Beatrix Novy: Die Archäologie ist die Wissenschaft des ganz besonders langen Atems: Da gab es mal vor etwa einem Jahrzehnt eine Grabung in der Nähe von Erfurt, in Frienstadt, bei der in etwa ein Meter 80 Tiefe ein Kamm gefunden wurde. Und jetzt, Anfang dieses Jahres, untersuchte man diesen damals geborgenen zerbrochenen Kamm – inzwischen wieder zusammengesetzt -, untersuchte man ihn ganz genau. Den Präsidenten des Landesamtes für Archäologie und Denkmalpflege, Sven Ostritz, habe ich nun gefragt: Was haben Sie denn da Besonderes entdeckt, dass Sie jetzt darüber eine Aussendung in alle Welt machen?
Sven Ostritz: Ja das ganz Besondere daran ist, dass er eine Inschrift trägt in germanischen Runen, und zwar vier Runen, ein K, ein A, ein B und noch einmal ein A. Dieses wird aber nach den für die damalige Inschrift geltenden Regeln nicht "KABA" wie der Plantagentrank gesprochen, sondern "KAMBA".
Novy: "Kamm" sollte das heißen?
Ostritz: Das bedeutet "Kamm".
Novy: Warum steht auf einem Kamm, dass es ein Kamm ist?
Ostritz: Ganz genau weiß man das natürlich nicht, aber man muss berücksichtigen, dass in den damaligen Zeiten – und so kennen wir es auch aus jüngeren ethnografischen Zusammenhängen – auch Alltagsgegenstände sehr viel stärker mit Bedeutung aufgeladen waren, als das bei uns heute üblich ist. Ein Kamm ist zum Ordnen der Haare und die Haare sind nach den traditionellen Vorstellungen Sitz des Lebens, Sitz der Kraft, sie wachsen auch noch nach dem Tode. Wir kennen solche Legenden wie die von Samson und Delilah und wir kennen Vorstellungen, wonach ein Krieger mindestens seine Ehre, wenn nicht das Leben verliert, wenn man ihm die Haare abschneidet. Das heißt, ein Gerät, das zum Ordnen dieser Haare gut war, hatte eine ganz besondere Bedeutung.
Novy: Und in welchem Zeitraum waren sie gebräuchlich, die Runen?
Ostritz: Die ältesten Runen-Inschriften, die bekannt sind, stammen aus dem Ende des zweiten Jahrhunderts nach Christus. Sie hatten dann eine frühe Entwicklungsphase etwa bis zum fünften Jahrhundert, wo sie relativ selten sind. Dann kommt eine Zeit, wo sie richtig in Mode waren, einige wenige Jahrhunderte, ein, zwei Jahrhunderte. Dann verschwinden sie in Zentraleuropa ganz, leben aber in Skandinavien in manchen abgelegenen Gebieten sogar noch bis ins 19. Jahrhundert fort.
Novy: Damit kommen wir zu dem Sensationellen an diesem Fund beziehungsweise das, was Sie darauf gefunden haben, auf diesem Kamm. Da gibt es ja anscheinend Forschungsprobleme, die jahrelang ungelöst waren unter Archäologen und die dieser Kamm aber nun löst, nämlich die Tatsache, dass es überhaupt Runen um die Zeit, auf die der Kamm datiert ist, gab in dieser Gegend.
Ostritz: So ist das. Ich hatte ja eben schon angedeutet, dass die frühen Runen-Inschriften gar nicht so sehr häufig sind. Wenn man das hochrechnet, ist es ja nicht mal für jedes Jahr eine. Aber die allermeisten davon sind auch noch aus Südskandinavien. Südlich davon, also in Mitteldeutschland, Westdeutschland, Süddeutschland, Westeuropa, gab es bisher gar keine und noch zwei aus dem Brandenburgischen und eine aus der Westukraine. Das ist ja nun nicht wirklich viel. Jetzt gibt es also noch etwas weiter südlich aus diesem zentraleuropäischen Bereich die erste Runen-Inschrift. Das ist das erste Problem, das gewissermaßen damit gelöst wurde, weil, man hat über viele Jahrzehnte umfangreiche Theorien entwickelt, warum denn das so sei, dass es dort keine Runen-Inschriften gibt. Jetzt wissen wir: Es gab sie sehr wohl, wir haben sie nur nicht gefunden, es ist also ein Überlieferungsproblem und kein kulturelles Problem.
Novy: Wer konnte so was überhaupt schreiben? Wer konnte Runen schreiben damals?
Ostritz: Ganz sicherlich nicht jedermann. Ob es sich aber um einen religiösen Zusammenhang, also um Priester handelt, oder ob es sich um gebildete Verwaltungsmitarbeiter handelt, jedenfalls aber um Mitglieder einer sicherlich gehobenen Schicht – der Normalsterbliche konnte es mit Sicherheit nicht.
Novy: Nun gibt es ja noch eine zweite Sensation, die hinter diesem Fund steckt. Die würde wiederum die Sprachwissenschaftler beziehungsweise Sprachgeschichtler betreffen.
Ostritz: Ja, das ist die Wortform dieser Inschrift, die uns auch sagt, dass es nicht einfach ein Import aus Skandinavien ist, der also dort beschriftet und per Zufall nach Mitteldeutschland verfrachtet worden ist, denn das Wort "KABA" für Kamm, so wie es dort geschrieben ist, ist eine westgermanische Wortform und die belegt damit das erste Mal, dass dieses Westgermanische nicht nur ein Konstrukt der Sprachwissenschaft ist, sondern dass es tatsächlich eine gesprochene Sprachform gewesen ist, die hier das erste Mal in niedergelegter Form gefasst werden konnte.
