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"Ein Liebling der Götter"

Ironie und Understatement gehören zu den großen Stärken von Sybille Bedford. In ihrem unkonventionellen Leben spiegelt sich die Geschichte des 20. Jahrhunderts in allen Höhen und Tiefen. Die meisten ihrer Bücher gelten als Klassiker der englischen Literatur, so auch der Roman "Ein Liebling der Götter", der jetzt in einer neuen deutschen Übersetzung erschienen ist.

Von Beate Berger |
    "Thomas Mann war sehr streng mit mir, weil ich nicht auf Deutsch schrieb und weil mein Deutsch auch immer brüchiger wurde. Er sagte: "... den deutschen Sprachboden verlassen". Das war nicht gut! Das war eine große Pein für ihn. "Sie hat den deutschen Sprachboden verlassen". Für ihn bedeutete dieser Sprachboden alles, einfach alles."

    Es schwingt noch immer eine Mischung aus Ironie und Gekränktheit mit, wenn sich Sybille Bedford an den wenig feinfühligen Kommentar von Thomas Mann erinnert. Er, Thomas Mann, in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts bereits ein Weltstar der Literatur, sie, Sybille Bedford eine junge, damals noch unbekannte Autorin aus dem Freundeskreis seiner Kinder Erika und Klaus, die sich wie diese vor dem Nazi-Terror zunächst im südfranzösischen und später dann im amerikanischen Exil in Sicherheit gebracht hatte.

    Mit dem Klang der deutschen Sprache war die im Jahr 1911 in Berlin geborene Sybille Bedford, zwar von ihrer Kindheit an vertraut, aber aufgrund ihrer mehrsprachigen Erziehung blieb ihr das Deutsche dennoch im Innersten fremd; wirklich zu Hause fühlte sie sich immer nur im Englischen.

    "Ich mag diese Sprache nicht. Ich hätte nie auf Deutsch schreiben können. Ich mag die Grammatik nicht, ich lese kein Deutsch. Ich verstehe zwar alles auf Deutsch, sogar die Nuancen und ich kann die diversen Akzente verorten, aber ich spreche die Sprache nicht mehr. Ich bin eine englische Schriftstellerin durch und durch. Ich lebe in der englischen Literatur."

    Sybille Bedford hat sich jüngst im Nachhinein bei ihrem unerbittlichen Sprachzensor Thomas Mann revanchiert. In ihrem gerade in England erschienen Memoirenband "Quicksands" erwähnt sie ihn zwar, aber eigentlich nur im Zusammenhang mit seinem schlecht erzogenen Pudel. Als der "Dichterfürst" im Jahr 1940 seinen Umzug an die amerikanische Westküste vorbereitete, hatte Sybille Bedford die Ehre, den Pudel von Thomas Mann bei hochsommerlichen Temperaturen von der amerikanischen Ost- zur Westküste zu chauffieren. Thomas Mann zog es vor, die Strecke von Princeton nach Pacific Palisades im klimatisierten Eisenbahnabteil zurückzulegen.

    "Er war ein Tyrann und entsetzlich wichtigtuerisch. Ich habe nur über seine pompöse Seite geschrieben. Das Wenige, was ich über ihn geschrieben habe, ist ironisch und handelt von seinem Pudel. Die Manns hatten ihn mir anvertraut. Ich sollte ihn nach Hollywood bringen, weil Hunde in amerikanischen Zügen nicht gut behandelt wurden. Sie suchten also jemanden, der gut fahren konnte und gleichzeitig freundlich zu Hunden war."

    "Der Pudel hat sich sehr schlecht benommen. Er wusste genau, auf wen er wirklich hören musste und wer sein wahres Herrchen war. Thomas Mann hat sich mit Goethe verglichen. Goethe hatte ebenfalls immer einen schwarzen Pudel an seiner Seite."

