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Ein mann voller Widersprüche

J. Robert Oppenheimer baute zuerst die Atombombe und engagierte sich dann gegen den Einsatz nuklearer Waffen. 30 Jahre lang hat sich der Historiker Martin J. Sherin mit dem Leben des Forschers beschäftigt. Jetzt hat er zusammen mit dem Journalisten Kai Bird eine Biografie veröffentlicht.

Von Dagmar Röhrlich |
    6. August 1945. 8 Uhr, 16 Minuten und zwei Sekunden. Eine Atombombe vernichtet die japanische Stadt Hiroshima. 70.000 Menschen sterben auf der Stelle, 50.000 in den folgenden Minuten, Stunden oder Tagen.

    Die grundlegende Kraft im Universum ist nutzbar gemacht worden. Die Kraft, aus der die Sonne ihre Macht zieht, ist gegen die eingesetzt worden, die den Krieg nach Fernost trugen.
    US-Präsident Harry S. Truman feiert die neue Waffe. Sie scheint die Überlegenheit der USA zu zementieren. Zu diesem Sieg verhalf ihm J. Robert Oppenheimer, der wissenschaftliche Leiter des sogenannten Manhattan-Projekts. Der Physiker war der Vater der amerikanischen Atombombe und ein Patriot – aber gleichzeitig wurde er wegen seiner zeitweiligen Nähe zum Kommunismus von den Behörden mit größtem Misstrauen beobachtet. Das Leben Oppenheimers war voller Widersprüche – und so zeichnen auch Martin J. Sherwin und Kai Bird in ihrer Pulitzerpreis-gekrönten Biografie ein von Gegensätzen geprägtes Bild: Er war charismatisch, aber auch verschlossen und schwierig. Er konnte verletzend sein, arrogant, aber auch charmant, ein brillanter Wissenschafter, weitblickend – und grenzenlos naiv. Die Autoren, die mit großer Akribie eine beeindruckende Materialsammlung über Oppenheimer zusammengetragen haben, beschäftigen sich mit einem innerlich zerrissenen Mann, mit einem Mann, der sich seiner Verantwortung stellte:

    Herr Präsident, ich glaube, ich habe Blut an meinen Händen.
    J. Robert Oppenheimer stammt aus bürgerlichem Haus. 1903 als Sohn einer reichen, aus Deutschland stammenden Familie geboren, wuchs er behütet auf. Er litt in den politisch damals gar nicht korrekten USA sehr darunter, Jude zu sein. Er war unsicher, altklug, frühreif. Eine Cousine soll er aufgefordert haben:

    Frag' mich etwas auf Latein, ich antworte Dir dann auf Griechisch.
    Als Kind hatte er wenige Freunde. Später studierte er in Harvard, Göttingen, Cambridge, erlebte in Europa die Revolution der Quantenmechanik. Der depressive junge Mann las Dostojewski und Proust – und glitt zeitweise ab, wollte sogar einen seiner Professoren mit einem Apfel vergiften. Zum Glück aß er ihn aber nicht. Nach seinem Studium lehrte Oppenheimer in Berkeley und am Caltech, scharte einen Kreis von Studenten um sich, die ihn verehrten und nachahmten. Er war renommiert, sagte die Existenz der Antimaterie voraus, die der Neutronensterne. Aber er machte nichts aus seinen Geistesblitzen:

    Es ist typisch für Oppenheimer, dass er sich nicht die Zeit nahm, eine elegante Theorie der Phänomene zu entwickeln.
    Politisches Interesse entwickelte Oppenheimer erst durch die sozialen Unruhen der Weltwirtschaftskrise, den Aufstieg der Nazis und den Spanischen Bürgerkrieg: Oppenheimer identifizierte sich mit den Kommunisten, spendete Geld für den Kampf gegen Franco. Dann kam der Tag, der alles verändern sollte:

    Am Sonntag, dem 29. Januar 1939 stieß Luis W. Alvarez, ein vielversprechender junger Physiker, auf die Nachricht, dass die beiden deutschen Physiker Otto Hahn und Fritz Straßmann nachgewiesen hatten, dass man den Kern des Uranatoms durch Beschuss mit Neutronen spalten kann.
    Oppenheimer erkannte sofort, was das bedeutete:

    Ich halte es für nicht ganz unwahrscheinlich, dass ein zehn Zentimeter großer Würfel von Urandeuterid eine höllische Explosion verursachen könnte.
    Es war klar, dass Amerika diese Bombe vor Hitler haben müsste. Diese Idee beherrschte von nun an sein Leben. Seine kommunistischen Gedanken ließ er hinter sich, konzentrierte sich ganz auf das Manhattan-Projekt. In der Einsamkeit von Los Alamos wuchs er über sich hinaus. Es war eine heroische Aufgabe: 6000 Menschen arbeiteten an Entwicklung und Bau der ersten Bombe. Sie lebten hinter Stacheldraht und in Baracken - und taten alles für Oppenheimer, der wie Gottvater über ihnen schwebte. Es herrschte eine besondere Atmosphäre, wie es ein junger britischer Physiker beschreibt:

    Hier in Los Alamos habe ich den Geist von Athen gefunden, von Plato, den Geist einer idealen Republik.
    Eine ideale Republik für den Bau einer Massenvernichtungswaffe. Dann kapitulierte Deutschland:

    Als die Bombe nicht mehr gegen die Nationalsozialisten eingesetzt werden konnte, erhoben sich erste Zweifel, schrieb ein Forscher. Plötzlich fehlte die Rechtfertigung - aber sie machten weiter. Dann - der erfolgreiche Test. Anschließend gab Oppenheimer den Piloten genaue Anweisungen:

    Sie müssen das Ziel sehen, kein Radar, das Ziel muss zu sehen sein.
    Und danach - Oppenheimer weiß, dass nun sein wichtigster Kampf beginnt: Er will den Rüstungswettlauf verhindern. Er verliert, wird politisch demontiert. Spannend wie einen Krimi schildern seine Biografen diese Phase seines Lebens, lassen dabei die McCarthy-Ära wieder erstehen, zeigen, wie Oppenheimer seine Gegner unter- und die Vernunft der Menschen überschätzt – und so auf den Abgrund zusteuert: 1954 muss er eine Sicherheitsanhörung über sich ergehen lassen, an deren Ende ihm die Unbedenklichkeitsbescheinigung entzogen wird: Er darf nicht mehr mit Geheimunterlagen arbeiten, auch nicht als Regierungsberater – sein politischer Einfluss ist dahin. Erniedrigt kehrt Oppenheimer an sein Institut nach Princeton zurück. "J. Robert Oppenheimer" ist ein eindringliches Buch, in dem der Historiker Martin J. Sherwin und der Journalist Kai Bird ein ganzes Zeitalter rekonstruieren – und seine Folgen, die bis heute hin nachwirken und die in Zeiten des Terrorismus ganz neue Dimensionen annehmen. Oppenheimer ahnte damals, was kommen wird:

    Für mich steht fest, dass sich der Charakter des Krieges grundsätzlich verändert hat. Die Bomben werden sehr billig werden, sodass sie jeder herstellen kann.
    Wahrscheinlich wäre er sehr überrascht zu hören, dass sich die Menschheit noch nicht in die Luft gejagt hat.

    Dagmar Röhrlich mit einer Empfehlung für die Biografie über J. Robert Oppenheimer von Kai Bird und Martin J. Sherin. Die gut 600 Seiten sind im Propyläen-Verlag erschienen, ISBN 3549073585. Der Preis: Euro 29,95.