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Ein Königreich für die Fritte

Heiß frittierte Kartoffelstäbchen oder kurz: die Fritten gelten im Königreich Belgien als kulinarischer Genuss, wenn sie denn korrekt und nach Tradition zubereitet werden - und da könnte sich manche Fastfood-Kette noch eine Scheibe von abschneiden. Genossen wird die National-Delikatesse nicht im Edelrestaurant, sondern bevorzugt an der Frittenbude. Doris Simon hat in Brüssel und Umgebung professionelle Fritten-Bäcker, Fritten-Forscher und natürlich Fritten-Esser getroffen.

Von Doris Simon |
    " Außen knusprig, innen zart, sie ist wirklich außergewöhnlich."

    So muss sie sein, eine gute Fritte - da sind sich Belgier einig: Am besten frisch geschnitten, mit dem großen 13er Messer, das die typisch dicken Fritten hervorbringt. Und die Kartoffel muss natürlich von der Sorte Bintje sein - genau die richtige Menge Stärke. Und dann muss die Fritte zweimal gebacken werden und zwar in Rinderfett.

    Das Rinderfett verstärkt den Kartoffelgeschmack. Aber nur, wenn es frisch ist, sagt Martin Apers, der seit 45 Jahren in Brüssel Fritten bäckt:

    " Ich wechsele das Fett eigentlich immer zu früh. Wenn mein Händler kommt, um das alte Frittenfett mitzunehmen und mir neues zu bringen, sagt der mir immer: Das Fett ist doch noch gut, warum schüttest du es weg? Aber ich mache das schon immer so und am Ende sind meine Fritten so besser."

    Belgien ist wohl das einzige Land der Welt, das gleich mit einer Frittenbude auf die Welt kam : 1830, als das Königreich gegründet wurde, da wurden auch zum ersten Mal an einer Verkaufsbaracke geschnittene Kartoffeln frittiert. Seither haben sich Fritten und Frittenbuden einen festen Platz im Herzen der Belgier erobert. Paul Ilegems ist ein soignierter 60-Jähriger, der dem Thema Fritten und Frittenbuden sogar seine Kunstprofessur opferte: Vier Bücher hat er über sein Lebensthema veröffentlicht und auf der ersten Etage einer beliebten Antwerpener Frittenbude sein Museum eröffnet: Die Kunstwerke zum Thema Fritten dürfen auch mit fettigen Händen besichtigt werden:

    " Ja sicher. Das ist das einzige Museum, in das man mit einer Tüte Fritten in der Hand hinein kommt."

    Es sind vor allem die belgischen Frittenbuden, die den früheren Kunstprofessor Ilegems nachhaltig faszinieren. Er hat sie typisiert: Von der Frittenbude Typ Baracke über den feineren Chaletstil bis zur Villafrituur, da werden die Pommes Frites aus einem Anbau am Haus herausverkauft. Sie heißen Fritures oder Frietkots und Paul Ilegems hält sie für das Belgischste, was im Land zu finden ist:

    " Schon die Phantasie, die unterschiedliche Gestaltung und der oft absurden Humor, der aus einigen Frittenbuden spricht! Das gilt auch für das Improvisationstalent, die oft genug anarchistischen Züge, die eine Frittenbude auszeichnen, die sind für mich auch typisch für Belgien als Ganzes und für die Mentalität des Belgiers. Das ist jemand, der seinen Weg durchs Leben macht, der die Dinge nicht zu eng sieht, der keine Mühe hat, zu improvisieren und Ad-hoc-Lösungen zu finden. Das sehen wir ja auch in der belgischen Politik."

    Pommes Frites isst in Belgien fast jeder. Wer mittags oder abends durch belgische Städte läuft, kann Menschen jeden Alters und jeden Einkommens vor der Frittenbude treffen. Das hat auch der Anthropologieprofessor Patrick de Vlieger in Leuven erfahren, als er sich darauf verlegte, die Folklore und Kultur des eigenen Landes zu untersuchen. Seine Studenten sollten typisch Belgisches im wissenschaftlichen Feldversuch erkunden. Sie drehten daraufhin einen Film über die Bedeutung, die Frittenbuden für die Kultur eines Viertels haben.

    " Sie haben danach gefragt, was Fritten im Leben eines Studenten bedeuten: Für Studenten heißt das zum Beispiel, dass sie nicht unbedingt organisiert sein müssen, oder auch mal das Einkaufen vergessen können - Fritten kann man immer bekommen, auch wenn man nachts ausgeht und plötzlich Hunger bekommt."

    Etwa 5000 Frittenbuden gibt es in Belgien. Immer mehr sind keine Buden im klassischen Sinne, sondern in festen Räumen untergekommen. Das liegt auch an den Städten, die immer seltener dulden wollen, dass eine hässliche Bude das Stadtbild verunziert. Die 85jährige Jeannine findet es rundherum absurd, dass es den Frittenbuden im Barackenstil bald in ganz Belgien an den Kragen gehen könnte: Seit sie beißen kann, isst sie Pommes Frites. Und wo, das ist für Jeannine keine Frage:

    " Ich sage Ihnen, solche einfachen Frittenbuden machen die besten Fritten. Selbst wenn sie zuhause Pommes Frites backen, das schmeckt nie so gut wie hier. Die benutzen besondere Fette, aber ich darf das nicht weitersagen, das ist ein Geheimnis. "