Von Ägypten aus war der Krieg im Gazastreifen zu sehen, zu hören und auch zu spüren. Drei Millimeter breite Risse zogen sich nach den ersten Angriffen durch die Wände von Samis Haus, rund 100 Meter von der Grenze entfernt, die Druckwellen der Raketen hatten es beschädigt. Inzwischen ist es eingestürzt, weil die Schmuggeltunnel ihm buchstäblich den Boden unter den Grundmauern weggezogen haben.
Rückblick: Am 25. Dezember 2008 trifft Israels Außenministerin Zipi Livni in Kairo Präsident Hosni Mubarak. Sie nennt die Situation an der Grenze zu Gaza unerträglich und weist Appelle des ägyptischen Präsidenten zurück: Nein, man werde nicht ruhig bleiben. Man könne die Raketenangriffe der Hamas nicht tolerieren. Diese Situation werde sich ändern. Und das geschieht dann auch - nur zwei Tage später.
In der arabischen Welt bricht ein Sturm der Empörung los, nicht nur gegen Israel, auch gegen Ägypten: Mubarak hätte Livni freie Bahn gegeben für einen Angriff auf den Gazastreifen, heißt es. Am 30. Dezember leitet Mubarak den Vorwurf weiter an die Palästinensern:
"Seit dem letzten Sommer gibt es Streit zwischen der Autonomiebehörde und Hamas. Das hat Israel die Türen geöffnet, um einen alten Plan zu realisieren: die Trennung von Westbank und Gazastreifen. Wir Ägypter werden den Übergang von Rafah nicht öffnen, weil die Autonomiebehörde und die europäische Union ihre Beobachter abgezogen hat. Wir werden weder Uneinigkeit und Trennung bestätigen, noch das Rafah-Abkommen von 2005 brechen."
Der Grenzübergang von Rafah wird im Krieg zum einzigen Fluchtweg der eingeschlossenen Palästinenser, die in ihrem winzigen Küstenstreifen hin und herfliehen, um den israelischen Angriffen zu entkommen. Bald stauen sich vor dem Übergang endlose Schlangen mit Hilfsgütern aus aller Welt, stockend schieben sie sich durch die ägyptische Bürokratie, unter Lebensgefahr bringen palästinensische Fahrer sie weiter nach Gaza. Bald kommen von der anderen Seite Krankenwagen, die Verletzte bringen. Viel zu wenige sagen die Kritiker. Sie werfen Ägypten vor, die Palästinenser ihrem Schicksal zu überlassen. Ahmad Jussuf Ahmad, Direktor des Instituts für arabische Forschung und Studien in Kairo, ist heute der Meinung, seine Regierung hätte damals anders handeln können, zumal Israel mit seinen grenznahen Angriffen wiederholt den Friedensvertrag mit Ägypten verletzt hat:
"Die ägyptische Außenpolitik hält sich immer streng an die Abkommen. Das gilt für Rafah ebenso wie für den Friedensvertrag mit Israel. Dabei hätte Ägypten juristische Argumente gegen das Abkommen von Rafah. Die vereinten Nationen und die EU haben die humanitäre Lage in Gaza wiederholt als schlecht bezeichnet. Damals hätte Ägypten Beobachter aus der UN und der EU anfordern können, damit sie den Hilfsgütertransport nach Gaza überwachen und beschleunigen."
Immerhin, einige 100 Schwerverletzte kommen durch den Übergang. Zum Beispiel Ghada Guha und ihre zweieinhalbjährige Tochter Farah. Beide wurden zu über 40 Prozent verbrannt, als eine israelische Phosphorgranate durch das Dach ihres Hauses schlug. Im Militärkrankenhaus Hilmia in Kairo erinnert sich Ghada an den fürchterlichen Tag:
"Das Feuer hat meine ganze Kleidung aufgefressen. Ich war wieder nackt wie am Tag meiner Geburt. Meine Tochter ebenso."
Ghada liegt auf der linken Seite, ihr Gesicht ist halb verdeckt, die rechte Seite des Körpers komplett verbrannt. Der Verband kann nur unter Vollnarkose gewechselt werden. Ghada stellt immer wieder dieselbe Frage - warum?
"Wir haben haben nur gepflanzt und geerntet, das war unser Leben: Vom Feld nach Hause, von zu Hause aufs Feld. Mit Raketen oder Waffen hatten wir nichts zu tun. Warum haben sie das mit uns gemacht?"
Im März ist Ghada Guha gestorben. Ihre Tochter Farah wurde zurück nach Beit Lahia im Gazastreifen gebracht. Vor einem Monat hat sie eine jordanische Hilfsorganisation in die USA zur Behandlung gebracht. Eine der wenigen, die dem Gefängnis Gaza-Streifen entkommen konnten.
