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Ein Lied für kleine Ohren

Spätestens seit ihrem Erfolgsbuch "Der Zeitdieb" gehört Steinunn Sigurdardóttir zu den international bekannten Stars der isländischen Literatur. Ihr neuer Roman erzählt von einem rastlosen Reisenden, der nach seiner Jugendliebe sucht und ein in Pastellfarben getauchtes Glück findet.

Von Sabine Peters | 08.09.2011
    "Der gute Liebhaber": Dieser Titel will verführen, unabhängig davon, ob er völlig ernst oder vielleicht etwas ironisch gemeint ist. Die Isländerin Steinunn Sigurdardóttir, Jahrgang 1950, gehört spätestens seit ihrem - auch verfilmten - Roman "der Zeitdieb" mit zu den international bekannten Autoren, und sie wurde in Island mit zahlreichen Preisen geehrt.

    In ihrem neuen Buch geht es um ein romantisches Motiv, um die einzige, große und wahre Liebe. Der junge Karl zog nach seiner Schulzeit von Reykjavik aus in die USA, um einen Neuanfang zu machen. Denn seine damalige Freundin Una hatte ihm den Laufpass gegeben und seine geliebte Mutter "Ástamama" starb. In den USA wird Karl ein wohlhabender Geschäftsmann, und auch bei den Frauen ist er sehr erfolgreich: Ihm geht es mehr um die Befriedigung seiner Liebhaberinnen als um die eigene. Seine Affären folgen geheimen Regeln, die offenbar funktionieren. Denn sämtliche Frauen loben seine Qualitäten als Liebhaber, sogar die kritische Doreen, die nach dem Sex noch im Bett persönliche Fragen stellte und damit die Grenzen des Erlaubten überschritten hat. Nach 17 Jahren in den USA besucht Karl seinen Geburtsort wieder. Una ist längst verheiratet; er umschleicht ihr Haus und landet bei einer Nachbarin, einer blassen, verwaschenen "Saunafrau". Die hört sich seinen nie verheilten Liebeskummer wegen Una an und macht ihm Butterbrote. Ermutigt von ihr, ruft Karl tief nachts in den USA bei Doreen an. Dass sie Psychoanalytikerin ist, hatte ihn seinerzeit etwas abgestoßen, aber jetzt spricht er sich bei ihr aus. Doreen berät ihn auch, allerdings nicht in ihrer Eigenschaft als Analytikerin, sondern ganz einfach freundschaftlich: Er soll Una jetzt sofort seine Liebe gestehen. Die in ihrer Ehe glücklos gebliebene Una folgt Karl noch in derselben Nacht bis in die USA. Jetzt geht es darum, ob die alte Liebe eine Zukunft bekommt.

    Das Buch hat einige Längen; trotzdem verschlingt man diesen verwickelten und dabei eingängigen Liebesroman voll Ungeduld, die Gestalten und ihre Konflikte zu verstehen. Aber was bleibt eigentlich nach der Lektüre? Una ist eine konturlose Person, von der nur klar wird, dass sie nun mal Karls große Liebe ist. Die Analytikerin Doreen schreibt nach der Begegnung mit Karl einen Roman mit dem Titel "Der gute Liebhaber", der ihre Erfahrungen mit dem geliebten Mann ziemlich unverhüllt schildert. Karl findet sich auf ärgerliche Weise als einen typischen Muttersohn analysiert: Die Liebe des vaterlosen Jungen zur vergötterten Mutter ließ sich noch auf Una übertragen, und nach deren Verlust gab es für ihn keine Zukunft. Nun hat Doreen Karl zwar geholfen, sich selbst und seine Una wiederzufinden, aber sie selbst muss auf ihn verzichten. Folgerichtig schafft sich Doreen gegen Ende des Romans ganz aus dem Weg, sie bringt sich um, denn es gibt eben auch für sie nur eine einzige große Liebe: Karl. Weitere Einzelheiten dieses handwerklich perfekt gebauten Romans muss man hier nicht wiedergeben. Die vielen Problempunkte werden einer nach dem anderen entweder geklärt oder fallen als unwichtig unter den Tisch. Was hier zählt, ist die Auflösung ins reine Glück. Una und Karl werden ein Kind bekommen. Wenn es ein Mädchen wird, soll es Ásta Doreen heißen, zu Ehren der beiden Schutzheiligen, die dem bekennenden Muttersöhnchen sein Leben schenkten. Karl legt Blumen auf Doreens Grab und denkt sich eine Melodie für sein künftiges Kind aus, die er "ein Lied für kleine Ohren" nennt.

