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Ein Leben im Visier der Staatssicherheit

Hinter Betonmauern und Stacheldraht lässt sich kein sozialistischer Paradiesgarten kultivieren. So urteilte der Verleger Walter Janka im Oktober 1989, als er seine Autobiografie vorlegte. Die Wertschätzung, die ihm in diesen Tagen begegnete, wertete er als Rehabilitierung für das im SED-Regime erlittene Unrecht.

Von Kirsten Heckmann-Jantz | 06.12.2006
    "Diese Veranstaltung im Deutschen Theater, mit diesen Menschen, die ich da gesehen habe, mit diesem Beifall, betrachte ich als moralische Rehabilitierung, die mir hundert Mal mehr wert ist als alles, was die so genannten zuständigen Organe - in Anführungsstrichen - tun könnten oder unterlassen. Das ist mir völlig wurst."

    Zum Staatsfeind geworden war Walter Janka am 6. Dezember 1956. An diesem Nachmittag kamen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit in den Ostberliner Aufbau-Verlag um ihn, den Leiter des Verlages, zu verhaften. Eine Woche vorher war der Philosoph und Verlagslektor Wolfgang Harich festgenommen worden. Janka und Harich hätten, so der Vorwurf, gemeinsam mit weiteren Kollegen eine staatsfeindliche Gruppe gebildet mit dem Ziel, die Staatsmacht der DDR zu beseitigen und die "kapitalistische Ordnung" in der DDR zu errichten.

    Walter Janka bestritt in den Verhören und auch in dem darauf folgenden Prozess jede Schuld. Der 42-jährige Arbeitersohn aus Chemnitz war schon vor 1933 Mitglied im Kommunistischen Jugendverband geworden, hatte im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft und später im mexikanischen Exil den Verlag "El libro libre" geleitet. 1947 war Janka nach Deutschland zurückgekehrt, ab 1952 führte er den Aufbau-Verlag, bis zu seiner Verhaftung.

    Der Prozess gegen Walter Janka und drei seiner Kollegen begann im Juli 1957. Wolfgang Harich war bereits in einem abgetrennten Verfahren zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden und musste als Zeuge gegen Janka auftreten. In seiner Anklage ging Generalstaatsanwalt Melsheimer ausführlich auf die Verhältnisse in Ungarn ein, denn Walter Janka wurde unter anderem auch "versuchte Kontaktaufnahme zum Konterrevolutionär" Georg Lukács vorgeworfen. In Wahrheit hatte sich Janka während des ungarischen Aufstandes auf Wunsch von Anna Seghers und von DDR-Kulturminister Johannes R. Becher bereit erklärt, den ungarischen Literaturwissenschaftler aus Budapest herauszuholen. Während des Prozesses saßen prominente Kulturschaffende im Zuschauerraum - zum Beispiel Helene Weigel. Und auch Anna Seghers.

    "Ich habe sie immer als Schriftstellerin respektiert, und das tue ich auch heute noch. Aber sie hat geschwiegen, obwohl sie gehört hat, dass mich Melsheimer fälschlich angeklagt hat, denn er hat ja diese Rede gegen Lukács mit diesem Satz beendet: 'Und diesen Verräter Lukács, der sich in die Arbeiterbewegung eingeschlichen hat, wollte der Verräter Janka, der sich auch in die Arbeiterbewegung eingeschlichen hat - was also zum Lachen ist, wenn man meine Geschichte kennt - nach Berlin holen.' Und das war der letzte Moment, wo die Frau Seghers hätte aufstehen müssen, weil sie ja die Urheberin war."

    Fünf Jahre Zuchthaus lautete das Urteil gegen Janka. Die Haftzeit verbrachte er zum großen Teil in Bautzen. Hier war er schon als junger Kommunist während der Nazizeit eineinhalb Jahre eingesperrt gewesen. Nach seiner Entlassung arbeitete Walter Janka zehn Jahre als Dramaturg bei der DEFA. Er betreute bedeutende Spielfilmproduktionen, ohne dass sein Name im Abspann erschien. Bis zur Wende blieb er im Visier der Staatssicherheit.

    Im Herbst 1989 veröffentlichte Janka seine autobiografischen Aufzeichnungen "Schwierigkeiten mit der Wahrheit" in einem westdeutschen Verlag. Daraus las der Schauspieler Ulrich Mühe am 28. Oktober 1989 im überfüllten Deutschen Theater. Der Applaus nach der Lesung wollte nicht enden.

    "Ich fühle mich moralisch durch die öffentliche Meinung in meinem Land, in der DDR, rehabilitiert."

    Die offizielle Rehabilitierung erfolgte einige Monate später. Im Januar 1990 wurde das Urteil gegen Walter Janka aufgehoben. In zahlreichen Publikationen, Rundfunk- und Fernsehsendungen blieb er bis zu seinem Tod 1994 dabei: Er habe den DDR-Sozialismus entstalinisieren und reformieren wollen, es sei ihm nie um die Abschaffung des Arbeiter- und Bauernstaates gegangen.