Denn noch immer hält Israel seine Grenzblockade aufrecht. Noch immer dürfen kaum Waren nach Gaza - und noch immer blüht das Geschäft mit den Tunneln. Sie waren ein Hauptgrund für den Krieg - denn hier wurden nach Überzeugung der Israelis Waffen geschmuggelt. Auf ägyptischer Seite wird seit dem Krieg streng kontrolliert, aber die Schmuggler finden immer wieder Wege.
"Hier pumpen wir Dieseltreibstoff in Schläuche, erklärt ein Schmuggler in Rafah.
Und die führen dann durch die Tunnel in den Gazastreifen. Auf der anderen Seite sind unsere Verwandten, sie verkaufen den Diesel weiter."
Ägypten wusste schon lange von der Existenz der Tunnel, sagt Ahmad Jussuf Ahmad. Sie wurden jedoch lange weder zerstört, noch geschlossen, um die Lebensumstände der Palästinenser zu erleichtern. Inzwischen aber hat Ägypten genau wie Israel ein Interesse daran, die Tunnel zu schließen: denn es gehen nicht nur Hilfsgüter und Lebensmittel nach Gaza, sondern es können auch Waffen, Drogen oder Terroristen in umgekehrter Richtung nach Ägypten kommen.
Eine unterirdische Mauer soll nun dieses Problem lösen - finanziert wird sie angeblich von den USA, die Ägypter dementieren bislang, dass sie überhaupt gebaut wird. Doch ein Augenzeuge in der Nähe der Grenze, erzählt am Telefon von Bauarbeiten:
"Die graben hier seit einer ganzen Weile. In den letzten zwei Monaten haben sie eine Röhre gebohrt, die dürfte sieben Kilometer lang sein."
Die ägyptische Regierung hat die Kontrollmaßnahmen im grenznahen Gebiet extrem verschärft. Nur noch über Umwege gelangen Waren in die Häuser nahe der Grenze. Doch der Handel geht auch unter diesen Umständen weiter. Denn der Kern des Problems ist auch ein Jahr nach dem Krieg unverändert: Noch immer verweigert die Hamas die Anerkennung Israels, noch immer blockiert Israel die Grenzen zum Gazastreifen - und noch immer sind die Palästinenserfraktionen Hamas und Fatah zerstritten. Da haben auch unzählige ägyptische Verhandlungsversuche nichts geholfen. Ahmad Jussuf Ahmad bezeichnet die Vorbedingungen als falsch:
"Ägypten sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Sie konzentrieren sich auf Nebenaspekte, nicht auf den Kern. Hamas und Fatah sind völlig verschiedene politische Projekte - die einen religiös untermauert, die anderen eine Regierung mit allem was dazu gehört. Ihre Grundlagen widersprechen sich."
Damit sind wir wieder am Anfang der Geschichte. Beide Seiten treten stur auf der Stelle, die Bevölkerung wird in der Mitte zerrieben.
Rückblick: Am 25. Dezember 2008 trifft Israels Außenministerin Zipi Livni in Kairo Präsident Hosni Mubarak. Sie nennt die Situation an der Grenze zu Gaza unerträglich und weist Appelle des ägyptischen Präsidenten zurück: Nein, man werde nicht ruhig bleiben. Man könne die Raketenangriffe der Hamas nicht tolerieren. Diese Situation werde sich ändern. Und das geschieht dann auch - nur zwei Tage später.
In der arabischen Welt bricht ein Sturm der Empörung los, nicht nur gegen Israel, auch gegen Ägypten: Mubarak hätte Livni freie Bahn gegeben für einen Angriff auf den Gazastreifen, heißt es. Am 30. Dezember leitet Mubarak den Vorwurf weiter an die Palästinensern:
"Seit dem letzten Sommer gibt es Streit zwischen der Autonomiebehörde und Hamas. Das hat Israel die Türen geöffnet, um einen alten Plan zu realisieren: die Trennung von Westbank und Gazastreifen. Wir Ägypter werden den Übergang von Rafah nicht öffnen, weil die Autonomiebehörde und die europäische Union ihre Beobachter abgezogen hat. Wir werden weder Uneinigkeit und Trennung bestätigen, noch das Rafah-Abkommen von 2005 brechen."
Der Grenzübergang von Rafah wird im Krieg zum einzigen Fluchtweg der eingeschlossenen Palästinenser, die in ihrem winzigen Küstenstreifen hin und herfliehen, um den israelischen Angriffen zu entkommen. Bald stauen sich vor dem Übergang endlose Schlangen mit Hilfsgütern aus aller Welt, stockend schieben sie sich durch die ägyptische Bürokratie, unter Lebensgefahr bringen palästinensische Fahrer sie weiter nach Gaza. Bald kommen von der anderen Seite Krankenwagen, die Verletzte bringen. Viel zu wenige sagen die Kritiker. Sie werfen Ägypten vor, die Palästinenser ihrem Schicksal zu überlassen. Ahmad Jussuf Ahmad, Direktor des Instituts für arabische Forschung und Studien in Kairo, ist heute der Meinung, seine Regierung hätte damals anders handeln können, zumal Israel mit seinen grenznahen Angriffen wiederholt den Friedensvertrag mit Ägypten verletzt hat:
"Die ägyptische Außenpolitik hält sich immer streng an die Abkommen. Das gilt für Rafah ebenso wie für den Friedensvertrag mit Israel. Dabei hätte Ägypten juristische Argumente gegen das Abkommen von Rafah. Die vereinten Nationen und die EU haben die humanitäre Lage in Gaza wiederholt als schlecht bezeichnet. Damals hätte Ägypten Beobachter aus der UN und der EU anfordern können, damit sie den Hilfsgütertransport nach Gaza überwachen und beschleunigen."
