Eigentlich hätte es diese Musik gar nicht geben dürfen. Um 1750 hing der französische Adel nationaltreu an seiner Tragédie lyrique mit ihrer Opulenz, Mythenseligkeit, Zauberei und ihrem gemächlichen Erzählfluss ohne Arienfeuerwerk und Rezitativgeplapper. Aber die aufgeklärte französische Intelligenz forderte mehr Nüchternheit, Realität und Witz und propagierte darum die italienische heitere Opera buffa und attackierte Rameau als Epigonen Lullys. Denn der hatte unter dem Sonnenkönig die französische Nationaloper geschaffen. Rameau war irritiert, ließ die Finger von der Tragédie lyrique und ging erst wieder mit "Les Paladins" in die Offensive, 1760, setzte sich aber zwischen alle Stühle mit einem multiplen Zwitter aus italienischen und französischen Stilelementen, aus Arie, Lied, Chor, Ballett, aus Commedia del Arte, Pastorale, Buffooper und Volksstück, verschmolzen zu einer neuen, eigenwilligen, aber in sich stimmigen Form, der Comédie lyrique - und Rameau hatte Erfolg. Diese Comédie lyrique aber hat es, anders als das Musiktheater von Monteverdi, Händel und Gluck, bis heute nicht ins Repertoire der Bühnen geschafft, und auch so gut wie überhaupt nicht auf den CD- und DVD-Markt. Was sehr schade ist, weil solche Klänge etwa der verliebten Argie, wie sie jetzt in der Rheinoper zu hören sind, nicht ungehört bleiben sollten:
" Argie: "Ich fliege, wohin du mich rufst". "
Anna Virovlansky singt in Düsseldorf die junge Argie mit kristallklarem Sopran, hoher Spannung, großer Biegsamkeit und nur zur Verzierung punktgenau eingesetztem leichtem Vibrato. Auch mit Iulia Elena Surdu ist die Rolle der kecken Magd und klugen Freundin glänzend besetzt. Und auch Anders Dahlin als verliebter Held Atis kann alles, schauspielern, tanzen, turnen, parodieren und singen, obwohl sein heller Tenor fast ohne Körperresonanz auskommen muss, was die Stimme etwas dünn macht und ihn fast zum Musicalkünstler prädestiniert. Aber seine Spielfreude und Spielkunst machen das Manko wett, jedenfalls zusammen mit den ebenso filigran wie historisch rustikal musizierenden Neuen Düsseldorfer Hofmusikern unter dem kenntnisreichen Dirigat von Konrad Junghänel.
Die Geschichte von Rameaus Oper ist vertrackt, aber im Kern einfach: Der alte liebestolle Anselme will die junge Argie gegen ihren Willen heiraten. Argie ist in Atis verliebt und Atis in sie, und am Ende finden die beiden mit Feen-, Zauber- und Menschenhilfe zusammen. Die Regisseurin Arila Siegert macht den Plot deutlich. Vor allem aber gelingt es ihr auf spielerisch leichte Weise, die heterogenen Akteure aus Solisten, Chor, Tänzern, Statisten und sogar Kulissenschiebern zu einem homogenen Spieltrupp zu integrieren, der eine Komödie aufführt. Das Spielerische unterstreicht Siegert, indem sie den Zeichner und Maler Helge Leiberg live mittels Overheadprojektion die Bühne aus riesigen Schiebemauern je nach Stimmung der Szene schwarz oder farbig übermalen und bekritzeln lässt. Die Erkenntnis, die Arila Siegert aus Rameaus Oper zieht und die Botschaft, die sie vermittelt, werden unaufdringlich klar: Der liebestolle Alte Anselme steht für materielle Sicherheit und Unterwerfung, der verliebte Atis für materielle Unsicherheit und Freiheit. Um seine Argie zu retten und zusammen mit ihr ohne Wohlstand glücklich zu werden, nimmt Atis sein Schicksal selbst in die Hand und gestaltet sein Leben mit kreativem Elan. Mit der Leichtigkeit eines Aquarells kommt diese Deutung daher, was keine geringe Kunst ist.
