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Ein Mann beschließt zu gehen

In ein paar Wochen wird Oskar Lafontaine offiziell den Parteivorsitz der Linken und sein Bundestagsmandat zurückgeben. Eine Hommage an den Übervater der Linken, den Willy Brandt einmal eine "gelungene Mischung aus Napoleon und Mussolini" genannt hat.

Von Günter Hellmich |
    "Es sieht so aus, dass das Linksbündnis zustande kommt und ich habe erklärt, wenn es zustande kommt, dann trete ich an."

    So was nennt man Geschäft auf Gegenseitigkeit. Als Oskar Lafontaine vor knapp fünf Jahren seinen Hut in den Ring wirft, ist die PDS eine ostdeutsche Regionalpartei mit vielen gescheiterten Versuchen, im Westen Fuß zu fassen. Mit Sympathie beobachtet der prominente SPD-Dissident, der sich unter anderem als "Bild"-Kolumnist immer im Gespräch gehalten hat, wie sich aus linken Gewerkschaftern und Gegnern von Kanzler Schröders Agendapolitik die "Wahlalternativen für Arbeit und Soziale Gerechtigkeit" gründen - vor allem im Westen.

    Der Zeitpunkt, mitzumischen ist aber für den gewieften Parteistrategen und mit Kraftfeldern vertrauten Physiker noch nicht gekommen. Lafontaine erinnert sich zu gut daran, wie frühere Versuche von SPD-Linksabweichlern etwas Eigenes zu gründen, kläglich gescheitert sind. Manfred Coppik, Karl-Heinz Hansen, Jochen Steffen sind einige der Namen, die in solchen Zusammenhängen mal für Furore sorgten, dann aber bald in der Versenkung verschwanden - Lafontaine will seinen Namen keinesfalls auf dieser Liste lesen. Er wartet.

    Als aber sein Erzrivale Schröder ankündigt, die Bundestagswahl vorzuziehen, erkennt Lafontaine mit ausgeprägtem politischem Instinkt sofort den historischen Moment: seine Chance, sich an die Spitze einer noch zu vereinigenden Linken zu setzen.

    Die PDS giert damals geradezu nach dem neuen Politstar aus dem Westen, sein Heilsversprechen: Die Befreiung aus dem Joch der ewigen Ostpartei verträgt keine Zweifel. Der Zeitdruck vom Mai bis September noch eine gemeinsame Kandidatenaufstellung samt Wahlprogramm hinzubekommen, lässt die in der Linken sonst immer fälligen Grundsatz- und Autoritätsdiskussionen in den Hintergrund treten.

    Bei der WASG wie bei der PDS heißt es: Jetzt oder nie - Lafontaine braucht sich nirgendwo durchzusetzen; bekommt, was er will und kann machen, was er will. Selbst grobe Verletzungen der linken Political Correctness, wie bei seiner berüchtigten "Fremdarbeiterrede" in Chemnitz, bringen höchstens innerparteiliches Grummeln hervor, aber keine Abkehr von der neuen Lichtgestalt. Die PDS stellt Organisation und Finanzen für das Projekt neue Linkspartei - aber realisierbar ist es nur mit Lafontaine. Und deshalb bestimmt er letztlich die Konditionen.

    "Als wir vor vier Monaten uns entschieden haben zusammenzugehen, da wussten wir nicht, was herauskommen würde. Heute können wir sagen, das Wagnis hat sich gelohnt. Wir sind durch! Es gibt eine starke Linke im Deutschen Bundestag!"

    Am Wahltag dann ein hervorragendes Ergebnis: 8,7 Prozent für die vereinigten Kader von PDS und WASG, nur dank Oskar war das möglich, ist die einhellige Meinung - obwohl eigentlich nur die starke PDS-Basis in Ostdeutschland den Einzug in den Bundestag sichert. Im Westen bleibt man auch mit dem Saarländer unter fünf Prozent. Ganz knapp zwar, aber immerhin.

