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"Ein Mensch muss sich auf neue Gesetze einstellen können"

Nach langer Diskussion um eine Neuregelung des Unterhaltsrechts will die Große Koalition nun zu einer raschen Einigung kommen. Die ehemalige Hamburger Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit äußerte in diesem Zusammenhang Bedenken, da das neue Recht auch für bestehende Ehen gelten soll. Sie plädierte statt dessen für eine Stichtagsregelung.

Moderation: Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Mehr als jede dritte Ehe wird in Deutschland wieder geschieden. Der Satz "bis dass der Tod euch scheidet" hat häufig seine Gültigkeit verloren. Eines gilt aber auch: Geschiedene gehen häufig wieder eine neue Partnerschaft ein und leben dann auch mit neuen Kindern zusammen in den berühmten Patchwork-Familien. Das Zusammenleben ist ein bisschen komplizierter geworden als früher - mit Folgen auch für das Unterhaltsrecht. Die Große Koalition will deswegen das Unterhaltsrecht ändern - zugunsten der neuen Partnerschaften. Aber mit der Folge, kurz gesagt, dass die geschiedenen Ehefrauen damit rechnen müssen, weniger Unterhalt zu bekommen. Dagegen regt sich Protest in der Union. Heute Morgen gab es ein erstes Gespräch. Diese oder nächste Woche soll dann die Entscheidung fallen. Am Telefon Lore Maria Peschel-Gutzeit, sie war früher Justizsenatorin in Hamburg und Berlin. Guten Tag!

    Lore Maria Peschel-Gutzeit: Ja, guten Tag Herr Meurer!

    Meurer: Warum ist das alte Unterhaltsrecht nicht mehr gut genug?

    Peschel-Gutzeit: Na ja, so kann man es vielleicht nicht sagen. Das alte Unterhaltsrecht ist ja Teil der Unterhalts- beziehungsweise Ehescheidungsreform von 1976, gehört also untrennbar zu dem neuen Scheidungsrecht, das damals vom Verschulden auf Zerrüttung umstellte. Seither, seit 1977 kann praktisch jede Ehe geschieden werden, was vorher nicht der Fall war, und in diesem Fall muss man für den sozial Schwächeren für eine Absicherung sorgen. Das war damals das Bestreben des Deutschen Bundestages, und so ist es zu den zahlreichen Unterhaltsvorschriften gekommen. Nun gilt ja bis heute die Zerrüttungsscheidung, das heißt, bis heute kann jede Ehe geschieden werden, und es ist die Frage, was macht er mit diesem Unterhaltsrecht, das sich zwar bewährt hat, soweit es den Schutz der geschiedenen Ehefrau angeht, das aber einen Unterhaltsschuldner oft nicht in die Lage setzt, eine neue Ehe einzugehen. Darin liegt die Veränderung.

    Meurer: Im Kern: Was soll in diesem Fall verändert werden, wenn jemand wieder geheiratet hat oder eine neue Beziehung eingegangen ist?

    Peschel-Gutzeit: Es sollen also die Unterhaltsansprüche der geschiedenen Ehefrau, ich sage mal der Kürze halber Ehefrau, weil es fast immer Frauen sind, sollen reduziert werden, zeitlich und höhenmäßig. Die geschiedenen Ehefrauen sollen ihren bisher besten Unterhaltsrang verlieren. Der letztere ist deswegen so wichtig, weil oft ja die Verteilungsmasse nicht ausreicht, um für alle Betroffenen Unterhalt zu zahlen, und dann bekommen die, die den besten Unterhaltsrang haben, am aller ehesten was. Derzeit ist es so, dass die Kinder eines Mannes und die geschiedene Ehefrau denselben besten Rang haben, und das bedeutet oft, dass für die neue Ehe sehr viel weniger da ist. Das soll geändert werden.

    Meurer: Wie soll das geändert werden?

    Peschel-Gutzeit: Die geschiedene Ehefrau soll künftig im zweiten Rang berücksichtigt werden, ebenso wie die aktuelle Ehefrau und ebenso wie eine mit dem Schuldner nicht verheiratete Frau, wenn und so weit alle drei Kinder dieses Mannes betreuen.

    Meurer: Wird der Mann das finanziell stemmen können oder wird dann die Unterhaltssumme eben sozusagen dividiert durch die Zahl seiner ehemaligen und heutigen Ehefrauen?

    Peschel-Gutzeit: Ja, genau das Letztere ist der Fall. Die Einkünfte sind ja bei vielen Männern nicht so furchtbar hoch, und das bedeutet eine Reduzierung. Wenn alle Frauen denselben Rang haben, bekommen sie eigentlich alle nur noch ein Drittel.