Aber (es mag eine Frage des Geschmacks sein) mir ist dieser Bilderreigen zu freundlich, zu nett, zu wenig dramatisch. Die Beklemmung der eingesperrten Frauen und die Brutalität des Alten müssten schwärzer, das Glück der Flucht und der Freiheit heller gemalt werden. Furien in schwarzen Mäntelchen sind noch nicht dämonisch, Tänzer als hechelnde Hunde mit Goldstaubblähungen nicht witzig. Da die Rheinoper mit "Les Paladins" beginnend einen ganzen Rameau-Zyklus auf die Beine stellen möchte, müsste sie auch auf zupackendere Regiehandschriften nicht unbedingt verzichten.
" Argie: "Ich fliege, wohin du mich rufst". "
Anna Virovlansky singt in Düsseldorf die junge Argie mit kristallklarem Sopran, hoher Spannung, großer Biegsamkeit und nur zur Verzierung punktgenau eingesetztem leichtem Vibrato. Auch mit Iulia Elena Surdu ist die Rolle der kecken Magd und klugen Freundin glänzend besetzt. Und auch Anders Dahlin als verliebter Held Atis kann alles, schauspielern, tanzen, turnen, parodieren und singen, obwohl sein heller Tenor fast ohne Körperresonanz auskommen muss, was die Stimme etwas dünn macht und ihn fast zum Musicalkünstler prädestiniert. Aber seine Spielfreude und Spielkunst machen das Manko wett, jedenfalls zusammen mit den ebenso filigran wie historisch rustikal musizierenden Neuen Düsseldorfer Hofmusikern unter dem kenntnisreichen Dirigat von Konrad Junghänel.
Die Geschichte von Rameaus Oper ist vertrackt, aber im Kern einfach: Der alte liebestolle Anselme will die junge Argie gegen ihren Willen heiraten. Argie ist in Atis verliebt und Atis in sie, und am Ende finden die beiden mit Feen-, Zauber- und Menschenhilfe zusammen. Die Regisseurin Arila Siegert macht den Plot deutlich. Vor allem aber gelingt es ihr auf spielerisch leichte Weise, die heterogenen Akteure aus Solisten, Chor, Tänzern, Statisten und sogar Kulissenschiebern zu einem homogenen Spieltrupp zu integrieren, der eine Komödie aufführt. Das Spielerische unterstreicht Siegert, indem sie den Zeichner und Maler Helge Leiberg live mittels Overheadprojektion die Bühne aus riesigen Schiebemauern je nach Stimmung der Szene schwarz oder farbig übermalen und bekritzeln lässt. Die Erkenntnis, die Arila Siegert aus Rameaus Oper zieht und die Botschaft, die sie vermittelt, werden unaufdringlich klar: Der liebestolle Alte Anselme steht für materielle Sicherheit und Unterwerfung, der verliebte Atis für materielle Unsicherheit und Freiheit. Um seine Argie zu retten und zusammen mit ihr ohne Wohlstand glücklich zu werden, nimmt Atis sein Schicksal selbst in die Hand und gestaltet sein Leben mit kreativem Elan. Mit der Leichtigkeit eines Aquarells kommt diese Deutung daher, was keine geringe Kunst ist.
Aber (es mag eine Frage des Geschmacks sein) mir ist dieser Bilderreigen zu freundlich, zu nett, zu wenig dramatisch. Die Beklemmung der eingesperrten Frauen und die Brutalität des Alten müssten schwärzer, das Glück der Flucht und der Freiheit heller gemalt werden. Furien in schwarzen Mäntelchen sind noch nicht dämonisch, Tänzer als hechelnde Hunde mit Goldstaubblähungen nicht witzig. Da die Rheinoper mit "Les Paladins" beginnend einen ganzen Rameau-Zyklus auf die Beine stellen möchte, müsste sie auch auf zupackendere Regiehandschriften nicht unbedingt verzichten.