Novy: Weitreichende Erkenntnisse, die auf einem kleinen Kamm versammelt sind. Das erklärte uns gerade Sven Ostritz.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Sven Ostritz: Ja das ganz Besondere daran ist, dass er eine Inschrift trägt in germanischen Runen, und zwar vier Runen, ein K, ein A, ein B und noch einmal ein A. Dieses wird aber nach den für die damalige Inschrift geltenden Regeln nicht "KABA" wie der Plantagentrank gesprochen, sondern "KAMBA".
Novy: "Kamm" sollte das heißen?
Ostritz: Das bedeutet "Kamm".
Novy: Warum steht auf einem Kamm, dass es ein Kamm ist?
Ostritz: Ganz genau weiß man das natürlich nicht, aber man muss berücksichtigen, dass in den damaligen Zeiten – und so kennen wir es auch aus jüngeren ethnografischen Zusammenhängen – auch Alltagsgegenstände sehr viel stärker mit Bedeutung aufgeladen waren, als das bei uns heute üblich ist. Ein Kamm ist zum Ordnen der Haare und die Haare sind nach den traditionellen Vorstellungen Sitz des Lebens, Sitz der Kraft, sie wachsen auch noch nach dem Tode. Wir kennen solche Legenden wie die von Samson und Delilah und wir kennen Vorstellungen, wonach ein Krieger mindestens seine Ehre, wenn nicht das Leben verliert, wenn man ihm die Haare abschneidet. Das heißt, ein Gerät, das zum Ordnen dieser Haare gut war, hatte eine ganz besondere Bedeutung.
Novy: Und in welchem Zeitraum waren sie gebräuchlich, die Runen?
Ostritz: Die ältesten Runen-Inschriften, die bekannt sind, stammen aus dem Ende des zweiten Jahrhunderts nach Christus. Sie hatten dann eine frühe Entwicklungsphase etwa bis zum fünften Jahrhundert, wo sie relativ selten sind. Dann kommt eine Zeit, wo sie richtig in Mode waren, einige wenige Jahrhunderte, ein, zwei Jahrhunderte. Dann verschwinden sie in Zentraleuropa ganz, leben aber in Skandinavien in manchen abgelegenen Gebieten sogar noch bis ins 19. Jahrhundert fort.
Novy: Damit kommen wir zu dem Sensationellen an diesem Fund beziehungsweise das, was Sie darauf gefunden haben, auf diesem Kamm. Da gibt es ja anscheinend Forschungsprobleme, die jahrelang ungelöst waren unter Archäologen und die dieser Kamm aber nun löst, nämlich die Tatsache, dass es überhaupt Runen um die Zeit, auf die der Kamm datiert ist, gab in dieser Gegend.
Ostritz: So ist das. Ich hatte ja eben schon angedeutet, dass die frühen Runen-Inschriften gar nicht so sehr häufig sind. Wenn man das hochrechnet, ist es ja nicht mal für jedes Jahr eine. Aber die allermeisten davon sind auch noch aus Südskandinavien. Südlich davon, also in Mitteldeutschland, Westdeutschland, Süddeutschland, Westeuropa, gab es bisher gar keine und noch zwei aus dem Brandenburgischen und eine aus der Westukraine. Das ist ja nun nicht wirklich viel. Jetzt gibt es also noch etwas weiter südlich aus diesem zentraleuropäischen Bereich die erste Runen-Inschrift. Das ist das erste Problem, das gewissermaßen damit gelöst wurde, weil, man hat über viele Jahrzehnte umfangreiche Theorien entwickelt, warum denn das so sei, dass es dort keine Runen-Inschriften gibt. Jetzt wissen wir: Es gab sie sehr wohl, wir haben sie nur nicht gefunden, es ist also ein Überlieferungsproblem und kein kulturelles Problem.
Novy: Wer konnte so was überhaupt schreiben? Wer konnte Runen schreiben damals?
Ostritz: Ganz sicherlich nicht jedermann. Ob es sich aber um einen religiösen Zusammenhang, also um Priester handelt, oder ob es sich um gebildete Verwaltungsmitarbeiter handelt, jedenfalls aber um Mitglieder einer sicherlich gehobenen Schicht – der Normalsterbliche konnte es mit Sicherheit nicht.
Novy: Nun gibt es ja noch eine zweite Sensation, die hinter diesem Fund steckt. Die würde wiederum die Sprachwissenschaftler beziehungsweise Sprachgeschichtler betreffen.
Ostritz: Ja, das ist die Wortform dieser Inschrift, die uns auch sagt, dass es nicht einfach ein Import aus Skandinavien ist, der also dort beschriftet und per Zufall nach Mitteldeutschland verfrachtet worden ist, denn das Wort "KABA" für Kamm, so wie es dort geschrieben ist, ist eine westgermanische Wortform und die belegt damit das erste Mal, dass dieses Westgermanische nicht nur ein Konstrukt der Sprachwissenschaft ist, sondern dass es tatsächlich eine gesprochene Sprachform gewesen ist, die hier das erste Mal in niedergelegter Form gefasst werden konnte.
Novy: Weitreichende Erkenntnisse, die auf einem kleinen Kamm versammelt sind. Das erklärte uns gerade Sven Ostritz.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.