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Ein mit Kopfschütteln vorgetragener Bericht

Als Seev Eisikovic verstand, was in Auschwitz geschah, schloss er sich dem jüdischen Widerstand an. Er fälschte Papiere und rettete damit vielen das Leben. Nach dem Krieg ging "der ehrbare Fälscher" nach Wien - wo er vor zwei Jahren starb.

Von Jochanan Shelliem |
    Nicht dass er ein erfolgreicher Unternehmer gewesen ist, ein Selfmademan wie der Zentralratsvorsitzende Ignatz Bubis, ein Händler, der noch in der Zeit des Kalten Krieges den Eisernen Vorhang ignorierte, ist das Besondere an diesem Schtetljuden aus der Karpato-Ukraine – die Autobiografie von Seev Eisikovich schildert erstmals, wie aus Untertanen des Habsburger Reiches jene Gründerväter wurden, die den Staat Israel geschaffen haben. Menschen, die während des Zweiten Weltkrieges hinter den Linien gegen die Faschisten kämpften, in Palästina dann im Untergrund gegen die anderen Feinde des zionistischen Projekts. Eisikovic beschreibt am eigenen Leib, wie aus dem Untertan des Kaiserreiches ein Widerstandskämpfer geworden ist, ein Zionist vielleicht. Eisikovic stellt die Blaupause jenes modernen Bürgers dar, die der junge Judenstaat als Erziehungsziel und als Modell vom neuen Menschen anstreben wird. Begonnen aber hat der Fälscher im ungarischen Untergrund als orthodoxer Jude in einer Welt, die wir nur noch mit dem ostjüdischen Idyll eines Ramon Vishniac und deportierten Opferzügen in die Vernichtungslager verbinden.

    Das Haus meiner Kindheit lag an der Hauptstraße des Ortes Bockow, in einer Landschaft, die man Sawoy nannte, was auf Ruthenisch Überschwemmungsgebiet heißt.

    Es ist eine Welt, in der die Bauernschläue überlebenswichtig ist, Recht und Gesetz, wie Überschwemmungszyklen und die Fabriksirene werden als Ausdruck allmächtiger Gegenüber respektiert. In der Kindheit von Seev Eisikovic sorgt man sich wenig um das Wohl und Wehe einer Moral, mit dem Kampf um das tägliche Überleben hat man genug zu tun.

    Im Winter war die Theiß vollkommen zugefroren, und so bildeten sich nach der Schneeschmelze im Frühjahr riesige Eisblöcke von sicher einem halben Meter Dicke, die sich, von den Brückenpfeilern gestoppt, dort übereinanderstapelten. Um diese Staus aufzulösen und Überschwemmungen zu vermeiden, wurde Sprengstoff eingesetzt. Dabei gingen manchmal auch Brücken in die Luft. Wir waren immer gespannt, welche Brücke es wohl wieder erwischt hatte.

    Diese lakonisch geschilderte jüdische Leben am Rande von Europa gerät mit dem Ausgang des Ersten Weltkrieges in den Sog der Auflösung des Habsburger Kaiserreiches, sodass der junge Eisikovic, ohne die Schule zu wechseln auf tschechisch, ungarisch und ruthenisch, einem Dialekt des Ukrainischen, unterrichtet wird. Es ist keine Idylle, aber Eisikovic beschreibt, was sonst oft verschwiegen wird.

    Diese Region hat nie einen Pogrom gekannt, im Gegensatz etwa zu Galizien in Polen oder anderen Regionen weiter im Osten. Man achtete sich gegenseitig, wenngleich man sich nicht unbedingt besuchte. Für einen orthodoxen Juden war es nicht ohne Weiteres möglich, in christliche Häuser zu gehen und sich dort bewirten zu lassen. Man war als Jude orthodox, ob man wollte oder nicht. Den störenden Faktor, der eine intensive Pflege nachbarschaftlicher Kontakte verhinderte, bildeten ausschließlich die religiösen Bräuche. So gab es auch kaum Mischehen zwischen Ruthenen und Juden. Freundschaften und Liebesabenteuer hingegen schon.