    Meurer: Welche Rolle spielt es, dass die erste Ehefrau, die geschiedene Ehefrau, Kinder hat? Welche Rolle sollte das spielen, wenn sie sich um die Kinder kümmert?

    Peschel-Gutzeit: Das soll dieselbe Rolle spielen, wie wenn die aktuelle Ehefrau oder wenn die Freundin Kinder betreut, das heißt, sie würden sich alle, wie eben aufgeführt, im zweiten Unterhaltsrang wieder finden, aber es gibt eben keine Privilegierung mehr der geschiedenen Ehefrau, wie es derzeit der Fall ist.

    Meurer: Sie schlagen vor, Frau Peschel-Gutzeit, eine Stichtagsregelung einzuführen. Wie soll das aussehen?

    Peschel-Gutzeit: Ja, ich darf vielleicht sagen, es ist also keineswegs so, dass nur die CDU/CSU Bedenken hat, sondern diese Bedenken kommen auch von sehr vielen Verbänden. Es geht um den Vertrauensschutz der so genannten Altehefrauen, die ja unter anderen Voraussetzungen die Ehe eingegangen sind. Nehmen wir eine Ehe, die besteht zehn Jahre, und beide Eheleute sind sich einig, dass die Ehefrau zu Hause bleibt, Familienarbeit leistet, die Kinder erzieht, der Mann sagt, ich verdiene das Geld. Wenn jetzt die neuen Regelungen auch für diese Ehefrauen gelten, dann konnte die sich in ihrer Lebensführung darauf ja überhaupt nicht einstellen. Das ist also eine Frage des Vertrauensschutzes, und deshalb fordern viele - so auch der Deutsche Anwaltverein -, dass man für die so genannten Altehefrauen eine Stichtagsregelung oder eine andere Regelung findet, die es ihnen ermöglicht, in ihrer gewählten Lebensform, die oft mit dem Ehemann ja auch abgesprochen war, weiterzuleben. Man könnte sich eine Stichtagsregelung derart vorstellen, dass die neuen Vorschriften nur für die künftigen Ehen gelten sollen. Man könnte auch daran denken zu sagen, alle Ehen, die älter als zehn Jahre sind, werden nicht betroffen, und Ähnliches. Nur: Derzeit ist der Vorschlag der, dass alle die neuen Vorschriften, die ja eine verstärkte Erwerbsobliegenheit aller geschiedenen Frauen zum Inhalt haben, auch für alle bestehenden Ehen gelten, und das halten viele Menschen - und dazu gehöre auch ich - für sehr bedenklich, eben weil ein Mensch sich ja auf neue Gesetze einstellen können muss.

    Meurer: Erwerbsobliegenheit heißt also, dass die Ehefrau verpflichtet wird, wieder arbeiten zu gehen. Wie sehr steigt diese Verpflichtung an?

    Peschel-Gutzeit: Unter schärferen Bedingungen als bisher. Sie soll also grundsätzlich nach der Scheidung erwerbsverpflichtet sein. Sie soll auch eine Arbeit eher annehmen müssen als heute, also zeitlich eher, auch wenn sie Kinder betreut, und auch vom Inhalt der Arbeit her soll sie weniger hohe Ansprüche stellen können als bisher. Sie soll eine Arbeit annehmen müssen, die ihren eigenen Fähigkeiten und ihrer früheren Tätigkeit entspricht, und das ist natürlich schwierig. Nehmen Sie eine Sekretärin, die 10, 15 Jahre raus ist aus dem Beruf, die wird eben in dem Beruf nicht mehr unterkommen und nur noch eine ganz untergeordnete Arbeit leisten können, und schließlich sieht der Entwurf vor, eine zeitliche und höhenmäßige Begrenzungsmöglichkeit für alle Unterhaltsansprüche, und das ist natürlich für denjenigen Menschen, der auf diesen Unterhalt existentiell angewiesen ist, eine ganz große Unsicherheit.

    Meurer: Sie finden das aber, kurz gesagt, gut, dass Frauen in Zukunft mehr berufstätig sein sollen?

    Peschel-Gutzeit: Das ist doch nicht eine Frage, ob ich es gut oder schlecht finde. Ich finde, junge Frauen können sich und müssen sich künftig darauf einstellen, dass eine Ehe kein Versorgungsinstitut ist. Meine Sorge gilt den älteren Frauen, die sich darauf nicht einstellen konnten.

    Meurer: Vielen Dank für das Gespräch.