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Ein Jahr "Bafög-Betrug" - eine Zwischenbilanz

Vor rund einem Jahr fühlte sich der Stammtisch mal wieder im Recht. Studenten sind faul, eine Belastung für unser Sozialsystem und liegen der Allgemeinheit auf der Tasche. Denn damals wurde berichtet, dass bundesweit zehntausende von Nachwuchsakademikern bei ihren Bafög-Anträgen falsche Angaben gemacht und so bis zu 400 Millionen Euro erschwindelt hätten. Fast alle Vorwürfe haben sich inzwischen aber als falsch herausgestellt. Kritiker werfen der Justiz nun vor, Bafög-Empfängern mit übermäßiger Härte nachzustellen.

Von Armin Himmelrath |
    Die deutschen Studierenden sind ehrlicher, als viele das erwartet hatten. Mehr als 1,2 Millionen Bafög-Anträge aus den Jahren 2000 und 2001 waren insgesamt überprüft worden, doch nur ganze 40.000 davon stellten sich als falsch heraus. Statt erwarteter 400 Millionen Euro summierten sich die Rückforderungen von Bund und Ländern nur auf 160 Millionen. Zu den entschiedenen Befürwortern eines harten Vorgehens gegen Bafög-Betrüger gehört der niedersächsische CDU-Wissenschaftsminister Lutz Stratmann:

    Ich halte das für selbstverständlich, dass ich, wenn ich Antragsformulare auszufüllen habe, da wahrheitsgemäß antworte. Ich werde ja auch im Anschluss an das Ausfüllen eines solchen Formulars darauf hingewiesen, dass ich zur Wahrheit verpflichtet bin.

    Manche Antragsteller sahen das offenbar anders. Den Bafög-Fahndern ging etwa in Nordrhein-Westfalen ein Student ins Netz, der satte 200.000 Euro alleine an Zinsgewinnen pro Jahr verbuchte, trotzdem die staatliche Beihilfe beantragt hatte und als vermeintlich Bedürftiger sogar mehrere Jahre lang den Bafög-Höchstsatz kassierte. Doch solche Fälle sind die großen Ausnahmen. Oft geht es nur um Rückzahlungen im drei- oder vierstelligen Bereich, und viele Studierende halten die flächendeckende Überprüfung ihrer Anträge für eine Zumutung. Sie müssen mehrere Jahre alte Sparbücher, Kontoauszüge und andere Belege auftreiben und einreichen.

    Das ist ja Vergangenheit, und Vergangenheit ist halt Vergangenheit, das müsste man eigentlich ruhen lassen.

    Drei Jahre rückwirkend, das ist ziemlich heftig, wenn man bedenkt, was einige auf dem Konto haben und sich vielleicht für später zurücklegen wollen. Darauf bezieht sich ja dann die Berechnungsgrundlage für ein Bafög, und das finde ich nicht gerechtfertigt.

    Der Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler aus Münster hat etliche Bafög-Sünder vertreten. Auch er beklagt die Unverhältnismäßigkeit der staatlichen Kontrollen. Außerdem gebe es Konstellationen, in denen die Studierenden gar nichts von ihrem vermeintlichen Vermögen wussten.

    In vielen Fällen haben diese Verfahren zu großen Ungerechtigkeiten geführt aus meiner Sicht. Da gibt es viele Fälle, wo die Eltern oder die Oma ein Sparbuch für den Enkel oder das Kind angelegt hatten. Jetzt wird dieses Sparbuch den Studenten zum Verhängnis: Das wird als Vermögen angerechnet, und sie müssen die ganzen Ersparnisse als überzahltes Bafög ans Studentenwerk zurückbezahlen. Das ist in vielen Fällen schon ziemlich ungerecht. Betroffen sind davon ja im Grunde die Kinder von sparsamen, armen Eltern.

    Für völlig verfehlt hält Wilhelm Achelpöhler die Verabredung der Justizministerkonferenz vom Juli, die Fälle der Schummel-Studenten grundsätzlich von den Staatsanwaltschaften ahnden zu lassen. So hat es etwa in Freiburg bereits mehrere Strafbefehle bis zu einem Jahr Gefängnis auf Bewährung gegeben:

    Da gibt es ja eine ganze Fülle von Strafverfahren auch in Nordrhein-Westfalen, in anderen Bundesländern, in Baden-Württemberg und Bayern. Ich finde es völlig widersinnig, wenn im Rahmen dieser strafrechtlichen Verfolgung Steine in den Weg gelegt werden für die Zukunft, dass sie als vorbestraft gelten und dann ihren Job nicht antreten können. Da hat der Staat viel Geld dafür investiert, dass die Leute eine Ausbildung machen. Es hat dann zum Erfolg geführt, die Leute haben ihren Abschluss gemacht, und dann heißt es durchs Amtsgericht: Stopp für die Karriere, jetzt erstmal zehn Jahre lang nicht mehr Lehrer werden oder fünf Jahre lang nicht mehr Rechtsanwalt werden. Ich glaube nicht, dass die Allermeisten, die es da erwischt hat, jemals in ihrem Leben noch irgendwelche Straftaten begehen, und weiß deshalb nicht, ob manche Verfolgungspraxis, die es an manchen Orten gibt, wirklich eine vernünftige Sache ist.

    Bundesweite Zahlen über die bisherigen Urteile gibt es nicht. Unter den Studierenden herrscht gleichwohl große Unsicherheit - Überprüfungen und Strafverfahren sprechen sich schließlich schnell herum.

    In meinem Bekanntenkreis sind auch einige dabei gewesen, wo zum Beispiel die Eltern Geld angelegt hatten ohne deren Wissen, und die müssen jetzt richtig viel zurückzahlen. Das muss nicht sein. Wenn die Eltern das machen, um denen beim Examen etwas dazu zu geben, da können die doch nichts für. Zum Teil sind das um die 10.000 Euro, und das finde ich dann schon ganz schön heftig. Und die dürfen ja dann auch keinen neuen Antrag stellen oder kriegen dann halt nichts mehr. Das muss nicht sein, wir haben es schließlich schwer genug.