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Ein Lenz'sches Grausen

Beim Young Direktors Project der Salzburger Festspiele hat sich die junge Regisseurin Cornelia Rainer an einer Art theatralem Porträt des Dichters Jakob Michael Reinhold Lenz versucht. Doch der entzieht sich mal wieder erfolgreich der Deutung.

Von Sven Ricklefs | 11.08.2012
    Da haben sich wahrlich schon größere Geister an ihm vergriffen, an Jakob Michael Reinhold Lenz: Georg Büchner etwa, der mit seiner eigentlich großartigen Erzählung "Lenz" sicherlich dazu beigetragen hat, dass der unglücklich verkannte Stürmer und Dränger überhaupt im Gedächtnis der Nachwelt geblieben ist. Zugleich aber montierte Büchner dem toten Kollegen seinen eigenen totalen Nihilismus in den Kopf und machte ihn damit zur Projektionsfläche eines späteren Jahrhunderts. Und Goethe? Goethe war sich nicht zu klein, noch in Dichtung und Wahrheit den ehemaligen Freund zum hutzeligen Querulanten zu verkleinern. Und nun also greift Cornelia Rainer nach Lenz. Die 1982 geborene österreichische Regisseurin ist nach eigenem Bekunden so Lenz-affin, dass sie sich ein Projekt zutraut, um sich dem ebenso unverstandenen wie unbehausten Freigeist anzunähern.

    Zunächst einmal lässt man sich von diesem Raum einnehmen, da umkreiselt eine irgendwie archaisch anmutende kleine Achterbahn zum einen eine Wohnstube mit Herd und Tisch und Ofenrohr, zum anderen eine Musikerecke mit Schlagzeug und Instrumenten. Regisseurin Cornelia Rainer hat aus dem Namen ihrer Theatergruppe ein Bild gemacht, bedeutet doch der Begriff Motagnes Russes nicht allein russische Berge sondern ist auch ein Synonym für Achterbahn. Und so ist man also zum einen bildhaft im Kopf von Jakob Michael Reinhold Lenz, dem das Changieren zwischen Wahn und Genie wohl wahrlich eine Berg und Talfahrt gewesen sein muss, zum anderen ist man aber auch schnell in jenes gipfelumstandene elsässische Steintal versetzt, in dem Lenz 1778 20 Tage als Gast im Hause des Sozialreformers und Pfarrers Johann Friedrich Oberlin zubrachte, 20 Tage, die auch Georg Büchners Erzählung Lenz beleuchtet. Auf Büchners Lenz und auf den Aufzeichnungen des rechtschaffenen Pfarrers Oberlin basiert das Lenz-Projekt von Cornelia Rainer nun beim Young Directors Project der Salzburger Festspiele.

    Dass zu Beginn der Schlagzeuger mit seinem Schlagbesteck erst einmal den ganzen Raum bespielt und sich die Bühnenwelt damit zu eigen macht, die Achterbahn, den Tisch, die Stühle, das Geschirr, hat seinen eigenen Reiz und macht deutlich, wie viel Raum die Regisseurin der Musik und dem Rhythmus des Schweizer Musik-Trios Schi-lunsch-naven in ihrer Produktion einräumt. Zugleich soll der Sound wohl auch immer wieder zeigen, welche Wirrniss im Kopf von Lenz tobt.

    Doch mit dem Soundteppich erschöpft sich leider auch zugleich die theatrale Phantasie von Cornelia Rainer, jedenfalls die, die das Phänomen Lenz aus einem Heute heraus erforschen könnte. Der Rest ist eine so abgrundtief biedere, suppenlöffelnde und gebetsträchtige Milieustudie, dass man das Grausen bekommen möchte, das Lenzsche.

    "Johan!
    Zwei Dinge Herr sind not, die gib nach deiner Huld,
    gib uns das täglich Brot, vergib uns unsere Schuld. Amen
    Ich bin so froh, dass ich unter so fröhlichen Menschen sein darf.
    Amen."

    Da ist man dann sicherlich zeitgerecht gekleidet im Hause des Pfarrers Oberlin, der mit Frau, Schülern und Gesinde den nach Normalität und Einfachheit dürstenden und zugleich an seiner Weitsicht verzweifelnden Lenz in die erdrückende Mitte der Familie nimmt. Und Lenz, der Arme, darf in der Gestalt des Burgtheaterschauspielers Markus Mayer zwischen ihnen sein, hysterisch ins Gebirg rennend hier, bedröppelt in der Wohnstube stehen dort, mal hüpft er in den Waschzuber, mal schlägt er die Kirchenglocke mit dem Kopf, mal beschreibt er den Boden mit seinen Werken, halb Peter Pan mit Vatersyndrom halb Genieklischee aus der Kitschabteilung. Nun weiß man, dass Lenz im Hause Oberlin tatsächlich nächtliche Bäder nahm und sogar einmal aus dem Fenster sprang, trotzdem fragt man sich, warum keiner der Regisseurin gesagt hat, dass der von ihr wohl angestrebte Naturalismus allenfalls in den heute so beliebten Fernsehdokus funktioniert aber keinesfalls auf dem Theater.
    Lenz also hat sich wieder einmal dem Zugriff entzogen, aber vielleicht ist das ja auch gut so.