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Ein Jahr nach dem Putschversuch
Wie Erdogan-Anhänger ihre Türkei heute sehen

Am 15. Juli vor einem Jahr versuchten Mitglieder des türkischen Militärs, die Macht in ihrem Land zu übernehmen. Der Putschversuch scheiterte. Es folgte eine Welle von Verhaftungen und Entlassungen und ein Verfassungsreferendum, das Präsident Recep Tayyip Erdogan mehr Macht einräumt. Seine Anhänger halten ihm die Treue.

Von Luise Sammann | 14.07.2017
    Anhänger des türkischen Staatspräsidenten Erdogan stehen am 17.04.2017 mit Flaggen vor dem Präsidentenpalast in Ankara (Türkei).
    Anhänger des türkischen Staatspräsidenten Erdogan stehen vor dem Präsidentenpalast in Ankara. (AP)
    Sevim Ismailoglu – um die vierzig – hält ein Foto von einer faustgroßen offenen Wunde in die Luft. Der Rücken ihrer Tochter. Zerfetzt von einer Kugel, die die Putschisten vor genau einem Jahr auf die damals 14-Jährige abfeuerten.
    "Wir saßen in jener Nacht vor dem Fernseher und warteten auf die Rede des Präsidenten. Als er das Volk aufrief, auf die Straße zu gehen, hatten wir schon unsere Kopftücher angelegt – bereit seinem Ruf zu folgen."
    Mutter Sevim steigen die Tränen in die Augen, als sie an jene Nacht zurückdenkt, in der sie sich gemeinsam mit Hunderten anderen Bewohnern ihres konservativ geprägten Istanbuler Stadtviertels aufmachte, um die putschenden Soldaten aufzuhalten und, wie sie immer wieder sagen wird, die türkische Demokratie zu verteidigen.
    "Ich wünschte, Du wärst zur Märtyrerin geworden"
    Nur zehn Minuten später lag ihre Tochter blutend am Boden. Es folgten vier Tage Koma, Intensivstation, unzählige Arztbesuche – aber auch der Stolz und das Gefühl, etwas Gutes getan zu haben.
    "Ich habe nie bereut, dass wir rausgegangen sind und meine Tochter Adviyye verwundet wurde. Im Gegenteil. Manchmal sage ich sogar zu ihr: Ich wünschte, Du wärst zur Märtyrerin geworden."
    Dass Adviyye beinahe starb, hat sie nicht nur in den Augen ihrer Mutter zur Heldin gemacht. Dutzende Male ist die Gymnasiastin im letzten Jahr aufgetreten, hat Schülern, Studenten und Journalisten erzählt, warum sie am 15. Juli auf der Straße war – und warum sie es jederzeit wieder tun würde.
    "Ich spreche so viel wie möglich darüber, damit dieses Ereignis nicht vergessen wird", erklärt die heute 15-Jährige ernst. "Wenn wir in jener Nacht nicht draußen gewesen wären, hätte uns eine schreckliche Zukunft erwartet. Warum hätte es einen Putsch geben sollen, wo wir doch gerade erst die Demokratie gewonnen haben in diesem Land? Wo es uns gut geht wie nie?"
    Freunde und Feinde der Türkei
    Adviyyes Mutter nickt zustimmend. Bei den Auftritten ihrer Tochter ist sie immer dabei. Der Kampf für die türkische Demokratie bestimmt längst das ganze Leben der Familie. Stolz zeigt Sevim ein gerahmtes Foto in der Ecke des kleinen Wohnzimmers, auf dem ihre Tochter gemeinsam mit Präsident Erdogan posiert. Ihm, sagt sie, haben wir doch alles zu verdanken, was wir haben.
    "Ich liebe unseren Präsidenten sehr. Besonders seine Ehrlichkeit. Möge Gott eher mein Leben nehmen als seins. Dieses Land braucht ihn so sehr."
    Der Putschversuch vor einem Jahr hat die Familie und ihre Bekannten noch enger an den Präsidenten und die AKP heranrücken lassen. Wer anders denkt, seine Stimme gar der Opposition gibt, ist in ihren Augen ein Feind der Türkei. Und davon, so ist Mutter Sevim überzeugt, gibt es viele. Bester Beweis: die anhaltenden Verhaftungen und Entlassungen mutmaßlicher Gülen-Anhänger, von denen die Medien täglich berichten.
    Hoffnung auf die Todesstrafe
    "Ich denke trotzdem, dass wir auf einem guten Weg sind. Vor allem hat der 15. Juli uns gezeigt, dass wir wachsamer sein müssen. Durch die Säuberungen, die es seitdem gab, hat sich schon vieles gebessert. Wenn sie so weiter machen, wird sich unser Land immer weiter zum Guten entwickeln."
    Nur eins wünscht sich Mutter Sevim von ihrem Präsidenten: Eine gerechte Strafe für die, die ihrer Tochter vor 12 Monaten in den Rücken schossen. "Ich wollte immer, dass diese Verräter genau das bekommen, was sie uns angetan haben. So, wie es das islamische Gesetz fordert. Aber da das kaum möglich ist, hoffe ich, dass bald die Todesstrafe eingeführt wird."