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Ein kleiner Film wird zu Musiktheater

Erstaunlich die Vielfalt der Mittel. Schwierig genug, einen Film mit seinen ungezählten Möglichkeiten durch Schnitt und Kameraführung Spannung zu erzeugen, rückübertragen zu wollen auf die Bühne. Im Einsatz sind hier eine fest installierte Videokamera, drei Leinwände, wenig Requisiten, sechs Darsteller, die auch als Rockband sich formieren, und ein stattlicher Posaunenchor.

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Lars von Triers Film aus dem Jahre 1987 Epidemic, sein zweiter, ist ein Film übers Filmemachen. Trier und sein Co-Autor Niels Voersel wollten darin in fünf Tagen ein Drehbuch schreiben über einen Doktor Mesmer, der eine Epidemie zu heilen versucht, deren Bazillenträger er selber ist, ohne es zu merken.

    Es ist ein Philosophieren über deutsche Mythen und Märchen. Der Bogen reicht von den Erzählungen über die Pest des 14. Jahrhunderts, die damals ein Drittel der europäischen Bevölkerung hingerafft haben soll, über die Entdeckung der Zusammenhänge von Körper und Seele am beginnenden 19. Jahrhundert bis zu Wagners Tannhäuser und den segensreichen Wirkungen des Aspirin.

    Auch bei Sebastian Baumgarten und seinem musikalischen Co-Autor Ari Benjamin Meyers ist das eine bunte Mischung von epischem Rampenerzählen, märchenhaften Spielszenen, karikaturistischen Sketchen und musikalischen Einlagen zwischen Hard-Rock und Wagner-Parodie, wobei die Sprünge und Brüche doch teils etwas abenteuerlich und auch nicht unbedingt originell sind.

    Tannhäuser etwa firmiert hier vor allem als Fremdkörper der Wartburg-Gesellschaft, ein Bazillus der eigenen Art.

    Was dem Abend vor allem mangelt, ist ein sicheres Gespür für Timing und Spannungsbögen. Allzu sprunghaft erscheint vieles. Und der anfängliche Überraschungseffekt der Videokamera mit auf- und zuklappbarer Linse, vor dem die Darsteller hektische Zooms imaginieren, indem sie ihr Gesicht schnell nähern und wieder entfernen, erschöpft sich schon bald.

    Überhaupt die Darsteller: Eher laienhaft agieren sie auf der Bühne, vor allem der als Trier-Alter-Ego eingesetzte nölige Lars Rudolph, der sich dann mit Fliegermütze auf dem Kopf im Auto der deutschen Industrielandschaft an Rhein und Ruhr nähern und mitten ins Volle der deutschen Chemie greifen muss. Filmeinspielungen über die Opfer der IG Farben sollen da eine Gefährlichkeit simulieren, die dem Abend ansonsten abgeht.

    Baumgarten, der sich einen gewissen Namen gemacht hat durch seine Versuche eines radikalen Umbaus des tradierten Opern-Repertoires mit Inszenierungen vor allem in Kassel und zuletzt in Meiningen, erweist sich hier, wo er ein Stück selbst strukturieren könnte, doch als erstaunlich unsensibel für Dramaturgien.

    Zwar wird in diesem "Musiktheater nach Lars von Triers Epidemic viel auch diskutiert übers Bauen effektvoller Geschichten: die Zutaten, die Umschwünge. Am wirkungsvollsten, heißt es da einmal, sei das Ausbeuten des Leids anderer Menschen. Und von da schließt sich für von Trier wie auch für Baumgarten wohl der Bogen zur deutschen Chemie.

    Das Filmmanuskript, das die beiden Autoren des Spiels im Spiel nach den fünf Tagen ihrem Produzenten präsentieren - ein ursprünglich gebasteltes Drehbuch war vom Speicherort Diskette verschwunden, sie konnten sich selbst nicht mehr daran erinnern und der Abgabetermin drängte, so der Plot -, dies neue Manuskript hat nur zwölf statt der üblichen 150 Seiten.

    Der gut 100minütige Abend zeigt eine Werkstatt, ein Labor. Es ist die Suche nach einem neuen Erzählen auf der Bühne - und auch nach von Triers nun nicht weiter ergründbaren Wagner-Affinitäten. So manche Zuschauer sind von den Ergebnissen indes nicht überzeugt und verlassen das Hebbel-Theater am Ufer vorzeitig. Am Schluss dennoch langer Beifall.