    Es ist nicht nur die vernichtete Schtetlwelt, die hier aufhorchen lässt, es ist das Wie der Sprache. Unprätentiös, stoisch, fast lapidar wird ein Leben erzählt, in dem Geburt und Tod stets sichtbare Begleiter sind, ob eine Kuh auf einer Eisscholle die Theiß herunter treibt oder ein Kälbchen auf dem Markt geboren wird. Lakonisch erzählt Eisikovic vom Einbruch der Gewalten in sein kleines Leben: Am Anfang ist es die Natur, die den Rhythmus vorgibt, dann Krieg, deutsche Besatzung und da sich die Ruthenen, wie allem anderen den neuen Machthabern anpassen, nutzen auch die Juden von Sawoy ihre erworbenen Fähigkeiten, um diese Welle zu überstehen. Und dabei entsteht ein Lebenslauf, den Seev Eisikovic in altem, klarem Deutsch erzählt. Ironisch blitzen traurige Vignetten auf, wenn er über einen Bruder schreibt:

    Chaim heißt auf Hebräisch "Leben". Chaim wurde 1944, er war noch Schüler, gemeinsam mit meiner Mutter nach Auschwitz deportiert.
    Dies wird – wie vieles – nicht weiter kommentiert. Auch nicht, was auf der Fahrt nach Auschwitz geschieht, einem Ort, der 1941 an der Theiß noch völlig unbekannt ist. Singend steigen arme Juden in den Zug, freuen sich auf das Land, das ihnen versprochen worden ist, und fahren über die polnische Grenze, wo sie aussteigen müssen.

    Die Ruthenen, so erzählte ein Cousin von Jaffa, hätten die Juden, kaum dass sie aus dem Zug gestiegen waren, mit Werkzeugen, Ketten, was auch immer sie gerade zur Hand hatte, erschlagen und ihrer Bündel beraubt. Aus reiner Mordlust, nicht aus ideologischen Gründen. Die Deutschen waren daran nicht beteiligt. Für die Bevölkerung jenseits der Grenze von Galizien waren die Juden Freiwild.
    Darwinismus in Zeiten der Deportation – zuweilen erscheint Eisikovic, wie ein Reisender durch Dantes Hölle. Eisikovic ist nicht per se politisch, er nimmt die Bedingungen der Großstadt und die Zerrüttung der Moral wie Naturkatastrophen wahr. In Budapest schließt er sich Zionisten an, dem Kern des Widerstands, lernt Taufscheine und Arbeitsausweise zu fälschen, Heiratsurkunden und Nachweise über einen kriegswichtigen Arbeitsplatz.

    Statt wie in seiner Jugend Eier und Schnaps über die Theiss zu schmuggeln, hilft er nun Verfolgten aus dem Land. Eisikovic ist ein Sohn von Schwejk, ein Schtetljude, der durch seine Schläue und viele Wunder überlebt und das Inferno von Eigennutz und Grausamkeit verwundert zur Kenntnis nimmt.

    Anfang 1944 sagte ein Freund, ebenfalls Lehrling, zu mir, er kenne eine Gruppe junger Leute, die am Wochenende regelmäßig im Budapester Gebirge zusammenträfen. Das sei immer sehr nett und es gäbe eine Menge fescher Mädel dort. Das ist kein Witz.
    Beklemmend wirkt die wie nebenbei notierte Chronologie der Ausgrenzung von Juden, die zeigt, wie kurz vor Kriegsende die Mordmaschinerie der faschistischen Kollaborateure auf Touren kommt und Millionen Menschen tötet. Im Untergrund begegnet Seev Eisikovic Zvi Goldfarb, dem Leiter des zionistischen Untergrunds, in Budapest rettet er sich in ein Schutzhaus des Schweizer Diplomaten Carl Lutz, der heute fast vergessen ist. Eisikovic beschreibt die Wirren der Befreiung. Er findet seine Jugendliebe, geht ins Gelobte Land und wandert wieder aus. Dieser ruthenische Jude ist letztlich doch kein Zionist. Er ist ein Überlebender, der es im noch im Kalten Krieg zu Wohlstand bringt und ungeachtet aller Grenzen bis nach Moskau seinen Geschäften nachgeht.

    Alles in allem ist es ein mit Kopfschütteln vorgetragener, eindringlicher Bericht, der beschreibt, wie aus braven Landjuden von der Peripherie des Habsburger Reiches Kämpfer im Untergrund einer einstürzenden Welt geworden sind.


    Seev Eisikovic: "Erinnerungen eines ehrbaren Fälschers". Picus Verlag, 200 Seiten, Euro 21,90
    ISBN: 978-3854526612