Immerhin, einige 100 Schwerverletzte kommen durch den Übergang. Zum Beispiel Ghada Guha und ihre zweieinhalbjährige Tochter Farah. Beide wurden zu über 40 Prozent verbrannt, als eine israelische Phosphorgranate durch das Dach ihres Hauses schlug. Im Militärkrankenhaus Hilmia in Kairo erinnert sich Ghada an den fürchterlichen Tag:
"Das Feuer hat meine ganze Kleidung aufgefressen. Ich war wieder nackt wie am Tag meiner Geburt. Meine Tochter ebenso."
Ghada liegt auf der linken Seite, ihr Gesicht ist halb verdeckt, die rechte Seite des Körpers komplett verbrannt. Der Verband kann nur unter Vollnarkose gewechselt werden. Ghada stellt immer wieder dieselbe Frage - warum?
"Wir haben haben nur gepflanzt und geerntet, das war unser Leben: Vom Feld nach Hause, von zu Hause aufs Feld. Mit Raketen oder Waffen hatten wir nichts zu tun. Warum haben sie das mit uns gemacht?"
Im März ist Ghada Guha gestorben. Ihre Tochter Farah wurde zurück nach Beit Lahia im Gazastreifen gebracht. Vor einem Monat hat sie eine jordanische Hilfsorganisation in die USA zur Behandlung gebracht. Eine der wenigen, die dem Gefängnis Gaza-Streifen entkommen konnten.
Denn noch immer hält Israel seine Grenzblockade aufrecht. Noch immer dürfen kaum Waren nach Gaza - und noch immer blüht das Geschäft mit den Tunneln. Sie waren ein Hauptgrund für den Krieg - denn hier wurden nach Überzeugung der Israelis Waffen geschmuggelt. Auf ägyptischer Seite wird seit dem Krieg streng kontrolliert, aber die Schmuggler finden immer wieder Wege.
"Hier pumpen wir Dieseltreibstoff in Schläuche, erklärt ein Schmuggler in Rafah.
Und die führen dann durch die Tunnel in den Gazastreifen. Auf der anderen Seite sind unsere Verwandten, sie verkaufen den Diesel weiter."
Ägypten wusste schon lange von der Existenz der Tunnel, sagt Ahmad Jussuf Ahmad. Sie wurden jedoch lange weder zerstört, noch geschlossen, um die Lebensumstände der Palästinenser zu erleichtern. Inzwischen aber hat Ägypten genau wie Israel ein Interesse daran, die Tunnel zu schließen: denn es gehen nicht nur Hilfsgüter und Lebensmittel nach Gaza, sondern es können auch Waffen, Drogen oder Terroristen in umgekehrter Richtung nach Ägypten kommen.
Eine unterirdische Mauer soll nun dieses Problem lösen - finanziert wird sie angeblich von den USA, die Ägypter dementieren bislang, dass sie überhaupt gebaut wird. Doch ein Augenzeuge in der Nähe der Grenze, erzählt am Telefon von Bauarbeiten:
"Die graben hier seit einer ganzen Weile. In den letzten zwei Monaten haben sie eine Röhre gebohrt, die dürfte sieben Kilometer lang sein."
Die ägyptische Regierung hat die Kontrollmaßnahmen im grenznahen Gebiet extrem verschärft. Nur noch über Umwege gelangen Waren in die Häuser nahe der Grenze. Doch der Handel geht auch unter diesen Umständen weiter. Denn der Kern des Problems ist auch ein Jahr nach dem Krieg unverändert: Noch immer verweigert die Hamas die Anerkennung Israels, noch immer blockiert Israel die Grenzen zum Gazastreifen - und noch immer sind die Palästinenserfraktionen Hamas und Fatah zerstritten. Da haben auch unzählige ägyptische Verhandlungsversuche nichts geholfen. Ahmad Jussuf Ahmad bezeichnet die Vorbedingungen als falsch:
"Ägypten sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Sie konzentrieren sich auf Nebenaspekte, nicht auf den Kern. Hamas und Fatah sind völlig verschiedene politische Projekte - die einen religiös untermauert, die anderen eine Regierung mit allem was dazu gehört. Ihre Grundlagen widersprechen sich."
Damit sind wir wieder am Anfang der Geschichte. Beide Seiten treten stur auf der Stelle, die Bevölkerung wird in der Mitte zerrieben.