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Ein klitzekleines Orchester

Benannt nach dem Erbauer der Berliner Philharmonie, Hans Scharoun, hat das erweiterte Scharoun Ensemble Berlin Beethovens Septett, opus 20, und sein Sextett, op. 71, aufgenommen.

Redakteurin am Mikrofon: Maja Ellmenreich |
    "Tudor 7146
    LC 02365
    812973011460"

    Nicht nur Brandenburger Tor und Fernsehturm, sondern auch sie ist ein Wahrzeichen der Hauptstadt: die Berliner Philharmonie, zwischen Potsdamer Platz und Tiergarten mitten im inzwischen nicht mehr ganz so neuen Zentrum der wiedervereinigten Metropole gelegen. Mit ihrem zeltartigen Dach und dem goldgelben Äußeren ist sie ein Hingucker, die Heimstatt der Berliner Philharmoniker.

    Und nicht nur Kenner wissen, dass ihr Erbauer der Architekt Hans Scharoun war. Weshalb gerne auch vom "Scharoun-Bau" die Rede ist. Ihm zu Ehren haben sich Mitglieder der Berliner Philharmoniker 1983 den Namen "Scharoun-Ensemble" gegeben. Eine achtköpfige Kammermusikformation, die mit ihrer Besetzung - halb Bläser, halb Streicher - ein vielfältiges Repertoire spielen kann. Zum Beispiel das Septett für vier Streicher und drei Bläser, op. 20, von Ludwig van Beethoven. Gerade auf dem CD-Markt erschienen bei dem Schweizer Label Tudor. Unsere neue Platte heute Morgen!

    "Track 5
    3'04
    Scherzo. Allegro molto vivace
    aus Septett Es-dur
    op. 20"

    Im Ziel vereint. Alle sind am Schlussakkord des Scherzo beteiligt:
    Klarinette, Fagott und Horn; Geige, Bratsche, Cello und Kontrabass. Wie ein einziger, geschlossener Klangkörper tritt die Siebenerbesetzung bei Beethoven allerdings nicht allzu häufig in Erscheinung. Wenn, dann erfüllt der voluminöse Tutti-Klang meist eine Funktion: Gemeinsam werden Akzente gesetzt, Überleitungen markiert oder Schlussworte formuliert.

    Die meiste Zeit aber kombiniert Beethoven die sieben Instrumente nach Lust und Laune miteinander: Mal mischt sich Ähnliches, mal kontrastiert Gegensätzliches. Immer wieder neu, immer wieder anders. Und nie hält Beethoven an einer Konstellation lange fest, der besondere Reiz liegt in der Abwechslung.

    Schon gleich im ersten der insgesamt sechs Septett-Sätze probiert Beethoven auf engstem Raum eine ganze Reihe Kombinationsmöglichkeiten aus. Zunächst ist alles in Streicherhand: Die Geige bestimmt das Spielgeschehen, Bratsche und Cello begleiten lediglich. Nach gerade mal zehn Takten ändert sich alles: Jetzt übernimmt die Klarinette die Führung, die Streicher sorgen für einen federnden Untergrund, Fagott und Horn für Impulse. Doch schon bald wechselt Beethoven wieder die Register - bevor auch nur Langeweile aufkommen kann.

    "Track 1 (Ausschnitt)
    2'07
    Allegro con brio
    aus Septett Es-dur
    op. 20"

    Außergewöhnlich, die Besetzung, die Ludwig van Beethoven 1799 für sein Septett, opus 20, gewählt hat: Da sind zum einen vier Streicher - nicht in der klassischen Quartettbesetzung, sondern von ganz hoch bis ganz tief. Der Kontrabass ist - wie so oft in der Kammermusik - der besondere Clou. Tiefe und Wärme, Bodenhaftung und Resonanz steuert er bei. Zum anderen sind da die drei Bläser: die präsente, der menschlichen Stimme so ähnliche Klarinette; das samtig weiche Horn und das bisweilen näselnde Fagott.

    Eine beachtliche Bandbreite an Klangfarben und -charakteren hat Beethoven da vereint und gleichzeitig so etwas wie einen Prototypen geschaffen: ein kammermusikalisches Ensemble aus Bläsern und Streichern, ein klitzekleines Orchester, das aber nicht so klingen soll, als wär's ein ausgewachsenes. Auf diesem Gebiet sollte sich später nicht nur Schubert an Beethoven orientieren.

    Und er selbst? Woher war seine Inspiration gekommen? Von Mozart - ohne Zweifel. Denn der hatte sich ganz hervorragend darauf verstanden, gefällige, mehrsätzige Unterhaltungsmusik zu schreiben: Serenaden für die sommerliche Spätmusik unter freiem Himmel. Während der Österreicher Mozart nichts daran fand, für den Publikumsgeschmack zu schreiben, tat sich der Wahlösterreicher Beethoven offensichtlich schwerer mit der leichten Unterhaltung. Begeisterung bereits bei der Uraufführung und schon bald ein fester Platz im Kammermusikrepertoire, das stimmte Beethoven eher skeptisch als froh. Er nahm Abstand vom eigenen Werk.

