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Ein Künstler in selbstgefälliger Isolation

Der 1929 geborene niederländische Autor Remco Campert begann früh mit dem Schreiben von Gedichten. Der Lyrik folgten Erzählungen, Novellen, Romane, zeitweise erschien jedes Jahr ein neues Buch von Campert. Nun ist sein Roman "Das Herz aus Seide" auf dem Markt.

Von Agnes Hüfner | 27.08.2007
    Nach Deutschland ist Camperts Ruhm nicht gelangt. Hie und da erschienen in Zeitschriften und Anthologien einige Gedichte und in jüngster Zeit drei Romane: "Eine Liebe in Paris", "Wie in einem Traum" und nun "Das Herz aus Seide". Die Hauptfiguren, arrivierte Künstler, Schriftsteller, Maler, der Jüngste ist 60 Jahre, ähneln sich. Zufälle bringen sie dazu, sich ihrer Vergangenheit zu stellen, sie entdecken menschliche Defizite. Einer hat sich in der "Kunst des Vergessens" geübt, ein anderer in Illusionen sich vernarrt, der Dritte, der Erzähler des Romans "Ein Herz aus Seide", in selbstgefälliger Isolation sich eingerichtet. Er heißt Hendrik Van Otterlo.

    Van Otterlo, 80 Jahre alt, ein international renommierter Maler, hat sich aus der Gesellschaft ausgeklinkt. Er hat das Malen aufgegeben, zelebriert sein Alter, seine Einsamkeit, den Wahn, der Künstler sei allein seinem Werk verpflichtet. Van Otterlos einziger Kontakt zur Außenwelt sind ein Freund, eine Halbschwester. Einmal in der Woche lässt er sich von Bettina, der Halbschwester, in der Badwanne abseifen, regelmäßig kommt der ebenso berühmte, ebenso alte Maler Jongerius junior auf einen Sprung vorbei, seit ihren ersten Bildern blieben sie miteinander im Gespräch

    "Fast immer reden wir von 'früher'. Wir haben mehr gemeinsame Vergangenheit als Zukunft. Die Gegenwart betrachten wir nur flüchtig, Das liegt an mir. Meine Gegenwart ist wenig interessant. Bestenfalls bietet sie mir Anknüpfungspunkte an etwas, woran ich mich aus der Vergangenheit erinnern kann. Anders als für meinen Freund, der noch Zukunft in seinem Leben sieht, ist die Zukunft für mich eine geschlossene Tür, die ich nicht einmal aufstoßen möchte, keinen Spaltbreit. Jeder Tag ist mein letzter Tag, aber das Ganze dauert recht lange."

    Van Otterlos Erzählung beginnt mit dem Satz "Mein bestes Bild habe ich gemalt, als ich so um die Sechzig war." Während er sich der eigenen Bedeutung vergewissert, steht er in der Badewanne und lässt die wöchentliche Waschung über sich ergehen. Die Komik der Szene fällt weder Bettina, noch ihm auf. Bettina ist an die Selbstbezogenheit des Künstlerbruders gewöhnt, Van Otterlo will die Geschichte des Bildes loswerden. Es ist die Geschichte einer nie verwundenen Niederlage. Das Bild, ein Selbstporträt, entstand, nachdem die Geliebte - Cissy, das Miststück, nennt er sie - ihn verlassen hatte. Seit 20 Jahren hat er das Bild, ein Dokument des Hasses, nicht mehr angesehen, das Atelier, in dem er es malte, nicht mehr betreten. Die Erinnerung, wachgerufen durch eine Anzeige über den Tod der früheren Freundin, wird ihn schließlich in sein Atelier zurückführen, das Atelier - eine Wüstenei, in der Jugendliche ihre Freiheit erprobten.

    "Draußen an der Rückwand finde ich, was ich suche, das Selbstporträt, das in meiner Erinnerung das Schönste war, was ich je gemalt habe. Das sieht man ihm nicht mehr an. Meine Augen sind Löcher, ich denke, sie haben mit Pfeilen darauf geschossen. Das ist noch nicht alles. Sie haben eine große rote Zunge gemalt, die aus meinem Mund hängt. Es ist, als würde das Porträt mich verspotten. 'Sieh mal, Bettina', sage ich. 'Weißt du noch, wie ich zu dir sagte, dass es ein Bild gibt, das für mich das beste sei, das ich je gemalt habe? Dies ist. es.'"

    Anders als Bettina ist Van Otterlo nicht entsetzt über die Zerstörung, er fühlt sich erleichtert, befreit von der Pose des verlassenen Liebhabers, der Stilisierung zum Diener seiner Kunst. Was zwischen Anfang und Ende liegt, davon erzählt dieser Entwicklungsroman eines 80-Jährigen. Zugleich stellt Campert den individuellen Werdegang Van Otterlos in den historischen Kontext, schildert den Aufbruch einer nach dem Krieg selbstbewusst auftretenden Generation junger Künstler, beschreibt die damals nicht unübliche Karriere vom unbeheizten Dachboden in die Salons der Kunstagenten, Großkritiker und Händler, berichtet von der berserkerhaften Lust zu malen, wie die Künstlergruppe Cobra sie beispielhaft vorführte. Van Otterlo jedoch ruht sich bald auf dem Erreichten aus. Als er im Fernsehen eine Dokumentation über einen Kunstfälscher sieht, gerät er allerdings ins Nachdenken.

    "Ist es möglich, dass ich von einem bestimmten Augenblick meines Lebens an mein eigenes Werk gefälscht habe? Dass ich nur im längst vertrauten Stil, der mich berühmt gemacht und mir viel Geld eingebracht hat, etwas Neues hinzugefügt habe? Dass die Leidenschaft erloschen war und ich das nicht habe zugeben wollen und mir nichts anderes einfiel, als mich selbst zu wiederholen? Kann man seine eigene Signatur fälschen?"

    Eine Antwort auf die Frage sucht er lange nicht. Erst der Tod Cissys führt ihn auf den Weg der Selbstbesinnung. Von Camperts Lyrik heißt es, die Sätze hätten Raum um sich, von der Prosa, sie widerstehe dem Sog Erklärungen anzubieten. Van Otterlo selbst verlangt, ein Bild müsse "schwindelig", uneindeutig sein. Die Helden der Romane "Eine Liebe in Paris" und "Wie in einem Traum" lösen diesen Anspruch ein. Oszillierend zwischen Melancholie und Ironie sinnen sie den verpassten und verpatzten Möglichkeiten, am Leben zu teilzunehmen, nach. Die Figur des Van Otterlo zeichnet Campert hingegen eindeutig. Und die Läuterung des Egomanen ist vielleicht eine doch zu einfache Bilanz.

    Remco Campert kennt die Problematik des Künstlers aus Erfahrung. Über seine zehnjährige Tätigkeit als Verlagslektor sagt er: "Schreiben ist bekanntlich ein einsamer Beruf, bei dem immer die Gefahr besteht, auf die Dauer seine eigene Arbeit so wichtig zu nehmen, dass man die Menschen aus den Augen verliert."


    Remco Campert: Das Herz aus Seide
    Roman. Aus dem Niederländischen von Marianne Holberg
    Arche Literatur Verlag, Zürich und Hamburg, 2007
    192 Seiten, 18 Euro