das kaiserliche Silberbesteck mit dem Akanthus-Dekor der englischen Verwandtschaft. Wilhelms Mutter war die Princess Royal Victoria, die älteste Tochter von Queen Victoria.

    Da der linke Arm des Kaisers 20 Zentimeter kürzer und von Geburt an nur bedingt zu benutzen war, war für Wilhelm das Essen mit normalem Besteck nicht möglich.

    "Und da hatte seine Mutter ein sehr spezielles Gerät für ihn entwickelt, nämlich die Kaisergabel. Und das ist eine Gabel, die nicht wie eine normale Gabel vier Enden hat, aber drei, und eines ist sehr breit, damit man auch gut das Fleisch zerschneiden kann."

    In der großen Eingangshalle wird gerade das mechanische Klavier vorgeführt, auf dem immer noch die Originalpapierwalzen aus dem Besitz des Kaisers laufen. Als Legitimation seines Aufenthaltes in den Niederlanden wird hier im Vestibül mit entsprechenden Porträts die jahrhundertelange Beziehung der Hohenzollern zu den Oraniern vorgestellt. Seitdem der Große Kurfürst von Brandenburg, Friedrich Wilhelm, in Holland studiert und sich dann noch mit der Oranier-Prinzessin Luise Henriette vermählt hatte, wurde über die Jahrhunderte hinüber und herüber geheiratet.

    Emma, damalige Königinmutter der Niederlande, besucht denn auch in den 1930er-Jahren des Öfteren ihren Jugendfreund und Verwandten Kaiser Wilhelm. Auch die spätere Königin Juliana mit ihrem deutschen Gemahl und Kronprinzessin Beatrix im Kinderwagen schauen gern auf Schloss Doorn vorbei.

    Vom Vestibül gehen weitere Salons ab: die "Gobelin-Kammer" und das "Gelbe Zimmer". Dorthin zogen sich die Damen nach dem Essen zurück, während die Herren bei Likör und Zigarren im Rauchzimmer Platz nahmen.

    "Also der Kaiser saß immer in diesem Stuhl mit dem Kissen, damit er etwas höher saß als sein Gesprächspartner und wir wissen auch aus den Memoiren von seinem Flügeladjutanten Sigurd von Ilsemann, dass das dann sehr lange dauern konnte."

    Der wie seine Vorfahren, der Große Kurfürst und Friedrich der Große, etwas klein gewachsene Ex-Kaiser langweilte seine diskret einnickenden Untergebenen mit unendlichen Monologen über den ersten Weltkrieg und den Bolschewismus

    Den Rauchsalon hat Wilhelm ganz der Erinnerung an Friedrich den Großen gewidmet. Der Alte Fritz in Kunst und Kitsch! In Vitrinen rund zwanzig von dessen berühmten Schnupftabakdosen, Friedrich auf Bierseidel, auf Teekanne, ja sogar auf einem Tortenheber.

    Im zweiten Stock finden sich die Privaträume der Familie. Mit dem Sterbezimmer der bereits 1921 auf Doorn verschiedenen Kaiserin, Salons von Prinzessin Hermine, der zweiten Gemahlin Wilhelms, und sein Appartement. Im Renaissance-Eckturm liegt das Arbeitszimmer mit dem Sattelstuhl, ein frühes Beispiel ergonomischer Sitzkultur. Beim Korrespondieren "ritt" Wilhelm II. wie sein Vater und Großvater an dem Stehschreibpult aus dem 18. Jahrhundert. Auch das Ruhezimmer, wo er am 4. Juni 1941 friedlich entschlief, ist zu besichtigen.

    "Als der Kaiser starb, war das Mausoleum noch nicht fertig. Dann hat man ihn in einer kleinen Kapelle hier auf dem Landgut aufgebahrt, und vielleicht anderthalb Jahr später war das Mausoleum dann fertig und da wurde dann die Kiste hingestellt mit einer Flagge darübergelegt, und Sie sehen den Adler dort und die fünf Ziegel, und das sind die Hunde. Denn er mochte gern wie Friedrich auch mit seinen Hunden bestattet werden."


    Homepage von Haus Doorn in den Niederlanden
    Haus Doorn, Exil von Kaiser Wilhelm II. nach dem Ersten Weltkrieg
    Der prunkvolle Speisesaal (Rijksmuseum Huis Doorn)
    Arbeitszimmer von Kaiser Wilhelm II. im Haus Doorn
    Das Arbeitszimmer von Kaiser Wilhelm II. (Rijksmuseum Huis Doorn)