    Interessant für Lafontaines weiteren Machtausbau: Er bekommt damals mit dem Vorsitz der Bundestagsfraktion und später dem Parteivorsitz der Linken die beiden einflussreichsten Positionen in Personalunion zugesprochen, während diese beim Ostflügel der Partei zwischen Gysi und Bisky aufgeteilt werden. Entscheidender für den Ausbau von Lafontaines Machtposition ist aber, dass die SPD in eine Große Koalition mit der CDU geht. Und wer ist da als Widerpart im Parlament geeigneter und medienwirksamer als Oskar Lafontaine? Er bleibt unersetzlich. Und das zahlt sich aus, als es dann gilt, ab 2007 die Linke als Vereinigungspartei programmatisch und personell neu aufzustellen.

    "Die Partei Die Linke, das muss ich so sagen, hätte es ohne Oskar Lafontaine so höchstwahrscheinlich - mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - nicht gegeben."

    Hinter Lafontaines strategischem Ziel, Die Linke als frische neue bundesweite Oppositionspartei politisch zu vermarkten, und dabei vom PDS/SED/Ostgeruch zu befreien, verbirgt sich durchaus auch taktisches Interesse: Mit Erfolg gelingt es Lafontaine, den Einfluss des in Ostdeutschland dominanten pragmatischen Flügels in der Partei zurückzudrängen und gleichzeitig den Einfluss radikalerer Kräfte, wie Sahra Wagenknecht zu stärken.

    Jüngstes Beispiel dafür: der zum Abschied Lafontaines offen ausgetragenen Konflikt mit Dietmar Bartsch. Den drängt Gysi mit Blick auf Lafontaine und dessen Bataillone öffentlich zum Rücktritt vom Amt des Bundesgeschäftsführers, weil sich er gegenüber dem Vorsitzenden Oskar illoyal verhalten haben soll. Gleich anschließend macht er ihn dann zu seinem Fraktionsvize im Bundestag. Und hofft damit, einen unerbittlichen Flügelkampf nach dem Abgang Lafontaines aus der Bundespolitik zu verhindern.

    Zu spüren bekommen haben Lafontaines Neigung, seine politische Linie von oben nach unten durchzusetzen, schon vorher insbesondere die Berliner Genossen, die lange Zeit an der einzigen rot-roten Landesregierung beteiligt waren. Sie mussten regelmäßig bei Lafontaine zum Rapport antreten, um nachzuweisen, dass sie noch genug Abstand zur SPD haben. In Lafontaines persönlichem Kalkül dürfte es bei dieser Politik weniger um die Ablehnung von Regierungsbeteiligungen an sich gehen, als um den Zeitpunkt.

    Noch ist die Linke im Westen nicht stabilisiert, noch reicht die Basis nicht aus. Wählerstimmen gewinnt die Partei aber nur in scharfer Abgrenzung von der SPD. Da sind Widersprüche kontraproduktiv, die zwangsläufig auftreten müssen, wenn die Linke gleichzeitig im Osten ganz pragmatisch auf Landesebene mit der SPD koaliert.

    Ein Ergebnis solcher Abgrenzungsstrategie ist immerhin, dass Lafontaine noch vor seinem Rückzug systematisch das regierungsskeptische und linksradikale Lager in der Partei gestärkt hat. Was sich auch an dem Entwurf zum Parteiprogramm ablesen lässt, wo Generalstreik und Verstaatlichung von Banken und Konzernen gefordert werden. Wie an den Schwierigkeiten eine Nachfolgelösung für Lafontaine zu finden. Letztlich hat jetzt wieder Gysi die Verantwortung in Händen. Das Geschäft auf Gegenseitigkeit hat wohl seine Grundlage verloren.

    "Ich habe heute den Parteivorstand informiert, dass ich, aus gesundheitlichen Gründen, auf dem Parteitag nicht mehr für das Amt des Parteivorsitzenden kandidieren werde und auch mein Bundestagsmandat abgeben werde."