Archiv


"Ein kühler Beobachter, fern von allen Ideologien"

Ins öffentliche Interesse geriet der türkische Schriftsteller Orhan Pamuk zuletzt nicht nur wegen eines Buches mit dem deutschen Titel "Schnee", sondern vor allem durch ein Interview, das er einer Schweizer Zeitung gegeben hat und in dem Pamuk davon sprach, wie sehr ihn die Verbrechen des türkischen Staates gegen das armenische und das kurdische Volk belasteten. Danach gab es eine regelrechte Kampagne gegen ihn, ein Provinzgouverneur forderte gar zum Verbrennen seiner Bücher auf - und Orhan Pamuk sagte vor drei Monaten eine geplante Lesereise durch Deutschland ab.

    Heute nun hat der Börsenverein des Deutschen Buchhandels Orhan Pamuk den angesehenen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels zuerkannt, der im Oktober verliehen werden wird. Pamuk habe ein Werk geschaffen, in dem Europa und die muslimische Türkei zusammenfänden, begründete der Stiftungsrat seine Wahl. Wie kein anderer Dichter der Gegenwart gehe er den historischen Spuren "des Westens im Osten und des Ostens im Westen" nach.

    Wolfgang Stenke: Frage an den in Berlin lebenden türkischen Autor Safer Zenocak: Ist das eine politische oder eine ästhetische Entscheidung?

    Safer Zenocak: Das ist ja ein Preis, der immer sehr umstritten gewesen ist, weil es natürlich auch ein politischer Preis ist. Aber ich denke, in erster Linie wird der Schriftsteller Pamuk geehrt und das halte ich für sehr, sehr gut, ein Schritt in die richtige Richtung. Die Türkei ist ja durchaus ein kulturelles Schwergewicht, das aber in Deutschland leider nach wie vor wenig bekannt ist. Und ich denke mal, Pamuks Werke haben da eine Bresche geschlagen in dem etwas undurchsichtigen und unbekannten Wald der türkischen Literatur. Und man kann nur hoffen, dass weitere jüngere Autoren hier in Deutschland dadurch bekannt werden.

    Stenke: Und seine Bücher sind vielfach ins deutsche übersetzt worden. Sagen Sie uns trotzdem noch einmal, was sind es für Themen und worüber schreibt er?

    Zenocak: Pamuk steht am Anfang einer neuen Generation in der Türkei, eine Generation, die sich von der Republikgründungsphase verabschiedet hat. Das heißt die Gründungsphase, die von 1923 bis etwa 1960 geht, hat einen ideologischen Staat geschaffen und eine Kultur geschaffen, die der Ideologie der Säkularisierung, des Laizismus und des Nationalismus anhing und die Gesellschaft radikal transformieren wollte und auch verwestlichen wollte. Pamuk ist ein kühler Beobachter, ein distanzierter Beobachter, fern von allen Ideologien. Das zeichnet ihn aus, das zeichnet auch seine Literatur aus. Und das macht auch die Bedeutung aus für die gesellschaftliche Entwicklung der Türkei, die ja in den letzten Jahrzehnten versucht, eine freie Demokratie zu werden. Das heißt, eine Gesellschaft die offen diskutiert, auch kritische Fragen offen diskutiert und auch die eigene Geschichte kritisch betrachtet.

    Stenke: Dennoch ist es Ihrem Kollegen Pamuk in den letzten Monaten nicht ausschließlich gut ergangen in der Türkei. Er hat beispielsweise aus Angst vor Repressalien, möglicherweise sogar Angriffen, eine Deutschlandtournee absagen müssen, weil er - Sie haben es schon gesagt - natürlich immer auch politisch wahrgenommen wird. Wie kommt das, was ist an seinen Texten politisch?

    Zenocak: Pamuk beschäftigt sich intensiv mit Geschichte. Wenn Sie seine Bücher anschauen, viele Bücher spielen im Osmanischen Reich. Diejenigen Bücher, die in der heutigen Türkei spielen, implizieren sehr viele auch historische Anspielungen. Es gibt viele Figuren, die sozusagen in die geistige Tiefe hinein durchleuchtet werden, so dass sie geschichtlich, historisch auch von Bedeutung sind. Es sind auch oft natürlich sehr umstrittene Themen. Nehmen Sie beispielsweise sein letztes Buch "Schnee". Die Figuren dort sind natürlich durchaus so positioniert, dass die Debatten der Türkei sich widerspiegeln, also die Debatte um den Islamismus, um das Wiedererstarken der Religion, die Debatte um diesen Komplex, dass die säkulare moderne Welt in der Türkei in erster Linie auch von der Armee verteidigt wird, also auch ein Widerspruch in sich. Das heißt, die westliche Moderne wird symbolisiert durch die Armee und nicht unbedingt jetzt durch eine zivile Gesellschaft. Und all diese Fälle oder Problembereiche spiegeln sich natürlich auch in den Probleme des Schriftstellers Orhan Pamuk wider, weil die Gesellschaft nicht so weit ist, solche Kontroversen wirklich offen zu diskutieren. Aber die Gesellschaft ist auf dem Wege dahin. Ich glaube, auch das ist in den Büchern von Pamuk angelegt. Es sind keine rein pessimistischen Bücher, wie auch so oft behauptet wird, sondern es sind Bücher, die auch durch die Ironie des Autors und auch durch diese Flexibilität der Gedanken immer wieder Wege öffnen für eine neue Sichtweise, eine neue Sichtweise, die nicht nur in der Türkei, sondern auch hier bei uns in Deutschland, in Europa sehr stark erforderlich ist, um zueinander zu kommen.

    Stenke: Ist das vielleicht gerade das Problem, das einige in der Türkei mit seinen Texten noch haben, dass die Ironie manchmal schärfer wahrgenommen wird, als die direkte Kritik?

    Zenocak: Mit Sicherheit. Ich glaube, das ist auch ein neuer Ton in der Literatur, der sich eben verabschiedet hat von klaren Positionen. Und viele Leser hängen noch nach wie vor an dem Gedanken, Literatur müsse etwas transformieren, eine Position, eine ideologische oder auch eine Gedankenposition. Und das tut Pamuk ja nicht, sondern er lässt seine Figuren frei sprechen. Und die Figuren widersprechen sich, er widerspricht sich oft selber. Es ist im Grunde der Widerspruch, der im Kern dieser Literatur steckt und das macht ihn aber auch reizvoll, dass der Widerspruch, der ja zu unserer Welt gehört, vielleicht noch viel mehr, als klare Positionen, in unserer heutigen Welt, dass der sichtbar wird.

    Stenke: Der türkische Schriftsteller Safer Zenocak zur Vergabe des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an seinen Landsmann Orhan Pamuk.