    Ironie und Understatement gehören zweifellos zu den großen Stärken von Sybille Bedford. Die betagte Lady lebt alleine ihrer Wohnung im Londoner Stadtteil Chelsea, umgeben von Büchern und Erinnerungen - von Spuren eines unkonventionellen Lebens, in dem sich die Geschichte des 20. Jahrhunderts in allen Höhen und Tiefen spiegelt. Die meisten ihrer Bücher wurden zu Klassikern der englischen Literatur. Darunter auch der Roman "Liebling der Götter", der jetzt in einer neuen deutschen Übersetzung erschienen ist.

    Das drei Generationen umspannende Familienepos ist angesiedelt im ausgehenden 19. Jahrhundert, als reiche Amerikanerinnen noch ihre ausladenden Hüte in Hutschachteln verstauten, mehrere Überseekoffer packten und zur Grand Tour nach Europa aufbrachen. In opulenten Bildern und geistreichen Dialogen lässt Sybille Bedford in diesem 1963 erstmals erschienen Gesellschaftsroman die Atmosphäre längst vergangener Welten erstehen: das edwardianische London, das alte Rom vor Mussolini, das puritanische New England der Jahrhundertwende.

    Constanza, die zentrale Heldin des Romans, ist die Tochter einer reichen amerikanischen Erbin und eines römischen Fürsten. Nur das Beste aus beiden Welten fällt diesem Liebling der Götter zu:

    Die Küste südlich von Ravenna ist einsam und flach, die Strände sind endlos und breit. Constanza schwamm von früh bis spät, ließ sich treiben, träumte in den sanften Wellen; wenn die Sonne unterging, machten sie und ihr Lehrer Reitausflüge. Manchmal nahmen die Fischer sie in ihren Booten mit aufs Meer hinaus. Es war ein eigentümlich abgeschiedenes Dasein; Constanza empfand diese Wochen als losgelöst, als Zeitspanne, die gleichsam auf einer parallelen Linie verbracht wurde, aber aus den nahtlos ineinander übergehenden Jahren ihrer Jugend nicht wegzudenken war.

    Der Winter bedeutete für sie Rom, wenn die kostbare, schräg einfallende Sonne die hohen Häuser allzu bald nach Mittag verließ, wenn bei Einbruch der Nacht das Leben erwachte. Sie liebte es, durch die abendlichen Straßen zu gehen, und begleitete die Köchin bei ihren Besorgungen; dann wurden auf den Bürgersteigen des Viertels die Holzkohlenfeuer angezündet, sie atmete den Geruch der Glut ein, von heißem Eisen, Abfall und verschüttetem jungen Wein. In den kleinen Kohlenpfannen flackerten Zweige und Scheite, Frauen fächerten ihnen Luft zu und bewachten sie. Wenn Constanza vorbeiging, riefen sie ihr, halb spöttisch, halb zärtlich, raue Worte im Dialekt zu und hielten ihr die Töpfe hin, dann blieb Constanza stehen, rief etwas im gleichen Ton zurück und griff mit der Hand in die pasta.

    Der spätimpressionistische Schein ist zum Schwelgen schön, aber er trügt. Zwischen den Zeilen kündigen sich bereits die familiären und politischen Katastrophen an. Sybille Bedford beschreibt diesen Tanz auf dem Vulkan in eleganter, leichtfüßiger Prosa und temporeichen ironischen Dialogen, die bisweilen an ihren literarischen Ziehvater Oscar Wilde erinnern.

    "Ich weiß", sagte Constanza, "die Amerikaner sind nämlich reicher als die Italiener. Ich weiß das. Papa, wohnen wir deshalb in einem palazzo ganz für uns allein?"
    "Die Familie deines Vaters hat schon immer in diesem Haus gewohnt", sagte die Fürstin rasch.
    "Wie lange ist immer?"
    Der Fürst zog seine Tochter an sich. "Das wird dir der parroco erzählen, wenn du später zur Religionslehre gehst."
    "Ich habe nur vom Quattrocento gesprochen", sagte die Fürstin. Sie lächelte, doch ihre Gedanken kreisten um die Erziehung ihrer Tochter.


