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Ein jeder bleibt allein

Bernd, Anton, Jan und Alix sind in der Mitte ihres Lebens angekommen, aber keinen Schritt weiter. Im poetisch verdichteten Ton erzählt die mit dem deutschen Buchpreis ausgezeichnete Katharina Hacker von der Einsamkeit eines jeden, den unabwendbaren Stationen Alter und Tod.

Von Shirin Sojitrawalla | 15.01.2010
    Schon in ihrem mit dem deutschen Buchpreis ausgezeichneten Roman "Die Habenichtse" konnte man die ganz besondere Sprache von Katharina Hacker bewundern. Eine Sprache, die sachte, aber schonungslos wiedergibt, was in den Romanfiguren vor sich geht, und das in einem Tonfall, der poetisch verdichtet und musikalisch ist und dem Ironie und Witz fremd scheinen.

    Auch in ihrem neuesten Buch besticht die Autorin mit ihrer ergreifenden Ernsthaftigkeit. Diesmal erzählt sie von einer Gruppe von Menschen, die das Leben zufällig formte. Es sind die Freunde Bernd, Anton, Jan und Alix. Alle so um die 40 Jahre alt, alle kinderlos und in der verwirrenden Mitte ihres Lebens angekommen, aber scheinbar keinen Schritt weiter: Bernd ist Buchhändler, schwul und allein. Anton ist Arzt und allein. Jan, der Psychotherapeut, und Alix sind zwar verheiratet, aber dennoch allein in ihrer Zweisamkeit. Alix ist dabei das schillernde Zentrum des Romans, um das sich alle drehen: schön, unwägbar und krank. Sie leidet an Hyperakusis, einer krankhaften Überempfindlichkeit gegenüber Schall. Diese Überempfindlichkeit möchte man auch dem Roman attestieren, der so empfindsam wie leise daherkommt.

    Einmal in der Woche, am Sonntag, treffen sich die vier Freunde bei Alix' alten Eltern Clara und Heinrich zum Essen. Das tun sie seit vielen Jahren. Mit der Ausnahme von dieser Regel setzt der Roman sich in Gang. Man verabredet sich jetzt zum Essen in einem vietnamesischen Restaurant. Dort begegnet Heinrich, der ehemalige Staatsanwalt, zum ersten Mal der Vietnamesin Mai Linh und entflammt zaghaft für sie. Es sind auch Spielarten der Liebe, die Hacker in ihrem Buch vorführt, wobei alle ihre Figuren einen großen Kummer oder zumindest eine tiefe Sehnsucht im Herzen tragen, die sie nach Glück, Erfüllung und immer weiter streben lassen.

    Dabei ist, wer das Buch aufschlägt, zuerst verwundert, denn er findet nicht nur einen Text vor, sondern zwei parallel montierte. In der Mitte einen breiteren und daneben einen schmalen, in kleinen Buchstaben gedruckten. Das ist zugegebenermaßen mühsam zu lesen, und so richtig klar wird einem leider bis zum Ende des Buches nicht, was der Sinn dieses Unternehmens ist, zumal manchmal die zweite Spalte fehlt und es, warum auch immer, nur noch einen Text gibt.

    In der zweiten Spalte bekommen die Leser Hintergrundinformationen, scheinbar Nebensächliches wird berichtet und all das, was man auch weglassen könnte, um der Handlung zu folgen. Mit ihrer zweigleisigen Erzählweise schafft Hacker eine Gleichzeitigkeit der Ereignisse und somit eine Allgegenwart, die nicht gewichtet zwischen "wichtig" und "unwichtig". Das würde natürlich nur funktionieren, wenn beide Spalten auch gleich prominent gedruckt worden wären.

    Mittlerweile ist bekannt geworden, dass Katharina Hacker die beiden Spalten auch in gleicher Form und Größe gedruckt sehen wollte und es nicht nur darüber zum Zerwürfnis mit ihrem Verlag kam. Die Fortsetzungen des Buches, das als Romanprojekt in mehreren Teilen angelegt ist, sollen nun bei S. Fischer und nicht mehr bei Suhrkamp erscheinen.

    Aber das nur am Rande: Mit ihrem Verfahren gelingt es der Autorin zumindest, ihren multiperspektivischen Erzählstil formal zu spiegeln. Mit ihrer dualen Erzählweise verdeutlicht Hacker darüber hinaus auch formal eines der Themen ihres Romans: Selbst- und Fremdwahrnehmung. Denn sie erzählt auch von der unermesslichen Entfernung zwischen den Menschen, die zu mancher Fehleinschätzung führt. In ihren zwei Textspuren kann sie den eigenen mit dem fremden Blick kreuzen und erreicht dadurch zuweilen eine geheimnisvolle Zwiesprache, aber auch das ändert leider nichts daran, dass die zwei Spalten für den Leser ein Ärgernis bleiben.

    Die Handlung des Romans, der mit vielen Rückblenden und Zeitebenen operiert, setzt im Herbst ein, der Trauermonat November steht vor der Tür. Nicht zufällig - sind doch auch die Figuren des Romans von einem nicht nur jahreszeitlich bedingten Blues ergriffen, der sie letzte Fragen stellen lässt. Von der Einsamkeit eines jeden, den unabwendbaren Stationen Alter und Tod, aber auch vom Verlust und von einem Leben, das hinter den eigenen Erwartungen zurückbleibt, erzählt der schmale Roman. Rilkes Gedicht "Herbsttag" mit seinen zwei berühmten Zeilen "Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. / Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben" kommt einen in den Sinn. In Hackers Roman wird daraus der Imperativ: "Du musst ein Zuhause haben."

    Auf der Suche nach diesem Zuhause sind all ihre Figuren, auch das alte Ehepaar Clara und Heinrich, die es sich scheinbar geschaffen haben. Mit unglaublicher Dezenz bündelt Hacker diesen Kosmos von Menschen und Stimmen und erzählt todtraurig, aber auch lakonisch von wie nebenbei misslingenden Lebensläufen. Für ihre Hoffnung auf ein besseres Leben sind diese Figuren sogar bereit, den Tod eines anderen in Kauf zu nehmen.

    Die Sehnsucht nach dem großen Versprechen Glück vereint sie, und Herbst und Winter bieten die trostlose Kulisse für ihr Lebensgefühl. Hacker erzählt von ihnen mit sachter Empathie und poetischem Zungenschlag. Die letzten Sätze des Buches bereiten den Leser dann schon auf die Fortsetzung der Geschichte vor und zeugen obendrein von der Unwägbarkeit des Lebens. Zuvor kündet sich im Roman aber der Frühling an, und damit zumindest die Aussicht auf womögliches Glück.

    Katharina Hacker: Alix, Anton und die anderen
    Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 127 Seiten, 19,80 Euro