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ein kind essen

Fünf Jahre sind vergangen, seitdem "Wildwechsel mit Gleisanschluss, der letzte Roman von Christian Geissler, erschienen ist, ein schmaler Roman von 125 Seiten, der es mit seiner Verweigerung aller geläufigen Erzählkonventionen und Geisslers Insistenz auf seiner Sprachalchimie aus lyrischen, sprachspielerischen und assoziativen Elementen allerdings in sich hatte. Inzwischen hat der 1928 in Hamburg geborene Geissler die Schwelle zu den Siebzigern passiert. Sein neues Buch "ein kind essen" zeigt, daß er auch jenseits dieser Schwelle von seiner formgebenden - und politischen - Radikalität nichts eingebüßt hat und den aus dem Laboratorium der literarischen Moderne sich speisenden Sprach- und Erzählgestus nicht um ein Deut gemildert. Im Gegenteil. In "ein kind essen", worin zwar nirgends die Bezeichnung "Roman" auftaucht, aber - so wie bei "Wildwechsel mit Gleisanschluß" der Untertitel "Kinderlied" lautete - nun der vom "Liebeslied" steht, ist vielmehr Geisslers Verweigerungsenergie gegen die mit manch anderen zeitgemäßen Naivetäten einhergehenden Schlichtheiten des oft gefeierten "neuen Erzählens" sogar noch einmal verstärkt.

Uwe Pralle |
    Von dessen gewohnten Mustern wie einem durchgehenden Plot oder auch wohlkalkulierten Handlungssträngen gibt es in dem mit 145 Seiten wiederum recht schmalen "ein kind essen" allenfalls ein paar Spurenelemente; wer allerdings vorgeben würde, diese Spurenelemente sei es von Handlungsfetzen, sei es der Geschichten von durch den Text huschenden Figuren schon auf den ersten Blick entdecken zu können, hätte vermutlich hochgestapelt. Man muß sich schon dem poetischen Spiel von Christian Geisslers Prosa eine ganze Weile überlassen, um die auf ihrem Sprachfresko verborgenen Konturen von Ereignissen, Figuren und Lebensgeschichten allmählich zu erkennen. Immerhin hat Geissler dieses Mal unter dem Titel "auftakt" in einem Gedicht zu Beginn eine Art von Aufriss dieses Buches gegeben, in dem nicht nur sein poetologischer Stellenwert in Geisslers Arbeiten, sondern auch einige der Leitmotive zur Orientierung angedeutet sind:

    "meine neue arbeit ist ihre radikale beendigung, auch/ ließe sich sagen, ihr zärtlicher aufschluß./ Es herrscht Ruhe im Land./ da lacht die lüge./ ich schreibe den unsinn der liebe./ wie geht das./ ein kind stirbt./ eine junge frau steht im verhör./ ein junger mann stürzt in verwirrung./ zwei alte kommunisten tauschen briefe wie küsse, sie/ atmen zusammen, sie konspirieren./ so geht das./ so geht es um stockrosen und um hundeführer und um/ keine verlorene wut und um eine werkstatt der reichen/ bei windstärke elf./ und es liegen zwei mäuse erschlagen im apfelbord/ bart in bart./ und es leuchtet ein schreck und es schlägt ein glück/ mittsommernachts polnisch./ und es droht uns der pastor aus seinem samtschwarzen/ höschen. da hebt das kind seine hand./ da schreien die eltern./ da flucht die liebe./ auf geht's!/ In stummer Ruh' lies Babylon."