    Sybille Bedford wurde für ihre literarischen Verdienste unter anderem mit dem Orden des Britischen Empire geehrt. Sie ist Vizepräsidentin des englischen PEN-Club, Mitglied der exklusiven Royal Society of Literature, der auch Doris Lessing und V. S. Naipaul angehören. Für Magazine wie "Life", "Esquire" oder "Vogue" schrieb sie Reise- und spektakuläre Gerichtsreportagen. Unter anderem war sie als Prozessbeobachterin im Umfeld der Ermordung von J.F. Kennedy dabei. Für die englische Presse berichtete sie von 1963 bis 1966 über die Frankfurter Ausschwitzprozesse. Ihr Buch, "The Faces of Justice" (1961), das Einblicke in die europäische Rechtssprechung bietet, gehört bis heute zum Pflichtlektürekanon der Justizhistoriker. Ihre Leidenschaft für die Juristerei entdeckte sie durch einen Zufall:

    "Als ich zum ersten Mal nach England kam, da war ich ungefähr 13 Jahre alt. Einmal war ich bei einer Lady zum Tee eingeladen, die die Geliebte eines Richters am High Court war. Sie hat mir empfohlen, anstelle von Theatermatineen lieber Gerichtsverahndlungen zu besuchen. Nachdem sie mich einmal zum Gericht mitgenommen hatte, war ich sofort und für immer davon fasziniert."

    Ein wacher, kosmopolitischer Geist prägte bereits die aristokratische Kinderstube von Sybille Bedford, die mit Mädchennamen Sybille Aleid Elsa von Schoenebeck hieß. Das erste Jahrzehnt ihres Lebens verbrachte sie hin und her pendelnd zwischen der großbürgerlich-jüdischen Familie in Berlin und einem kleinen Schloss im badischen Feldkirch. Der Vater, Baron Maximilian von Schoenebeck, sprach lieber französisch als deutsch. Ihre Mutter Elisabeth Bernhard war eine reiche Erbin aus der englischen Upperclass. Standesgemäß bestand sie auf Privatlehrern und englischer Konversation, konnte aber ansonsten aufgrund ihrer weitschweifigen Amouren nur wenig mütterliche Fürsorge aufbieten. Nachdem die unglückliche Ehe im Jahr 1918 geschieden worden war, ließ sie sich mit ihrem neuen Liebhaber in Italien nieder.

    Sybille blieb beim Vater in Deutschland, der ihr aristokratisches Savoir-Vivre beibrachte. Wie man einen Rotwein lagert und dekantiert, hat sie von ihm bereits als kleines Mädchen gelernt. Kaum verwunderlich also, dass sie später zur Weinkennerin wurde und sich auch einen exzellenten Ruf als Gourmetkritikerin erworben hat.

    Die aristokratische Kindheitsidylle war abrupt zu Ende, als Sybilles Mutter das Kind im Jahr 1921 zu sich nach Italien beorderte. Für Vater und Tochter ist es ein Abschied für immer. Maximilian von Schoenebeck stirbt kurz darauf an einer Blinddarmentzündung.

    Für Sybille beginnt ein ruheloses Leben. Immer wieder wird sie von Italien nach England geschickt, wo sie eine solide Ausbildung erhalten soll. Als der Faschismus auch in Italien an Boden gewinnt, flüchtet sie im Jahr 1926 zusammen mit ihrer Mutter und ihrem jungen Stiefvater, in den südfranzösischen Fischerort Sanary-Sur-Mer. Dort, in der 'Hauptstadt' der europäischen Exilanten, wo unter anderem auch Stefan Zweig, Franz Werfel und Lion Feuchtwanger Schutz vor den Faschisten suchten, schließt sie innige Lebensfreundschaften wie jene mit dem englischen Schriftsteller Aldous Huxley und seiner Frau Maria. Das Paar arrangiert 1935 eine Scheinheirat für die von den Nazis ausgebürgerte deutsche Freundin, die dank dieser Maßnahme einen lebensrettenden britischen Pass und den bürgerlichen Namen Bedford erhält. Mit Auskünften über ihr Privatleben hat die Wahlbritin Sybille Bedford immer sehr gegeizt, wenngleich sie in der Öffentlichkeit nie einen Hehl aus ihren Beziehungen zu Frauen machte.

