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Ein linker Schelmenroman

Die Bestie Sumsilatipak hat uns alle im Griff: Ihre Waffe ist das Geld. In dieser Krise macht die Regierung Deutschland dicht. Eine kleine Gruppe Aufsässiger bricht auf, das Monster niederzuringen, darunter der älteste Kommunist Deutschlands und der kleine Hase Mandelbaum.

Von Sabine Peters | 16.06.2010
    Hendrik ist Schüler in Frankfurt am Main, und ihm fällt die schwierige Aufgabe zu, sein Land zu retten. Denn eine finstere Macht hat beschlossen, Deutschland dichtzumachen. Es ist die Bestie des Geldes, des Kapitalismus, die sich von diversen Wirtschafts- und anderen Krisen gestört fühlt; und sie hasst bei den Menschen alles, was unberechenbar und überraschend ist. Die Nation wird sozusagen "plombiert", das heißt, sie wird von jeder historischen Entwicklung ausgeschlossen.

    In Dietmar Daths neuem Roman "Deutschland macht dicht" droht das vor Jahren reichlich hanebüchen beschworene "Ende der Geschichte", und Hendrik kämpft mitten im Herzen der Bestie gegen dieselbe. Dabei helfen ihm die kluge Mitschülerin Rosalie, der alles- und nichts-wissende Hase Mandelbaum, ein alter Kommunist und ein sprechendes Kunstwerk namens "Ohne Titel". Diese tapferen fünf Freunde werden von einigen anderen unterstützt; aber sie haben gefährliche Gegenspieler; darunter befindet sich auch ein fanatischer Käse, der das Gedankengut eines israelfeindlichen, militanten Islamisten in sich aufgesogen hat.

    Der Vielschreiber Dietmar Dath, Jahrgang 1970, der unter anderem mit seiner Streitschrift "Maschinenwinter - Wissen, Technik, Sozialismus" Aufsehen erregte, hält den Kapitalismus für eine undemokratische, obszöne Wirtschaftsform. In seinen theoretischen, neomarxistisch beeinflussten Texten stellte Dath den kapitalistischen Imperativ - du sollst keine Alternative neben mir haben - infrage.

    Was die Belletristik angeht, so bezeichnete der Autor das Genre "Roman" einmal als eine "Allesfresserform". Daher ist sein neues Buch "Deutschland macht dicht" eine wild wuchernde Mischung aus Comic, Fabel, Märchen, Science-Fiction, Horror- und Schelmenroman.

    Nach der Lektüre ist man hin- und hergerissen. Ein Feuerwerk von Frechheiten und Geistesblitzen, Albernheiten, philosophischen Anspielungen und Nonsense ist auf einen niedergegangen. Der Roman lässt einige bekannte Persönlichkeiten auftreten: so die Regierungschefin, die allerdings zum Kanzler umgewandelt worden ist. Jesus von Nazareth hat sich notgedrungen profanisiert; er taucht als Cowboy auf und beherrscht mittlerweile die Technik des Kung-Fu. Damit rettet er nicht nur den alten Kommunisten vor dem unmittelbaren Verderben, sondern trägt erneut Wichtiges zur Weltgeschichte bei. Im Verlauf der Handlung treten musizierende Bäume auf, auch der Geist des Ökonomen Schumpeter flattert durch den Raum; und einigen recht harm- und machtlosen Gewerkschaftlern stehen streikbrechende Affen und Delfine gegenüber. Im abgedichteten Deutschland verhallen sämtliche Ausländer wie Echos, oder sie verlaufen wie verschüttete Milch. Die Leichtigkeit, mit der hier Kausalität und Logik durcheinandergewirbelt werden, kann faszinieren - in dem in sich selbst "hineingekeilten Land" versinkt die Bonner Universität im Bodensee; Geld wandelt sich in Gelatine. Angesichts dieses Wirbels von Einfällen und Ausfällen scheint es, als würden hier versteinerte Verhältnisse zum Tanzen gebracht.

    So weit, so schön. Und doch hat Dath eben kein Welt-Theater entworfen, auf dessen Bühne dieser Tanz stattfindet. Denn das Konstrukt, Deutschland abzudichten, fällt in Zeiten der Globalisierung derartig hinter die Realität zurück, dass man eigentlich nur von einer harmlosen Posse sprechen kann; im Übrigen bekämpfen nicht einmal Globalisierungskritiker die vernetzte Welt, ihre Einwände richten sich gegen das darin herrschende Machtgefälle. Aus dem Welt-Theater wird bei Dath sozusagen ein nationales Theater, und selbst das ist am Ende, streng genommen, Kaspertheater.

    Doch, ja, man lässt sich gerne mitreißen von diesem Unterhaltungsroman. Daths Stärke ist die Realitätsverschiebung, sein Erfindungsreichtum, das Spiel mit Referenzen - aber mit der oft beschworenen Offenheit und Entgrenzung ist es letztlich nicht weit her. Denn der Autor hat seine Figuren allzu fest im Griff. Da ist das Krokodil, der Kapitalismus, und der schöne kluge Kasper Hendrik kämpft gegen dieses reine Böse listenreich und tapfer. Jeder der farbenfrohen Hampelmänner dieses Romans "steht für etwas", für eine Idee, einen Idealtypus, einen Sprechmodus - und bei allem Handlungs-, Anspielungs- und Beziehungsreichtum lässt der Roman schließlich kein Rätsel offen. Das ist schade. Dabei besingt das ironisch-augenzwinkernde Happy End in klassisch-bekannter Weise Öffnung, Neubeginn und Reisen.

    Es lohnt, sich noch einmal zu erinnern, welche realistisch-fantastische Literatur von anderen linken Autoren geschrieben wurde. Auch der satirische Schelmenroman "Die Glücklichen" von Peter Paul Zahl aus dem Jahr 1979 endete mit dem Aufbruch in ferne Gefilde. Zahls Kultbuch war eine Textdroge, die in allem Witz auch entschiedenen Zorn auf die gesellschaftlichen Verhältnisse zeigte. Dieser Habitus findet sich nicht in Daths Roman. So, wie gegenwärtig alles - Schule, Arbeitsleben und Krankheitsvorsorge - einfach Spaß machen muss, so heiter wird hier der Klassenkampf inszeniert. Aus einer Haltung der Auflehnung ist eine kokett verspielte, postmoderne Geste geworden.

    Wenn man Dietmars Daths Buch, das sich also ganz auf der Höhe der Zeit befindet, trotzdem gern liest, dann schlicht aus Lust an einer abgedrehten, abenteuerlichen, energiegeladenen Komödie.

    Dietmar Dath: Deutschland macht dicht. 200 Seiten, Suhrkamp, 17,80.-