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Ein klares Jein der Deutschen

Mit der Resolution 1973 werden die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen autorisiert, um Zivilisten in Libyen zu schützen. Die deutsche Regierung reagierte mit einer Enthaltung. Eine Entscheidung, die auch in den politischen Zeitschriften diskutiert wird.

Von Norbert Seitz | 23.05.2011
    Wochenlang herrschte Unverständnis über die deutsche Enthaltung im Weltsicherheitsrat zu einem vereinten militärischen Eingreifen in Libyen. Einer, der der umstrittenen deutschen Position etwas mehr Gerechtigkeit widerfahren lässt, ist der Politologe Heinz Theisen. In der liberal-konservativen Zeitschrift "Mut" begründet er, warum die Vorsicht von Kanzlerin Merkel und Außenminister Westerwelle zum Ausgangspunkt einer neuen Strategiedebatte werden könnte:

    Die Zurückhaltung Deutschlands gegenüber einem militärischen Eingreifen in Libyen beruht noch nicht auf einer neuen außenpolitischen Strategie, aber auf einer neuen Vorsicht, die nach den gescheiterten Interventionen des Westens in Afghanistan und im Irak doch zumindest diskutabel sein sollte. Da etwa auch der amerikanische Verteidigungsminister vor einem Eingreifen in Libyen gewarnt hatte, ist die sogenannt "Isolation Deutschlands" ein Märchen. Es geht um den legitimen Streit zwischen den zur Vorsicht und Skepsis neigenden Realisten und den optimistischeren und daher interventionsbereiten Idealisten.

    In der SPD-nahen Zeitschrift "Neue Gesellschaft" geht der Kommunikationswissenschaftler Kai Hafez nicht nur von zwei, sondern drei Schulen der westlichen Außenpolitik aus:

    Die "Realisten" stellen die nationalen Interessen in den Vordergrund. "Neokonservative" wie ehemals George W. Bush suchen nationale Interessen über einen Demokratieexport, notfalls auch militärisch, zu erreichen. Ihre Mittel sind aus humanitärer Sicht oft kritikwürdig, aber ihre Ziele zeugen zumindest teilweise von einem positiven Menschenbild, das Demokratie überall für möglich hält.

    Schließlich gibt es unter den Realisten noch die "liberalen, humanitären Interventionisten", die nicht zuletzt bei den deutschen Grünen zu Hause sind:

    Sie rechtfertigen die Notwendigkeit einer grenzüberschreitenden Intervention für die Werte von Menschenrechten und Demokratie und verurteilen den eiskalten Realismus nationalstaatlicher Interessenpolitik.

    Doch mit der unklaren Zielsetzung der militärischen Intervention - es gibt kein UN-Mandat zum Regime Wechsel - wächst auch die Kritik an dem ganzen Unterfangen. Der US-amerikanische Journalist William Pfaff setzt sich in den "Blättern für deutsche und internationale Politik" scharf mit den Fallstricken einer Intervention auseinander:

    Die innere Auseinandersetzung in Libyen lässt sich nicht auf die Formel >Gaddafi gegen das Volk< reduzieren. Es geht vielmehr um die Stammesbindungen arabischer und berberischer Bevölkerungsgruppen. Politiker, Strategen, Militärs und selbst Menschenrechtsenthusiasten täten gut daran, sich nicht plump in Verhältnisse einzumischen, von denen sie keinen Schimmer haben.

    Hierbei stellt sich auch die grundsätzliche Frage, ob Kriege überhaupt Geburtshelfer von Demokratien sein können und in welchem Ausmaß demokratische Interventionen bislang erfolgreich waren. In einer empirischen Betrachtung der links-liberalen Zeitschrift "Vorgänge" kommt der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel dabei zu einem eher ernüchternden Ergebnis:

    Demokratische Interventionen führen nicht selten zu kurzfristigen Demokratieerfolgen. Längerfristig sind stabile demokratische Regimeformen nach einer bewaffneten Intervention eher die Ausnahme als die Regel. Am häufigsten streifen die Nachkriegsordnungen ihren offen autokratischen Charakter ab und werden zu hybriden Regimen, selten aber zu konsolidierten Demokratien.

    Solche hybriden Zwischenregime - wie momentan das in Ägypten - sind statistisch betrachtet, so Wolfgang Merkel:

    ... signifikant gewaltbereiter, kriegsanfälliger und bürgerkriegsgefährdeter als reife Demokratien oder stabile autokratische Systeme.

    Nicht alle schätzen die Lage so skeptisch ein. Der Politikwissenschaftler Thomas Speckmann zum Beispiel sieht in Libyen die erfolgreiche "Tradition britischer und französischer Interventionen fortgesetzt." Bengasi sei in letzter Minute vor einem Massaker bewahrt worden. In der CDU-nahen Zeitschrift "Die Politische Meinung" schreibt er:

    Und wie bereits auf dem Balkan wird es auch im libyschen Bürgerkrieg nur eine Frage der Zeit gewesen sein, bis die erneute Allianz aus westlichen und islamischen Staaten den gemeinsamen Gegner zum Einlenken gezwungen haben wird.

    Was also lehrt uns die aktuelle Kontroverse um demokratische Interventionen und ihre Erfolgsaussichten? Der Ex-Botschafter in den USA und Großbritannien Wolfgang Ischinger dazu in der Zeitschrift "Cicero":

    Jeder militärische Einsatz sollte nicht nur völkerrechtlich, politisch und moralisch umfassend und nachhaltig legitimiert und von den Kräften in der Region mitgetragen werden, sondern er muss Teil einer klar definierten und mit den verfügbaren Mitteln auch erreichbaren strategisch-politischen Gesamtzielsetzung sein. Sonst Finger weg! Denn gerechte Kriege gibt es - mit André Glucksmann gesprochen - nicht, sondern nur notwendige.