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Ein Maler der Bürger

Aquarelle gelten in der Bildenden Kunst als ganz hohe Schule: Anders als beim Umgang mit Ölfarben können Fehler nicht übermalt oder abgewischt werden. Nur wenige Künstler wurden wirkliche Meister darin. Rudolf von Alt ist einer von ihnen. 1812 in Wien geboren, war er im Österreich des 19. Jahrhunderts einer der erfolgreichsten Künstler. In der Albertina in Wien ist nun eine große Gedächtnisausstellung zu sehen.

Von Beatrix Novy |
    In vielen Wiener Wohnungen, seien sie von jungen urbanen Doppelverdienern bewohnt oder von gesetzten älteren Herrschaften, hängen Bilder mit alten Wiener Ansichten. Diese Bilder, deren Reiz offenbar nicht nachlässt, zeigen jenes Alt-Wien , das schon sehr früh zu einer sentimentalen Erfindung geworden war – als habe das Gefühl des Verlusts die realen Motive immer schon begleitet. Bereits im 19. Jahrhundert schätzte man den schönen weinumrankten Torbogen, die Holzveranda am alten Gemäuer, den pittoresken Innenhof. Diese Art von Genremalerei praktizierte Rudolf von Alt nicht, seine Sache waren die ebenfalls dauerhaft beliebten Motive der Stadt, wie sie bis heute im wirklichen Leben zu besichtigen sind: der Graben, der Stefansdom, der Hohe Markt, oder auch der Blick in die Alservorstadt : eine Frau im Vordergrund blickt aus ihrem Fenster über das Dach des Nachbarhauses auf die begrünte Straße und die gegenüberliegende zweistöckige Biedermeierzeile. Dieses Bild enthält weder Weinlaub noch verfallenes Gemäuer, es ist vollkommen unsentimental-realistisch und doch von einer Spitzwegschen Anmutung, damit auch das ideale Aushängeschild für eine Rudolf von Alt-Ausstellung.

    Drinnen sieht man dann wenig dergleichen, mit 100 der 250 Werke, die die Albertina von diesem Maler besitzt; wird zum 100. Todestag des Malers Gelegenheit gegeben, seinen langen Lebensweg nachzuvollziehen.

    Rudolf von Alt war der Sohn eines Malers, Jacob Alt, der erst 1810 aus Frankfurt nach Wien gekommen war, eigentlich dem obligaten Reiseziel Italien zustrebend, dann aber den Reizen seiner Zimmerwirtin erlegen, mit der er die Ehe einging; zwei Jahre später kam Rudolf zur Welt. Er und seine Geschwister mussten versorgt werden, der Vater verschrieb sich der einträglichen Landschaftsmalerei, an der er sehr früh den Sohn beteiligte. Mit der heute unbegreiflichen Disziplin der Kinder des damaligen Bürgertums begleitete Rudolf seinen Vater schon mit 13 auf seinen monatelangen Sommerreisen in die Berge, wo man viele Skizzen der beliebten Naturansichten fertigte; die Winter brachte man dann damit zu, nach diesen Vorlagen Gemälde und Aquarelle herzustellen: eines zeigt einen Wasserfall als feinst getupfelten feucht-blauen Schleier, hervorgehoben durch den nicht ausgeführten bleistiftgezeichneten Fels rechts und links.

    Eine lithographierte Serie mit Wiener Plätzen und Umgebungen war das nächste gemeinsame Projekt der kleinen Firma Alt, zur gleichen Zeit fuhren die beiden nach Oberitalien, um einen anderen Markt bedienen zu können: italienische Motive verkauften sich gut. Darüber hinaus war Rudolf begeistert von der Schönheit der Städte und übte seinen immer ziselierter werdenden Strich an Palladios Halle in Vicenza oder am Pantheon von Rom. Erst viele Jahre später, er hatte das sommerliche Reisen nie auf, kam er auch nach Venedig, wo er natürlich auch den Canal Grande malte.

    Hier allerdings beginnt es zu befremden, dass im Jahr 1864 einer den Canal Grande so malt, wie es Canaletto schon mehr als 100 Jahre vorher, und bis Verlaub präziser getan hatte – und das in einer Epoche, deren abbildnerische Möglichkeiten durch die konkurrierende Fotografie gerade erste Höhepunkte erreichte. Auch die Zeichen der Industrialisierung kommen bei ihm nicht, wie bei vielen anderen Malern, von fern ins Bild – erst 1903, zwei Jahre vor seinem Tod, malt er die dampfspeiende Eisengießerei in seiner Straße.

    Ein Blick auf die Interieurs aristokratischer Haushalte, die Rudolf von Alt in der Zeit nach der 48er Revolution malte, kann vielleicht zur Erklärung dieses beharrlich fortschrittsleugnenden Verismus beitragen: Die verblüffend schlichten und geschmacksicheren, eben biedermeierlichen Salons oder Schreibzimmer dienen der Selbstvergewisserung der reichen Auftraggeber ebenso wie die Ansichten der bürgerlichen Stadt, der bürgerlichen Ausflugs- und Reiseziele und Lieblings-Naturmotive der Selbstvergewisserung des Bürgertums dienten – bis heute übrigens. Damit allein aber die Beliebtheit des Wiener Solitärs Rudolf von Alt erklären zu wollen wäre aber ungerecht. Denn zum einen war er ein sagenhaft sicherer Aquarellist, er war ein Könner, was Farb- und Licht-Komposition anging, Baumkronen, entstanden aus tausendfach hingetupften Blättern, messen sich an den großen Werken der romantischen Landschaftsmalerei. Und 1897, er war 85 Jahre alt, geachtet, geadelt und hochverehrt, trat er zu den Jungen über: Mit der Gruppe um Gustav Klimt stellte er sich gegen die herrschende akademische Malerei, trat aus der Genossenschaft der bildenden Künstler Wien aus und schloss sich der Wiener Sezession an. Natürlich wurde er ihr Ehrenpräsident.