    Auch dieser Auftakt entbehrt natürlich nicht so ganz der kryptischen Züge, die einfach zu Geisslers poetischem Programm gehören, mit seiner Literatur sowohl Entdeckungslust, den Sinn für das Hermetische einer poetischen Prosa und nicht zuletzt die Anstrengung des Verstehens vorauszusetzen. Das sind die Spuren des Avantgardismus einer klassischen Moderne, in dessen Linien sich Geissler ebenso beharrlich weiter bewegt wie in denen einer radikalen, kommunistischen Linken. Doch dieser Aufriss deutet es schon an: ein Kind essen ist vor allem ein Briefroman, die Korrespondenz der beiden alten Kommunisten und Spanienkämpfer Ole Blessie aus dem Rheiderland nahe der holländischen Grenze und von Kargow, der in Rostock lebt. Schon in Wildwechsel mit Gleisanschluß waren sie - ebenso wie einige weitere hier auftauchende Figuren - vorgekommen. Diese beiden jedenfalls sind es, die hier ihre "briefe wie küsse" tauschen, und es sind nicht zuletzt die Melodien ihres Liebesliedes, die in diesem Buch gesungen werden. ZITAT: alles böse hat sinn. der einzige unsinn ist die liebe. so ist sie unverlierbar. auf geht's! du weißt bescheid. wir gehen über die faßbarkeit aller sachen, über die rechenbarkeit der substanzen, über die logik der kanten, die schöne gestalt allen wissens hinaus weit aufeinander zu:

    So beschwört Ole in einem der Briefe einmal die Liebe, der er eigentlich viel skeptischer gegenübersteht als Kargow, denn "die liebe schützt nicht die liebe nützt nicht", wie er einmal schreibt. Aber gerade weil sie nicht nützt, weil sie unvernünftig ist und sich jeder Logik widersetzt - und hier sind sich die beiden Alten dann doch wieder einig - ist der Unsinn von Liebe in ihren Leben immer der wichtigste Antrieb gewesen, und das gilt in ihrer Perspektive gerade auch für die schier unzerstörbaren Energien ihrer kommunistischen Viten.

    Ach, Ole, es ist in der Liebe, auch in unserer Liebe, eine Gefährlichkeit. Es ist eine Unwirklichkeit, die angreift. Es ist wohl bedacht, daß der Marxismus das Reden von Liebe nicht kennt. Und doch, ich empfinde, wenn ich dich denke, unerhört Glück. Leise leise. Man darf es nicht sagen. Die Ungeheuerlichkeit. Das verbotene Wort. Eben kein Sinn. Schon wären wir lächerlich.

    Diese Verklärung der Liebe zum heimlichen Fundament ihres Kommunismus mag durchaus die Quintessenz der speziellen Lebensgeschichten dieser beiden Mittsiebziger sein, die selbst nach all den Niederlagen, die sie - einschließlich 1989 - haben hinnehmen müssen, von ihren Erfahrungen und Hoffnungen weder lassen wollen noch können. Was allerdings das Verhältnis von Liebe und Kommunismus in allgemeinerer Hinsicht anbelangt, so dürfte der einstweilen letzte Kommentar dazu wohl eher das berühmte "Ich liebe euch doch alle" des DDR-Staatssicherheitsministers Erich Mielke vor der Volkskammer gewesen sein; doch auf dieses geflügelte Wort hat Christian Geissler seine beiden unverdrossenen Protagonisten einer längst noch nicht postkommunistischen Linken nirgends eingehen lassen. Für Ole und Karbow sind die Umwälzungen von 1989 jedenfalls nur ein weiteres Datum der Niederlagen gegen die "Konterrevolution", deren Siege für sie aber auch immer nur vorläufige bleiben.

    Nun gut, sie haben gesiegt. Einstweilen. So sitzen sie auf uns drauf. Es wird sie aber ihr Sinn gegen Menschen vernichten , schreibt Karbow in einem Brief aus Rostock, in dem er auch davon berichtet, wie ihm an der Ostsee der Ast eines bei Böen von Windstärke Elf umstürzenden Baums den Arm durchspießt hat. Und dieses Bild von dem an einem Rapsfeld für sich stehenden Baum, den die aus unvermuteter Richtung einfallenden Böen niederreißen, wird für Kargow sofort zu einer Allegorie für ihre Niederlage und den Zusammenbruch der DDR. Nicht zu übersehen sind in dieser Allegorie dann allerdings auch die Spuren einer dieses Mal gewissermaßen kommunistischen Dolchstoßlegende:

