Dienstag, 14. Mai 2024

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"Ein Krieg gegen Hamas und nicht gegen die Palästinenser"

Der israelische Historiker Moshe Zimmermann von der Hebräischen Universität Jerusalem rechnet damit, dass die militärischen Auseinandersetzungen im Gazastreifen noch etwa eine Woche andauern. Weder Israel noch die Hamas seien daran interessiert, dass dieser Krieg sich in die Länge ziehe. Allerdings versuchten beide Seiten, einen für sich günstigeren Waffenstillstand als vor zwei Wochen zu erreichen.

Moshe Zimmermann im Gespräch mit Sandra Schulz | 02.01.2009
    Sandra Schulz: Tag 7 der jüngsten Gewalteskalation im Nahen Osten. Erst gestern hatte Israels Außenministerin Zipi Livni eine Waffenpause erneut abgelehnt, den europäischen Forderungen zum Trotz. Die israelische Regierung will den Druck auf die radikale Palästinenserorganisation Hamas im Gaza-Streifen aufrecht erhalten. Ein Ende der israelischen Militäroffensive "Gegossenes Blei" zeichnet sich darum auch nach einer Woche nicht ab, denn der Raketenbeschuss der Hamas im Süden Israels geht weiter und im Gegenteil: Es wird mit einer Bodenoffensive gerechnet.

    Sind die Hoffnungen auf ein friedliches Miteinander in Nahost damit kleiner denn je? - Darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. In Tel Aviv haben wir den israelischen Historiker Moshe Zimmermann erreicht. Guten Morgen!

    Moshe Zimmermann: Guten Morgen, Frau Schulz.

    Schulz: Herr Zimmermann, kann Israel den Krieg gegen die Hamas gewinnen?

    Zimmermann: Heute ist es schwierig, überhaupt einen Krieg zu gewinnen, weil die Bedeutung des Gewinns sehr dubios ist. Was Israel anstrebt ist Ruhe im Süden des Landes und dafür führt man eben diesen Kleinkrieg oder diesen begrenzten Krieg gegen die Hamas. Man geht davon aus, dass die Hamas-Leute auch irgendwo Ruhe haben möchten und deswegen unter Druck von Vermittlern am Ende zu einer neuen Art von Waffenruhe kommen werden, die auch Israel befriedigen wird.

    Schulz: Es gibt aber auch Hinweise, die darauf abzielen, dass Israel die Zerstörung der Hamas will. Ist das ein realistisches Ziel?

    Zimmermann: Auch die Israelis und das israelische Militär machen sich keine Illusionen. Man kann ja eine politische Organisation und eine soziale Organisation wie Hamas nicht mit Bomben zerstören. Man versucht aber - und das ist auch ein Ziel -, innerhalb des palästinensischen Lagers den alten Kräften wieder mehr Platz zu räumen. Der Krieg heute ist ja ein Krieg gegen Hamas und nicht gegen die Palästinenser. Ein Teil der Palästinenser in der Westbank hat ja die eigene Führung, und diese Führung wäre für Israel als Partnerin viel angenehmer als Hamas. Das ist auch ein Ziel der israelischen Attacke der letzten Woche.

    Schulz: Jetzt hat Israel das Westjordan-Land gerade mit einer Einreise- und Ausgangssperre belegt. Mit welcher Entwicklung rechnen Sie im Westjordan-Land?

    Zimmermann: Das Problem im Westjordan-Land ist, dass dort auch so genannte Zellen der Hamas sich befinden, dass Terroranschläge von dort aus auch ausgehen können. Es könnte heute zu Unruhen in Jerusalem kommen während des Freitagsgebets. Das sind alles Überlegungen, die nicht spezifisch sind für diese Auseinandersetzung von heute. Entscheidend ist eben, inwieweit Israel diesen Kleinkrieg gegen Gaza entscheiden kann, wie eben gesagt für einen neuen Waffenstillstand oder eine Waffenruhe, die günstiger sein wird als die Waffenruhe bisher.

    Schulz: Warum sprechen Sie von einem kleinen Krieg?

    Zimmermann: Das ist ein Krieg gegen einen kleinen Feind. Das ist ja kein großer Krieg. Es geht ja um die anderthalb Millionen Araber, Palästinenser im Gaza-Streifen, die jetzt unter Beschuss von Israel stehen. Das sind die anderthalb Millionen, die unter Hamas-Regierung stehen und die israelischen Siedlungen in der Umgebung angreifen. Darum geht es. Auch aus der Sicht der Israelis - das ist etwas sonderbar - ist es ein Krieg etwa von zehn Prozent der Bevölkerung. Das heißt, direkt betroffen sind davon nur zehn Prozent der israelischen Bevölkerung, die um diesen Gaza-Streifen herum leben, zwischen Beerscheba und Aschdod, für Leute in Deutschland, die diese Gegend kennen. Das ist alles. Für die 90 Prozent der anderen Israelis ist es ein Krieg, von dem man über das Fernsehen oder Internet erfährt.

    Schulz: Mit der Hisbollah hatte man im Libanon-Krieg vor zwei Jahren ja auch mit einem vermeintlich kleinen Gegner zu tun. Gibt es das überhaupt, kleine Gegner?

    Zimmermann: Ja, das gibt es. Es gibt einen Unterschied zwischen einem Krieg gegen einen großen Gegner, wo die gesamte Bevölkerung involviert wird, wo das gesamte Militär involviert wird, wo alle betroffen sind, und einem Krieg, der nur einen Teil der Bevölkerung betrifft. Vor zwei Jahren ging es um den Norden Israels. Da ging es um vielleicht zwei Millionen der insgesamt sieben Millionen Israelis. Jetzt geht es um etwa 700.000, 800.000 Israelis, die im Süden des Landes leben, und auf diese Art und Weise kann man diesen Krieg als, in Anführungszeichen, "klein" bezeichnen.

    Schulz: Nach Angaben der Palästinenser sind inzwischen mehr als 400 Menschen im Gaza-Streifen ums Leben gekommen und nach Informationen unseres Korrespondenten waren es auf israelischer Seite vier Tote. Finden die Mahnungen aus den USA und auch aus Europa Gehör, die auf die Beachtung der Verhältnismäßigkeit dringen?

    Zimmermann: Man kann sogar sagen, man hofft darauf, dass am Ende die Interventionen der Europäer, der Amerikaner, der UNO Wirkung haben werden. Israel ist ja nicht daran interessiert und auch nicht die Hamas, dass hier dieser Krieg sich in die Länge zieht. Dafür sind wir zu kurzatmig. Nur versucht jede Seite - und das ist das Verrückte dabei - aus diesem Krieg ihre Vorteile zu ziehen, einen günstigeren Waffenstillstand zu erzielen als bis vor zwei Wochen.

    Schulz: Herr Zimmermann, die Bitte um eine kurze Antwort. Wann schweigen die Waffen?

    Zimmermann: Das dauert wahrscheinlich noch eine Woche, könnte noch eine Woche dauern. Jetzt gab es ja Weihnachten, Feiertage. Die Welt interessierte sich relativ wenig um diese Sache. Jetzt wird der Druck etwas intensiver werden, und da wird Israel und da werden auch die Hamas-Leute etwas schneller reagieren.