Der puristisch designte Bühnenraum von Grit Dora von Zeschau ist ganz von heute:eine auf breiten Schienen an die Rampe herangefahrene schiefe Ebene, knallrot, soll die gipfelnahe Arbeiterunterkunft am Tunnelfenster bedeuten. Schräger gestellt und weiter nach hinten gerückt dient sie später als Zeichen für Hochgebirgswelt, Gewitter-, Sprengungs- und Wetterumtost. Aber trotz des Bühnen- und Figuren-Stylings der Bergarbeiter in ästhetisch gruppierten Formationen fühlt man sich ins Theatermuseum, Abteilung sozialistischer Realismus/ Expressionismus versetzt: das dröhnt und röhrt und reckt die Arme, fletscht die Gesichter, ballt Fäuste, grimassiert und gestikuliert, als wohnte man der zeitgenössischen Erstaufführung des frühesten und wohl auch schwächsten Stücks von Horvath bei. Nichts gegen den aller Ehren werten Versuch einer neuen Ernsthaftigkeit und schon gar nichts gegen politisches Theater. Doch wenn man von der verspielten Beliebigkeit der Fun-Kultur wegkommen will, sollte das tunlichst nicht mit dem Instrumentarium der theatralischen Vormoderne geschehen. Urschrei, Kraftakt und gewalttätiges Rumgerempel sind jedenfalls untaugliche Mittel, wenn es darum gehen soll, politische Prozesse theatralisch transparent zu machen und nicht einfach flache Botschaften einzuhämmern. Als ob soziale Ausbeutung heutzutage noch immer mit Holzhammer und vorgehaltener Pistole betrieben würde. Und buchstäblich so geht es zu in der kruden Horvath-Geschichte von dem seinerzeit ebenso umstrittenen wie revolutionären Bau des alpinen Großprojekts: Die Bergbahn zum Vergnügen verwöhnter Luxus-Touristen und zum Ruhm des fanatischen Ingenieurs muss vor Einbruch des Winters fertig werden, also rauf auf den Berg und rein ins Verderben mit den Arbeitern. Und wenn einer nicht pariert, wird er abgeknallt. Drunten verlustiert sich derweil der zynische Herr Direktor an den handgeklopften Koteletts der Arbeitersamariterin Vroni, deren gewalttätig-vitaler Geliebter zu diesem Zeitpunkt bereits von der ruchlosen Kugel des Gewinnstrebers niedergestreckt im Hochgebirgsschnee verblutet. Wie eine schaurigschöne Moritat aus dem Heldenbuch des deutschen Arbeiters wirkt das Ganze streckenweise und genauso schematisch-klischeehaft sind auch die Figuren dargestellt - trotz interessanter Ansätze noch beim frühen Horvath und nun auch im Verhältnis 1:1 bei Hasko Weber in Stuttgart. Mit farblos undefinierten Dialektbrocken stottern sich die Ausgebeuteten durchs Leben, auf ewig wortkarg und so anachronistisch stereotyp, dass alle für die komplexen und raffinierten Ausbeutungsstrategien unserer Tittitainment-Gesellschaft relevanten Faktoren verloren gehen. Angesichts dieser Art von Möchtegern-Polit-Theater erstrahlt Jacqueline Kornmüllers ersterbend schöne Bilderfolge von Horvaths Don Juan-Adaption geradezu als genialer Wurf. Man mag der Aufführung vorwerfen, sie verharre in der bloßen Stilisierung von Entindividualisierung, zitiere Stimmungen als bloße, vielfach allzu symbolhaltige, immer hinreißend ausgeleuchtete aber letztlich statisch bleibende Bilder herbei, erlaube, ganz wie Don Juan selbst, Gefühle nur noch als Herzattacke, Schmerz oder als Sehnsucht nach Gefühl: in Form von Gier, Sentimentalität, Kitsch. Kurz: das Theater-Design umhülle die Figuren so, wie Don Juan selber unterzugehen droht in einer phantastisch choreographierten, wogenden Tüllwolke Dutzender von rosa Frauenröcken. All das ist zutreffend, auch, dass die emotionale Versehrtheit von Horvaths Nach-Kriegs-Figuren, die sich alle aus dem glänzend polierten schwarzen Schlund der nach hinten abschüssigen Bühne hervorarbeiten, herausquälen müssen und dann doch wieder wegdämmern, abgleiten, runterrutschen - dass ihre emotionalen Verstörungen nicht glaubhaft erspielt werden. Aber in der Frauenphalanx, im Gleichtakt von Gruppen, Menschen-Schlangen, in den seriellen Formationen von Männer-suchenden Frauen mit ihren Seriengefühlen und -gelüsten trifft sie nicht nur die Perspektive, die Don Juan auf Frauen hat; Don Juan, der die Liebe sucht, der all seine Sehnsüchte auf eine längst vergangene Geliebte projiziert, nicht auf eine lebendige Frau - der schließlich eine Tote findet und dann selbst den Tod. In der seriellen Reihung, in Stilisierung und Normierung bis zum Verwechseln ähnlicher Figuren spiegelt die junge Regisseurin vor allem auch die marktgerecht gestylte Befindlichkeit unserer Tage. So hat sie gerade durch die gekonnte Ästhetisierung und Stilisierung Horvaths eine Methode gefunden, selbst den antiquierten Mythos Don Juan zum Schlüsselerlebnis gegenwärtiger, durchaus politischer Erfahrung werden zu lassen. Und damit jene Verbindlichkeit herzustellen, die Hasko Weber sich auf dem direkten Weg verbaut hat.
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Ein Horvath-Zyklus am Schauspiel Stuttgart
Das Schauspiel Stuttgart bringt in diesem Frühjahr einen dreiteiligen Ödon von Horváth-Zyklus. Nachdem im Februar "Don Juan kommt aus dem Krieg" neu herauskam, hatte nun das Stück "Die Bergbahn" Premiere. Ein Drama, das Horváth selbst ein Volksstück genannt hat. Jacqueline Kornmüller inszeniert "Don Juan kommt aus dem Krieg" und Hasko Weber "Die Bergbahn".