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Ein Königreich der Angst

Mit tatkräftiger Hilfe Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate wurde im Frühjahr die Demokratiebewegung in Bahrain von der Regierung niedergeschlagen. Vier Monate danach herrschen in weiten Teilen der Bevölkerung Angst und Misstrauen.

Von Carsten Kühntopp | 09.07.2011
    Als die saudischen Soldaten kamen, blieb Bahrains Schiiten nur noch eines - auf die Dächer zu steigen und ihren Protest in den Nachthimmel zu rufen:

    "Gott ist groß."

    Dieser Ruf hallte jeden Abend durch die schiitischen Dörfer in Bahrain, als die Regierung Mitte März die Demokratiebewegung niederschlug, mit tatkräftiger Hilfe Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate. Einen Monat lang waren Zehntausende auf der Straße gewesen, um zu protestieren. Bei den größten Kundgebungen kamen mehr als 100.000 zusammen, nicht weniger als ein Fünftel des Staatsvolkes. Inspiriert von den Ereignissen in Tunesien und Ägypten wollten sie den König, Scheich Hamad bin Isa al-Khalifa, an sein Versprechen vor zehn Jahren erinnern: dass er Bahrain auf den Weg zu einer konstitutionellen Monarchie bringen würde.

    Der Konflikt in dem winzigen Inselstaat reicht Dekaden zurück. Im Kern geht es darum, dass sich Bahrains schiitische Bevölkerungsmehrheit vom sunnitischen Königshaus wie Bürger zweiter Klasse behandelt fühlt. Der Konflikt ist aber kein religiöser, denn die Forderungen an den König sind ausschließlich politischer Art. So, wie einige wichtige schiitische Familien das Herrscherhaus stützen, finden sich auch Sunniten im Lager der Opposition.

    Doch nach den ersten blutigen Übergriffen von Sicherheitskräften im Februar kippte die Stimmung mehr und mehr. Die jungen Menschen, die auf dem Perlenplatz in Manama eine Zeltstadt errichtet hatten, nach dem Vorbild der Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo, verlangten plötzlich mehr als nur Reformen.

    "Down, down, Hamad!"

    Dass der König gehen muss - dieser Sprechchor war plötzlich immer öfter zu hören. Und damit ging es auf einmal nicht nur für Bahrains Monarchen, sondern auch für die anderen arabischen Herrscher am Persischen Golf ans Eingemachte. Aus ihrer Sicht war Bahrain die Front, an der es jetzt galt, die arabische Protestwelle zu stoppen. Die Niederschlagung der Demokratiebewegung war systematisch und gründlich, sagt Nabil Rajab, Bahrains bekanntester Bürgerrechtler:

    "In den letzten Monaten verloren viele Menschen ihren Arbeitsplatz oder wurden suspendiert, weil sie Schiiten sind - und zwar nicht weniger als fünf Prozent der berufstätigen Bevölkerung. Von je 1000 Bürgern sitzen mindestens zwei Prozent als politische Gefangene in Haft - die höchste Rate auf der Welt. Viele starben, Hunderte wurden verletzt, Dutzende werden nie mehr ein normales Leben führen können, weil sie durch Misshandlungen ihr Augenlicht verloren oder nun querschnittsgelähmt sind. Das ist das Klima im Land."

    Bahrain war das erste Land am Golf, das Öl exportierte; entsprechend früh kam es mit dem Westen in Berührung - das prägte: Schon vor Jahrzehnten gab es hier Gewerkschaften. Doch nun hat sich der Charakter des Landes auf erschreckende Weise geändert, meint Mansour al-Jamri; al-Jamri war bis April der Chefredakteur der unabhängigen Zeitung "Al-Wasat", dann wurde er gefeuert und das Blatt auf Regierungslinie gebracht.

    "Das rigorose Vorgehen gegen die Bürgerrechte und persönliche Freiheiten, wie die freie Meinungsäußerung, ist sehr deutlich. Bahrain ist heute völlig anders, als früher. Vor der Niederschlagung hatten wir eine lebendige Zivilgesellschaft, es gab eine freie Debatte, wir hatten eine unabhängige Zeitung, die ihre Stimme erhob. Aber jetzt wurde praktisch jeder zum Schweigen gebracht. Und wer doch etwas sagt, riskiert sein Leben oder seine berufliche Karriere."

    Langsam wird sich Bahrains Regierung bewusst, wie sehr ihr Image Schaden genommen hat. Scheich Abdulaziz bin Mubarak al-Khalifa, Regierungssprecher und Mitglied der Herrscherfamilie, verspricht, dass man den Vorwürfen nachgehen wird. Dazu hat der König bereits einen Untersuchungsausschuss ins Leben gerufen, dem angesehene internationale Fachleute angehören. Scheich Abdulaziz:

    "Mit dieser Königlichen Kommission wird der Tatsache Rechnung getragen, dass viele Menschen und Organisationen eine völlig unterschiedliche Einschätzung der Ereignisse haben, Leute von außerhalb, Leute im Land. Was für eine kühne Entscheidung Seiner Majestät, diesen Ausschuss zu berufen, der die Wahrheit finden wird, und dann werden wir einen ausführlichen Bericht darüber haben, was genau passiert ist."

    In der Tat: Es dürfte das erste Mal sein, dass ein arabischer Herrscher ausländische Experten eingeladen hat, Regierungshandeln zu untersuchen. Doch der Grundpfeiler der neuen PR-Offensive Bahrains wirkt weniger ernsthaft - der Nationale Dialog, der seit einer Woche läuft. Dazu hat die Regierung 300 Teilnehmer eingeladen, aus allen möglichen Bereichen der Gesellschaft - selbst Vertreter von Behindertenverbänden. Der Opposition stellte die Regierung nur 35 Sitze zur Verfügung, davon fünf der größten Oppositionskraft, der schiitisch-religiösen Al-Wefaq. Al-Wefaqs Sprecher, Khalil al-Marzooq:

    "Versuchen Sie mal, auf der Teilnehmerliste die zu finden, die politisch in Bahrain von Bedeutung sind. Da werden Sie sehr wenige finden. Der Dialog findet statt, weil die internationale Gemeinschaft ihn vom König verlangt hat - aber tatsächlich wird die Opposition in diesem Forum verwässert. Al-Wefaq stellt nur fünf von 300 Teilnehmern - dabei bekamen wir bei der letzten Wahl 65 Prozent der Stimmen."

    Ebenfalls bemerkenswert: Die Regierung ist im Nationalen Dialog überhaupt nicht vertreten.

    Fast vier Monate nach Beginn der Niederschlagung der Demokratiebewegung herrschen Angst und Mißtrauen in weiten Teilen von Bahrains Bevölkerung. Kaum jemand glaubt, dass man an der Schwelle zu besseren Zeiten steht.

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