    Wenn Du aus einer langen Geschichte stets von der gleichen Seite den Druck hast, die Faust, das Eisen, den Hauch aus Haß stets aus der gleichen Bedingung, sage ich mal: aus der Macht der Interessen der Diebe, dann entwickelt der Baum, oder es bricht Dich um, einseitige Strukturen der Härte. Er schafft sich gewiß verlaufende Fasern, Faserverknüpfungen. Widerständig beständig organisiert das Holz sich im Holz. Aber nach einer einzigen Seite. Gegen den Feind. Der uns bekannt ist. Ich sage mal: West. Und plötzlich jetzt, in diesen Tagen, mit Böen um elf aus Ost, lässt der Feind von der anderen Seite, der freien, unserer, seine Kraft gegen Dich los. Aus einem offenen Lachen der Stoß in ein offenes Lachen. Sagen wir, der Verrat fünfundachtzig, unterm Stirnhaar der rinnende Fleck. Da trifft die nun anrennende Gewalt den Baum wie aus Traum. Nun gut. Nicht ganz. Phantasten waren wir nie. Aber doch. Auch im Untergrund ist nach dort hin, von dort her, nichts vorbereitet, die Verwurzelungen in der sturmstoßentwöhnten Region sind zart. Ach Bruderschuß ach Luderkuß! Es ist dem Baum, als schösse der Wind gegen ihn aus einem Raum weit hinter der Front.

    Wenn nichts den Verrat so leicht wittert wie die Empfindlichkeit der Liebe, dann geht es offenbar der Liebe zum Kommunismus ähnlich. Glücklicherweise beschränken sich diese Briefe nicht darauf, nur mittels solcher Legenden zu "konspirieren". Denn für das Verständnis, woran der östliche Realsozialismus scheiterte, lässt sich ja nicht allzuviel gewinnen, wenn nun Gorbatschow, dem Mann mit dem rinnenden Fleck unterm Stirnhaar, nur betonköpfig die Rolle des Verräters zugewiesen wird. Durch die Briefe der beiden Männer - die sich fünf Jahre nach der Vereinigung durch die Zeit vom 3. November bis zum 3. Oktober erstrecken - zieht sich vielmehr ein Geflecht von Erinnerungen ihrer Lebensstationen, von Reflexionen zur Politik und Gegenwart und von Beobachtungen aus ihrem Alltag. Eigentlich hatte Karbow Ole zuerst nur vorgeschlagen, zusammen ein Kinderbuch zu schreiben. Doch Ole schreibt sofort zurück, dazu nicht den Mut zu haben. Sein Verhältnis zu Kindern ist höchst zwiespältig, sie stören ihn entweder oder tun ihm leid:

    nein. sie haben nicht verdient, was wir ihnen zubereiten. unter den bunten helmchen, in den körben der multimärkte, rollt das dahin unterm schenkelschatten kauender mutterblondinen, aus billigknackwurst das ferkelface einer kalten brut, süß verödet lügenstarr schlagbereit käuflich ,

    lässt er den Freund wissen, und fügt dann - sehr genau gezielt auf ihrer beider Gedächtnis einstiger Schreckensbilder - hinzu:

    der malach jagt im transport ab drancy, heute der jahrestag, jacques wlademirsky, daniel sulz, lydia kirzner, die tage und nächte aus kot. und ein kind, das mitten im viehkarren saß zwischen toten, das lallte verträumt: und das fährt und das fährt und das fährt. dadadám dadadám dadadám. das war unser kind, kargow. es ist getötet. alle farben versammelt in seiner asche aus grau. ja. deswegen. nein.

