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Ein Jahr Langzeit-Studiengebühren in NRW

Seit genau einem Jahr gibt es in Nordrhein-Westfalen Studiengebühren. Wer deutlich länger als die Regelstudienzeit studiert, den bittet die rotgrüne Landesregierung seitdem mit 650 Euro pro Semester zur Kasse. Wird nun schneller studiert? Oder dauert das Studium erst recht länger, weil man für den Unterhalt noch mehr jobben muss? Eine Zwischenbilanz.

Von Lucia Hodinka |
    Jens studiert Medizin in Köln. Er hatte zunächst eine Ausbildung gemacht und mit 24 Jahren angefangen zu studieren. Nach ein paar Semestern entschied er sich, das Studium erst mal auf Eis zu legen, die Welt kennen zu lernen und zu arbeiten. Während der gesamten Zeit blieb er eingeschrieben, denn ihm war klar: Irgendwann wollte er sein Studium zu Ende bringen. Als er sich vor zwei Jahren wieder einschrieb war er schon im 16. Semester. Das hieß für Jens im Sommersemester 2004, 650 Euro zusätzlich zu zahlen:

    " Bei mir hat sich das jetzt dahingehend ausgewirkt, dass ich fünf Stunden pro Woche mehr arbeiten muss, um mir diese Studiengebühren leisten zu können. Das bedeutet für mich, weil ich einen Job habe, der leider tagsüber stattfindet, dass ich einige Vorlesungen sausen lassen muss. Gleichzeitig muss ich das, was ich an Vorlesungen versäumt habe, abends nachholen."

    Jens haben die Langzeitstudiengebühren überrascht. Obwohl er die Diskussionen um die Gebühren schon lange mitbekommen hatte, dachte er nicht, dass es ihn je betreffen würde, denn er hatte ja unter anderen Bedingungen sein Studium angefangen. Für NRW-Bildungsministerin Kraft gab es aber gute Gründe, das Gesetz genau so umzusetzen:

    " Wir haben uns eine strukturelle Verbesserung erhofft. Wir haben ja hohe Abbrecherzahlen gehabt, sehr lange Studiendauern, und wir haben gehofft, dass durch die Einführung dieser Studienkonten positive Effekte eintreten. Das ist auch eingetreten: Wir haben eine deutliche Zunahme zu den Prüfungen, wir haben teilweise vier bis fünf Mal so viele Prüfungen wie in normalen Jahrgängen gehabt in den letzten Semestern. Das zeigt, dass die jungen Leute sich ranmachen und ihr Studium zu Ende bringen. Das ist, glaube ich, der positive Teil der Entwicklung."

    Eine andere Entwicklung ist der starke Rückgang von Studenten an den Hochschulen.

    " Wir haben rund zwölf Prozent der Eingeschriebenen verloren. Es waren sicherlich auch Leute dabei, die nur noch pro forma eingeschrieben waren. Wir haben aber auch Studierende verloren, die ich ungern verloren hab."

    Studenten, die sich das Studium nicht mehr leisten konnten.

    Jan-Michael Skavron ist eingeschrieben geblieben. Er ist jetzt 29 und mitten in seinem Studium der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft. Zunächst hatte er auf Lehramt studiert, dann zu BWL gewechselt. Erst nach drei Jahren an der Uni hat er gefunden, was wirklich zu ihm passt. Diese Phase empfindet er als wichtig für seine persönliche Entwicklung. Neben seinem jetzigen Studium hat er noch einige Praktika gemacht, um notwendige Berufserfahrung zu sammeln. Das hat ihn auch noch mal ein paar Semester gekostet. Seit einem Jahr muss er dafür zahlen:

    " Hundert Euro hören sich nicht viel an, aber in der Tat sind es dann ein bis zwei Arbeitstage pro Monat, die man mehr leisten muss, um das Geld rein zu bekommen. Ich gehe damit so um, dass ich versuche, bei meinem Arbeitgeber mehr arbeiten zu können. Das ist aber nicht immer möglich. Das heißt, ich hab keine Gewissheit, das Geld wieder herein zu bekommen. Je näher ich den Prüfungen komme, um so schwieriger wird es, das Arbeitspensum zu leisten, das stellt mich dann schon vor Probleme."

    In der Phase der Abschlussprüfungen können sich Studenten jedoch von den Gebühren befreien lassen. Bis dahin aber bleibt die finanzielle Belastung für Langzeitstudenten. Jan-Michael hat schon über einen zweiten Nebenjob nachgedacht. Aber es ist momentan nicht leicht, einen Job zu finden.

    " Die Jobsituation ist nicht so rosig. Ich habe versucht, bei meinem Arbeitgeber mehr zu machen. Dann hab ich mich auch umgeschautwegen anderer Jobs. Es gibt natürlich die Möglichkeit, über 400-Euro-Jobs noch eine zweite Sache zu machen, da habe ich aber auch nichts gefunden."

    Das bestätigt auch Roswitha Stock von der Kölner Agentur für Arbeit.

    " Insgesamt spiegelt sich auf dem Markt der Studentenjobs der Arbeitsmarkt wieder: die schwierige Arbeitssituation: Viele Bewerber und wenige Stellen gibt es auch in dem Bereich."

    Hundert Euro pro Monat klingt für viele nicht sehr viel. Aber Frank Leppi vom Kölner Studentenwerk kann genau einschätzen, was das für einen Langzeitstudenten bedeutet.

    " Ein Student hat in der Regel 600 Euro zur Verfügung. Davon müssen Studierende rund 200 bis 300 Euro für eine Wohnung zahlen. Das heißt, zur Verfügung stehen 300 Euro. Das ist sehr wenig. Und wenn man jetzt als Langzeitstudent noch hundert Euro zur Seite legen muss, dann ist das wirklich zu wenig um zu leben."

    Die Studiengebühren sollen den Anreiz geben, schneller zu studieren. Doch das sieht Jens für Langzeitstudenten nicht.

    " Das bringt bei mir gar nichts, bewirkt wahrscheinlich eher das Gegenteil: Durch die hohen Kosten mehr arbeiten und länger studieren noch mal drauf. Bei mir ist das kein Grund, schneller zu studieren, diese Gebühren."

    Für die jetzigen Langzeitstudenten ist es eine schwierige Phase. Aber NRW-Bildungsministerin Kraft ist zuversichtlich, dass es die Gruppe der Langzeitstudenten nicht mehr lange geben wird.

    " Ich hoffe, es wird weniger geben, das zeichnet sich ab, die gehen einfach anders ran ans Studium."