    Herrje. Welche Lebenshilfe und welches Geschlechterbild wehen durch dieses Buch? Was wird einem hier in teils ziemlich platten Sentenzen übermittelt? Der Ärger mit den Männern kommt für die Frauen daher, dass Mütter, frustriert von den Ehemännern, ihre Söhne vergöttern, sodass größenwahnsinnige Schwächlinge heranwachsen, die der nächsten Frauengeneration nur Frustration bescheren. Diesen Teufelskreis gilt es zu durchbrechen. Der Roman selbst bricht allerdings nicht aus diesem Teufelskreis aus, sondern stellt ihn einmal mehr nach. Soll das subversiv sein? Ach was. Der Begriff des Umsturzes taugt in diesem Kontext überhaupt nicht. Natürlich hegt Karl untergründig eine gewisse Frauenangst bzw. Frauenfeindlichkeit, aber das Wissen darum wird hier mit einem schwer erträglich milden Augenzwinkern weitergereicht, so ganz von Frau zu Frau. In den Augen vieler weiblicher Leser ist Karl sicherlich kein guter Liebhaber: Mehr zwischen den Zeilen als im Text selbst kann man lesen, wie unerwachsen und wie gepanzert er ist. Aber sämtliche Weibsbilder in diesem Buch bis hin zur Brote schmierenden Saunafrau sind zu dumm, das zu begreifen, sie sind letztlich perfekte Übermütter, "Söhnchenmütter". Diese Ironie wirft einen um. Weiter: Die wiederholte Behauptung, Karl sei ein guter Liebhaber, bleibt in diesem Roman erzählerisch so trocken, dass es staubt. Aber gut: Nach der Lektüre des geschickt verwickelten Buchs hat man einmal mehr verstanden, wir Menschen sind allzumal in Illusionen verfangen. Gutwillig könnte man dann noch fragen: Will Sigurdardóttir mit der ungebrochenen Darstellung dieser Illusionshaftigkeit gerade den inneren Widerspruch beim Leser wecken? Schließlich wurde der Autorin immer wieder ihre Fähigkeit zur feinen Ironie bescheinigt.

    Zum Teufel mit der feinen Ironie. Zum Teufel mit der Pastellfarbe, von der dieser Roman überzogen ist. Hier besteht die größte Frechheit einer Frau darin, nach dem Beischlaf eine Zigarette im Bett des nichtrauchenden Liebhabers zu qualmen. Doreens Selbstmord ist ein sanftes Hinwegschlafen in den Armen ihrer Freundin. Und die seitenfüllende Wiederannäherung von Karl und Una, bei der viele gerührte Tränen fließen, liest sich so überzeugend und fesselnd wie die legendären himmlischen Verheißungen: Man hat es hier mit einer geschichtslosen Welt zu tun, mit einem Leben in Reichtum, erfüllt von Musik und Schönheit in jeder Form.

    Das gute Ende in Märchen besteht meist aus einem für den Leser barmherzig knappen Satz, sinngemäß: Und so lebten sie noch viele Jahre fröhlich miteinander. Im "guten Liebhaber" wird über viel zu lange Strecken versucht, eine positive romantische Liebe zu zeichnen. Der Topos der romantischen Liebe meint aber gerade die unlebbare Liebe, die eben wegen ihrer Unerfüllbarkeit ewig jung und ideal bleibt, während der Held oder die Heldin sich in Schmerzen verzehrt. Entsprechend glühend ist solche Literatur – wenn sie nicht den oft schiefen Idealismus solcher Liebe auf die Schippe nimmt, wie es der isländische Nobelpreisträger Halldor Laxness immer wieder unternahm.

    Aus dem Stoff von Steinunn Sigurdardóttirs Buch hätte ein komischer, ein tragischer, ein Wut spritzender, ein kreischend lachender Roman oder gar eine Mischung aus all dem werden können. Ein Roman mit Ausschlägen in alle Richtungen, der polarisiert. Stattdessen Gepflegtheit, Indifferenz, Milde. Ein anschmiegsames Buch - ein "Lied für kleine Ohren" eben.

    Steinunn Sigurdardóttir: Der gute Liebhaber
    Aus dem Isländischen von Coletta Bürling
    Rowohlt Verlag Reinbek
    220 Seiten; 17,95 Euro