    Das will heißen: der Blick für die Gegenwart ist unter der Asche von Schreckensbildern aus der Nazi-Zeit regelrecht verschüttet, und das betrifft keineswegs nur das für Ole unmögliche Kinderbuchprojekt von Karbow. Vielmehr sind - wie schon in Wildwechsel mit Gleisanschluss - auch hier Bilder der Vergangenheit allgegenwärtig und wirken bei den Urteilen der beiden alten Antifaschisten zu den deutschen Verhältnissen der 90er Jahre und in ihren Blicken auf die Rostocker und Rheiderländer Gegenwart wie hochempfindliche Sensoren. In ihren Briefen sind jedenfalls die davon ausgelösten Alarmsirenen vor einem sich fortsetzenden oder auch erneuernden Faschismus ständig zu hören; etwa als Ole, zu dem manchmal Dorfjugendliche kommen, um Zigaretten zu rauchen und manches loszuwerden, von einem dieser Besuche berichtet:

    nach unserem letzten händedruck, schon draußen unter den stockrosenhummeln, versuchte der jüngling aus seinem ins böse freigerissenen mund einen bericht aus der bundeswehr mir zu geben. es wird so geredet, von einem, der nicht gehorsam war. grünes haar, bisschen weich, weißt wohl. kameradenhatz. fallgrubensturz. von oben bepissten den mann in der grube die, die gehorchen. das warnt. das warnte den jungen mann jetzt. als mehrere juden im synagogenbrand am siebenundzwanzigsten juni neunzehnhunderteinundvierzig zu bialystok vor dem deutschen offizier auf die knie fielen und ihn um den schutz der wehrmacht anflehten, ließ ein marinesoldat aus emden seinen hosenlatz herunter und urinierte auf sie, während der oberst sich abwandte.

    Während Ole auf diese Weise eine gerade Linie von der Wehrmacht zur Bundeswehr zieht, stehen bei Karbows Beobachtungen eines alltäglichen Neufaschismus allerdings immer auch die eigentümlichen Verwerfungen von Lebensläufen mit im Hintergrund, die sich nach der Wende in der ehemaligen DDR zutrugen.

    Ein ehemaliger Grenztruppenoffizier hat auf begehrtestem Altstadtterrain seit einiger Zeit eine Kneipe, baltische Feinschmeckereien, der Koch ist ein Landsmann von Kalman. Die Kneipe heißt "Gulag". Das Licht auf den Tischen kommt aus sibirischem Öl, aus handgebogenen Blechkonstruktionen. Das Blech, das liest sich aus Schriftzeichenresten, stammt von Konserven aus sowjettadschikischen Fruchtkombinaten. Gar keine Hürde. Jetzt ist dort Hunger. Nicht hier. Sondern grenzenauflösender Duft aus Gewürz, das Edelflüstern gehobener Stände, erhobener Hände. Die Kellner, Billiglöhner mit dunklem Gesicht aus Ulan Bator und Alma Ata, ganz Fratze des Bolschewismus, fehlt bloß noch das Messer quer, tragen Bewacherkleider, aufgekauft, eingeflogen aus Niznevartovsk, im Holster das Wechselgeld. Im Laufe des Abends, die Leitung des Hauses, der eine, der andre, tritt zu einem Gast an den Tisch, sind Sie zufrieden, mein Herr, gibt es Beschwerden, beide in Uniform, der Chef NVA-Oberstleutnant, SS-Wiking der Koch. Alle sind leise. Nur einer ist plötzlich laut. Im Thekenbereich hockt ein Papagei. Aus den Übungsstunden mit seinem Chef ruft er Freundschaft, Frieden, Fortschritt, Aufbau, Menschheit, Rotfront und Walter und Erich und Margot und Lotte. Pfeift auch die ersten vier Töne der Hymne. Kann auch zwei ganze Sätze, Der Klassenfeind schläft nie, und: Holger, der Kampf geht weiter.