    Die Unterscheidung in E und U, in ernste Musik und Unterhaltungsmusik, in vermeintlich Gut und Böse - diese Unterscheidung gibt es offensichtlich schon seit Jahrhunderten. Tatsächlich ist Beethovens Septett durchaus fasslich, eingeteilt in überschaubare Abschnitte, bestimmt von klar umrissenen Melodien, kommt es ohne vertrackte Motivverarbeitung aus. Es ist - untypisch für den Grübler Beethoven - ein fast durchweg unbeschwertes Stück Musik, aber dennoch keineswegs banal. Allein im Variationensatz zeigt Ludwig van Beethoven seine ganze Kunst: Zum einen variiert er das Thema äußerst originell; zum anderen lässt er jedes Instrument zur Geltung kommen, jedes auf eine andere Art und Weise.

    "Track 4 (Ausschnitt)
    4'21
    Tema con Variazioni
    aus Septett Es-dur
    op. 20"

    Nicht nur Geige und Klarinette gilt die Aufmerksamkeit im Variationensatz: Hier darf jeder mal den Ton angeben und aus dem Hinter- in den Vordergrund treten. Umso offensichtlicher wird dabei, dass die Musiker des Scharoun Ensembles in der Ersten Liga spielen. Sie sind Teamplayer und Einzelkämpfer zugleich: Orchester-, Kammer- und Solo-Musiker. Alle diese Rollen sind im Beethoven-Septett auch gefragt. Und der Rollenwechsel vollzieht sich meist in Blitzesschnelle.

    Alles kein Problem für die hervorragenden Musiker des Scharoun Ensembles, die sich offensichtlich nicht mit dem Orchesterspiel bei den Berliner Philharmonikern zufrieden geben. Und sie sind nicht die einzigen in Deutschlands führendem Orchester, die zum Ausgleich oder als Ergänzung Kammermusik machen. Wirft man einen Blick auf die Website der Berliner Philharmoniker, findet man über 30 Kammermusikensembles, die die philharmonischen Orchestermusiker gegründet haben. Schließlich musizieren im Orchester "128 Instrumentalisten von Weltklasse" - wie es offiziell heißt. Ein Musikerpool, aus dem das Scharoun Ensemble Berlin immer wieder schöpft, wenn es die Literatur erfordert.

    So geschehen beim zweiten Stück auf der CD, die gerade bei dem Label Tudor erschienen ist. Für Beethovens Opus 71, ein Sextett für zwei Klarinetten, zwei Hörner und zwei Fagotte. Dafür gesellten sich zu den drei Scharoun-Bläsern weitere Kollegen aus den Philharmoniker-Reihen.

    Ein bisschen irreführend ist die hohe Opuszahl 71, denn aller Wahrscheinlichkeit nach hat Beethoven auch dieses Kammermusikwerk - wie das Septett - in seinen ersten Wiener Jahren geschrieben, womöglich 1796. Damals erarbeitete er sich nach und nach alle möglichen Gattungen. Er wollte sich ausprobieren, auch auf dem Feld der so genannten Harmoniemusik: Das waren Bläserensembles, die bei Hofe zu festlichen Gelegenheiten aufspielten. Ihr Repertoire? Meist beliebte Opernmelodien, aber auch Originalkompositionen. Eine solche schrieb also Ludwig van Beethoven mit seinem Sextett.

    "Track 7 (Ausschnitt)
    1'36
    Adagio - Allegro aus Sextett
    op. 7"

    Wie beim Septett reihen sich auch beim Sextett klar definierte Phrasen aneinander. Auch hier hat sich Beethoven weitgehend an die Konventionen der Gattung gehalten. In "einer Nacht" nur will er sein Bläsersextett geschrieben haben, wie er einmal berichtete. Und später tut er seine Komposition auch noch als "frühe Arbeit" ab.

    Da ist Koketterie mit im Spiel, denn auch wenn Ludwig van Beethoven mit seinem Es-dur-Sextett ein Stück gefällige Musik geschrieben hat, hat er alles andere als Mittelmaß abgeliefert. Trotz selbst auferlegter Beschränkung auf die drei Klangcharaktere Klarinette, Horn, Fagott ist es ihm gelungen, eine gewaltige Vielfalt zu erzeugen. Und die bringen am besten die Besten der Besten zur Geltung: die Bläser des Scharoun Ensembles und drei Philharmoniker-Kollegen. Selbstverständlich spielen sie präzise und klangschön, sie verstehen es, sich zu mischen und voneinander abzugrenzen. Vor allem aber wissen die Scharoun-Musiker, einen Ensembleklang zu produzieren.

    "Track 9 (Ausschnitt)
    0'58
    Menuetto. Quasi Allegretto
    aus Sextett
    op. 71"

    Kammermusik von Ludwig van Beethoven. Das erweiterte Scharoun Ensemble Berlin hat Beethovens Septett, opus 20, und sein Sextett, op. 71, aufgenommen. Die neue Platte ist bei dem Schweizer Label Tudor erschienen und Ihnen vorgestellt worden von Maja Ellmenreich.