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Ein Jahr lang Open Source leben

Das klassische Urheberrecht gibt Konsumenten weder Freiheiten in der Veränderung des Produktes, noch Mitsprache bei der Entwicklung. Eine Alternative nennt sich Open Source - ein Marketing-Begriff für Freie Software. Der 28-jährige Neuseeländer Sam Muirhead lebt seit drei Jahren in Berlin und hat sich am 1. August 2012 genau diese Aufgabe gestellt: ein Jahr lang möchte er Open Source leben.

Von Christine Kewitz | 21.01.2013
    Doch wie weit lässt sich unser Alltag überhaupt Open Source gestalten?

    "Hier ist meine Zahnpasta. Hier habe ich zum Beispiel die verschiedenen Chemiesachen, mit denen ich diese Zahnpasta mache. Zum Beispiel Glycerin, Wasserstoffperoxid-Lösung, Natron und Pfefferminzöl und so. Und was ich interessant finde... man sieht Judiths Colgate hier enthält Natriumflourid. Ich weiß, dass diese Paste nicht nur Natriumflourid ist, aber es gibt keine andere Information. Man muss auf Zahnpasta nur eine Zutat für die Benutzer erklären."

    Sam Muirhead weiß, was in seiner Zahnpasta drin ist. Er hat sie selbst zusammengemischt - Anleitungen dafür gibt es im Netz jede Menge. Das Prinzip Open Source ist bis jetzt vor allem ein Internet- und Software-Phänomen; den meisten bekannt durch das Betriebssystem Linux, das auch Sam benutzt. Doch er überträgt den gemeinschaftlichen Gedanken aus der virtuellen Welt in seinen Alltag. Sam Muirhead möchte vor allem sein Bewusstsein gegenüber den alltäglichen Dingen schärfen und Alternativen ausprobieren. Er stößt an mit selbst gemachtem Holunderblüten-Champagner, produziert Waschmittel mit Rezepten aus frei zugänglichen Quellen und putzt die Küche mit Zitronensaft. Die Kombination aus Open Source und traditionellen Hausmitteln passt perfekt zu der Idee eines mündigen Konsumenten.

    "Es gibt viele Leute im Internet, die reden darüber, wie man die beste Seife macht oder gute Putzmittel. Die teilen Rezepte, die teilen verschiedene Ideen. Das finde ich toll, es gibt diese Leute überall in der ganzen Welt und die reden über ganz einfache Sachen, aber man kriegt ganz interessante Ideen, wie man ganz viel selbst machen kann und wie Produkte hergestellt sind."

    Sein Leben vom Standard-Alltag auf Open Source umzustellen dauert. Das hat Sam in den letzten fünf Monaten festgestellt. Plötzlich gab es Fragen über Fragen: Wie bekommt man eine Jeans ohne Copyright? ist nur eine davon. Und vor allem die elektronischen Herausforderungen kosten den Technik-Neuling viel Zeit. Seine ersten Projekte: eine farbenwechselnde Lampe und ein Mini-Keyboard. Um einfach erst mal ein Gefühl für Schaltkreise zu bekommen. Open Source bedeutet für jeden etwas anderes: den einen interessieren die Überschneidungen zum DIY - also Do It Yourself. Der andere mag den Gedanken des Teilens, und wieder andere wollen einfach möglichst viel umsonst bekommen.
    Sam ist noch auf der Suche nach seiner eigenen Open Source-Philosophie und stößt dabei regelmäßig an Grenzen - zum Beispiel bei seinem neuen Handy.

    "Alle Benutzer dieses Produktes außer mir sind eigentlich Computer-Programmierer und das bedeutet, man kann es nicht einfach seinen Eltern zu Weihnachten schicken. Weil man ziemlich gutes Wissen haben muss, um es zu benutzen. Ich habe keinen technischen Hintergrund und das bedeutet, ich muss ganz viel lernen. Ich lerne zur Zeit Programmieren durch Open Education, aber ich muss auch Hilfe haben."

    Und wenn das Handy endlich funktioniert, fehlt noch ein Netzbetreiber. In Deutschland gibt es zum Beispiel die nicht-kommerzielle Initiative Freifunk.

    Sogar Firmen können Open Source sein - Wie die Getränkemarke Premium. Diese entstand Ende der 90er durch ein Protestgetränk, denn die berühmte Afri-Cola schmeckte plötzlich nicht mehr so wie früher. Die Gründer von Premium besorgten sich das Rezept von einem ehemaligen Afri-Cola-Getränkehersteller und brauten den Durstlöscher mit kleinen Veränderungen einfach selbst.
    Premium-Cola war geboren. Seit 2008 gibt es zusätzlich Premium Bier, das auch bei Sam auf dem Tisch steht.

    "Was interessant bei dieser Firma ist, sind nicht die Produkte, sondern die teilen alle Informationen wie die Firma läuft, die wollen die Wirtschaft hacken. Das bedeutet, die haben Sachen wie ein Anti-Mengenrabatt und die haben ihre Erfahrungen und ihre Ergebnisse auf ihre Webseite geschrieben als Module, Geschäftsmodule, die andere Geschäfte herunterladen können, davon lernen und benutzen."

    Open Source ist eher Copyleft statt Copyright. Das heißt: Werke oder Produkte dürfen verändert werden, die Lizenzbedingungen bei der Verbreitung müssen jedoch die gleichen bleiben.
    Und Open Source heißt: Gemeinschaft und Offenheit statt Konkurrenz und Machtdenken. Vor allem den Global Playern sollen Alternativen entgegen gesetzt werden. Darum geht es auch Sam.

    "Ich will erzählen, wie man mehr Rechte für Benutzer kriegen kann, mehr Macht für Benutzer kriegen kann in einem modernen Leben. Das bedeutet, ich muss in der Stadt wohnen und es geht nicht um ein hartes Lebensexperiment, sondern ich will zeigen was es eigentlich gibt, was es für interessante Projekte gibt, tolle Hacks und Leute, die interessante Sachen im Bereich Open Source in den verschiedenen Lebensbereichen machen."