    In Christian Geisslers neuester Besichtigung der deutschen Nachwendelandschaft halten die Magneten des Vergangenen seine beiden alten Helden des Widerstands fest auf ihren alten Linien. Man kann es sich natürlich leicht machen, indem man Geisslers widerspenstige Kommunisten für ähnlich aus der Zeit gefallen erklärt wie seine widerspenstige Prosa, die teilweise sogar noch verschlossener geworden ist. Diese Hermetik ist in "ein kind essen" im übrigen am deutlichsten an einem seperaten Sprachstrang zu sehen, den Geissler immer wieder die Briefe der beiden Alten unterbrechen läßt. Bei diesen kursiv abgesetzten Wortkaskaden handelt es sich um dahinjagende innere Monologe von Honken und Silvi, einem Ehepaar, das sich in der Nachbarschaft Oles in ihrer Werkstatt für Luxusschlitten einer großstädtischen Klientel ständig abrackert, um mit den Bankkrediten nicht in Verzug zu kommen. Honken, ein ehemaliger Bundesgrenzschützer, hat aus Gründen, über die er beharrlich schweigt, nach der Schießerei mit RAF-Terroristen in Bad Kleinem die Uniform ausgezogen und sich mit seiner Frau selbständig gemacht. Alex, ihr einziges Kind, ist immer bei ihnen in der Werkstatt:

    Wir hatten bestimmt, dass er mit uns zusammen lernt vom ersten Tag. Oder nichts lernt. Mein Mann hat kämpfende Einheit gesagt. Er hatte so was. Der Junge nicht. Das war voruntersucht. Ich hätte abgetrieben. Mit meinem Mann geht das nicht. Männer mögen Kinder, weil sie Angst haben vor der Frau. Angst sind auch Kräfte. Die von uns haben wir in die Werkstatt getan. Gnadenlos Gasfuß

    So spricht Silvi in einer der weniger kryptischen Passagen dieser Monologe einmal darüber, wie es dazu kam, daß ihr Kind tot ist. Denn Alex, der ständig Metallstaub und den Lackdünsten in der Werkstatt seiner Eltern ausgesetzt war, ist daran bald gestorben. An den sich überschlagenden und ins Wahnwitzige überschießenden Monologen der beiden Eltern lässt sich nur ahnen, dass sie so versuchen, den Tod des Kindes und das zerrüttete Leben ihrer "kämpfenden Einheit" von Familie in Worte zu fassen:

    im zielkorridor ganz leicht überkauft an den schadarmen vollholzsarg ohne pilot im tiefflug ist gott realist mit datenhandschuh auch schon der papst unter wintergänsen am tiefpunkt deutschlands arbeiten silvi und ich gegen den tag da unser sohn von der fahne geht wie mir die rede aus scheiße durch meinen armen kopf bin ich spitzenmäßig der eisberg der aufreißt der axtschlag der mich entfesselt zu einer rose im nebel aus einer sehr leichten leiche weich gepanzertes lächeln wollen wir treiben sehen laserblind fersensporns trost los!

    Man ahnt zwar, dass sich solche Sprachzerrüttungen für Christian Geissler aus den Zerrüttungen dieser gleichermaßen von Schuld und Schulden zerfressenen Familienverhältnisse begründen; im übrigen geht auch der Titel des Buches auf diese Verhältnisse zurück, die ja "ein kind essen" wie in archaischen Verhältnissen einst die Väter ihre Kinder. Doch mit dem Sprachstakkato dieser Familientragödie ist Geissler zweifellos schon jenseits der Grenze dessen angekommen, was sich in literarischer Sprache sagen lässt, ohne wie ein später Hölderlin des ausgehenden 20. Jahrhunderts in weitgehend unzugängliche Sprachabgründe zu stürzen. Trotzdem würde man sich's dann doch wohl ein wenig zu leicht machen, diesen widerspenstigen Briefroman mit Liebeslied sowohl literarisch wie politisch einfach nur einer abgelaufenen Zeit zuzuordnen. Denn einerseits überragt Geisslers eigenwillige Prosa vieles von dem, was dagegen sprachlos und seicht durch eine oftmals viel zu gegenwärtige deutsche Literatur plätschert. Und wenn man andererseits absieht von dem Übermaß rückwärtsgewandter Perspektiven auf wie erstarrt wirkende Formen des Politischen in diesem Buch, so ist doch auf die Schärfe hier beharrlich akzentuierter Fragen in keiner Gegenwart politisch zu verzichten:

    Wer braucht wen für was. Wer lässt sich rufen von wem an welche Waffe. Wer sagt das Ziel, wer zielt. Wer befiehlt. Wer gehorcht.