    Als die wichtigste Frau in ihrem Leben, ihre morphiumsüchtige Mutter, im Jahr 1937 Selbstmord begeht, geben ihr die Huxleys den nötigen Halt im Leben. Sybille Bedford hat sich in den 70er Jahren mit einer viel beachteten zweibändigen Aldous Huxley-Biographie bedankt. Huxley war es auch, der ihr literarisches Talent erkannte und förderte. Das Schreiben, erzählt Sybille Bedford, sei ihr immer heilig gewesen.

    "Ich wollte Schriftstellerin sein, solange ich mich zurückerinnern kann, ungefähr seit meinem fünften Lebensjahr. Andererseits hatte ich immer schon Angst vor dem leeren Blatt und außerdem musste ich mich früh entscheiden, ob ich in Französisch oder Englisch schreiben wollte."

    "Zwischen meinem 20ten und 40ten Lebensjahr habe ich drei sehr schlechte Romane geschrieben. Zum Glück hat sie keiner veröffentlichen wollen. Ich habe sehr lange gebraucht, bis ich meine wahre Stimme gefunden hatte. Nein, sagen wir besser: bis ich den falschen Ton verloren hatte."

    Wie gesagt, Sybille Bedford schätzt das Understatement. Als sie ihre mexikanischen Reiseimpressionen unter dem Titel "The Sudden View" im Jahr 1953 veröffentlichte, hatte sie längst eine überzeugende literarische Stimme gefunden. Ihr Roman "A Legacy", der drei Jahre später erschien, gilt heute als einer der großen Gesellschaftsromane der Moderne.

    "Der Roman heißt auf deutsch "Das Vermächtnis". Man hat über das Buch gesagt, es fülle die Lücke zwischen Theodor Fontane und Thomas Mann. "Das Vermächtnis" behandelt die Zeit zwischen 1880 und 1914. Und es wurde behauptet, es sei der Gesellschaftsroman dieser Epoche."

    Die Superlative nehmen kein Ende, aber sie sind der feinnervigen Femme de Lettres eigentlich suspekt; zu bewusst, ist ihr die Fallhöhe vom Pompösen zum Banalen. Wie leidenschaftlich und brillant die vielfach Entwurzelte immer wieder um eine (Sprach-)Heimat gerungen hat, ist in all ihren Büchern nachzulesen. Ihre Angst vor dem weißen Blatt legte sie jedoch nie ab. Auch wenn sei das Schreiben oft hasste, konnte sie dennoch nicht lassen.

    "Es ist immer harte Arbeit und ich tue alles, um das Schreiben ein bisschen aufzuschieben. Das war immer schon so. Anfangs war es sogar noch schlimmer, denn da kamen die Selbstzweifel an den eigenen Fähigkeiten hinzu."

    "Ich verhandle oft mit mir selbst. Wenn ich zum Beispiel nicht lange genug am Schreibtisch verbracht habe, wird mir mein Glas Wein vor dem Abendessen gestrichen. Grundsätzlich halte ich viel von Hemingways Ratschlag: Wenn man einen wahren Satz für den Anfang gefunden hat, kann man weitermachen."

    Lieferbare Bücher von Sybille Bedford:
    Ein Liebling der Götter
    Roman,aus dem Englischen von Sigrid Ruschmeier, SchirmerGraf Verlag, 19,80 Euro

    Ein Vermächtnis
    Eichborn Verlag, 22,90 Euro

    Demnächst ebenfalls bei SchirmerGraf der gerade auf Englisch erschienene Memoirenband Quicksands.