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Ein Mann räumt auf

Drogenhandel im großen Stil, Terrorismus, Korruption und Verbrechen gegen die Menschlichkeit - das sind die Fälle des spanischen Untersuchungsrichters Baltasar Garzón, der in seinem Land viele Freunde und Feinde hat. Nun ermittelt er wegen des US-Gefangenenlagers Guantánamo und Korruption in der Volkspartei - und stößt dabei auf Widerstand spanischer Politiker.

Von Hans-Günter Kellner | 11.06.2009
    Einen solchen Auftritt haben Juristen selten: Baltasar Garzón trifft zu einem Podiumsgespräch über Menschenrechte und Internationales Recht im Madrider Haus der Schönen Künste ein, auf das Blitzlichtgewitter und die vielen Mikrofone vor ihm reagiert der stets elegant gekleidete Untersuchungsrichter am Madrider Nationalen Gerichtshof mit einem abweisenden Fingerzeig. Der Jurist ist wegen seiner spektakulären Fälle berühmt. So hatte er sich im Februar vorgenommen, die Franco-Diktatur mit ihren zehntausenden Repressions-Opfern juristisch aufzuarbeiten. Doch sprechen mag er darüber nicht:

    "Wie Sie wissen, kann ich mich nicht zu Dingen äußern, die gerade Gegenstand von Ermittlungen oder Verhandlungen sind. Und schon gar nicht, wenn diese Fälle von mir bearbeitet werden. Ich hoffe, Ihre Hörer verstehen das. Auch, wenn natürlich viel dazu zu sagen wäre und sicher auch gesagt werden wird. Aber im Augenblick muss ich schweigen. Vielen Dank!"

    Denn eine rechtsextreme Organisation hat Garzón verklagt. Er habe im Falle der Franco-Diktatur das Recht gebeugt, so der Vorwurf. Garzón hat dagegen Widerspruch eingelegt. Der Fall zeigt: Garzón hat sich in den 20 Jahren, die er am spanischen Nationalen Gerichtshof gegen die Drogenbarone, Terroristen und Diktatoren ermittelt, viele Feinde gemacht. Das beweisen auch die Pläne für einen Giftanschlag der ETA. "Der Hurensohn macht uns das Leben zur Hölle", heißt es in einem internen Dokument der Terrorgruppe. Im spanischen Fernsehen sagte der Jurist einmal zur Gefahr eines Attentats:

    "Ich versuche jeden Tag aufs Neue, diese Angst zu überwinden. Wir müssen diesen Bedrohungen unsere Stärke entgegensetzen: Mit unseren Mitteln diesen Leuten antworten. Das ist möglich!"

    Doch ganz so locker wie es scheint, ist er dann doch nicht: Garzón schläft seit Jahren nur noch drei Stunden am Tag, wurde zuletzt wegen einer Angstneurose in ein Krankenhaus eingeliefert. Und so manche seiner umstrittenen Entscheidungen sind in höheren Instanzen zurückgenommen worden. Seinem Image, keine Angst vor großen Tieren zu haben, schadet das nicht: In den neunziger Jahren untersuchte Garzón den so genannten "schmutzigen Krieg" der Regierung von Felipe González gegen die ETA. 28 angebliche ETA-Mitglieder verschwanden dabei oder wurden ermordet. Der sozialistische Innenminister José Barrionuevo wurde schließlich zu zehn Jahren Haft verurteilt.

    "Zum Glück geht es ja vorwärts. Wir leben nicht mehr in den Zeiten der Inquisition. Trotzdem gibt es auch heute noch Regierungen, die meinen, auf dem Weg zur Wahrheit Abkürzungen nehmen und die Rechte von Beschuldigten beschneiden zu müssen. Wir in Spanien wollen den Terrorismus mit den Mitteln des Rechts der westlichen Zivilisationen bekämpfen. In kaum einem anderen Land hat der Beschuldigte so viele Rechte. Das ist gut so. Die Gewalt muss besonnen bekämpft werden, im Rahmen der Legalität. Das unterscheidet uns doch von den Barbaren!"

    Als Garzón vor zehn Jahren Chiles Ex-Diktator Augusto Pinochet in London verhaften ließ, wandte er erstmals die sogenannte Universelle Zuständigkeit der Justiz im Falle besonders schwerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit an. Das heißt: Spaniens Justiz ist bei Verbrechen wie Völkermord oder Folter auch dann zuständig, wenn das Verbrechen im Ausland geschah und weder Opfer, noch Täter Spanier sind. So wurde auch möglich, dass der Untersuchungsrichter nun wegen des US-Gefangenenlagers Guantánamo ermittelt:

    "Es wurde ein regelrechtes System entwickelt, Gefangene unter Druck zu setzen, zu misshandeln und zu foltern. Dies geschah in Guantánamo, Abu Ghraib im Irak und in Bagram in Afghanistan. Trotzdem zeichnen sich in den USA keine Ermittlungen gegen die Verantwortlichen ab. Ich schließe aber nicht aus, dass es auch dort noch dazu kommt."

    Spaniens Politiker wollen aber nicht, dass ihre nationalen Gerichte zu einem Ersatz des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag werden. Sie wollen das Strafrecht jetzt so ändern, dass nur noch ermittelt werden darf, wenn auch Spanier betroffen sind. Und Garzón ist mit noch einem andern Fall in den Schlagzeilen: Er ist auch für die Ermittlungen wegen Korruption gegen hochrangige Vertreter der Volkspartei verantwortlich. Die Partei wehrt sich. Im Grunde sei Garzón schon immer ein Sozialist gewesen, so die Reaktion. Garzón reagiert darauf wie immer: Schweigsam. Seine Prinzipientreue hat ein Vorbild:

    "Ich kenne die Geschichte des spanischen Bürgerkriegs von meinem Onkel. Er war sehr konservativ, aber politischer Kommissar der demokratischen Republik. Einmal fragte ich ihn, wie das zusammenpasse, so konservativ zu sein und auf Seite der Republik zu kämpfen. Er antwortete: Weil das die rechtmäßige Regierung war. Und ich muss doch auf der Seite der Legalität stehen."