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Ein moderner Hiob

Als schräge Geschichtenerzähler abseits des Hollywood-Mainstreams werden die Coen-Brüder bezeichnet. Ihr neuer Film heißt "A Serious Man", und darin verweisen sie auf die Wurzeln ihres filmischen Werks - den jüdischen Witz.

Von Josef Schnelle |
    Larry Gopnick sucht Rat und bekommt stattdessen eine kleines philosophisches Apercu über die Leere des Parkplatzes und dessen tiefere Bedeutung. Der Mann, der so daherredet, ist zweiter Hilfsrabbi und so klingen auch seine Ratschläge an den verzweifelten Mathematikprofessor, dem 1967 in einer Suburbia-Kleinstadt im mittleren Westen der USA alle Gewissheiten zu entgleiten scheinen.

    Larry Gopnick ist wirklich in Schwierigkeiten. Seine Frau will ihn gerade verlassen für den angeblich besten Freund Gopnicks, der bald vorbei kommt, um ihn mit der unbeschwerten Heiterkeit eines Krokodils über den erlittenen Verlust hinweg zu trösten. Der halbwüchsige Sohn Danny sorgt sich gerade mehr um die Zufuhr von Marihuana und deren Bezahlung, als um die Vorbereitung seines Bar Mitzwa, seine Einführung in die jüdische Gemeinde, die ansteht.

    An der Uni, wo er verbeamtet werden soll, machen Larry böse anonyme Beschuldigungen zu schaffen, die Noten in seinem Unterricht stünden frei zum Bestechungsverkauf. Die wichtigsten Fernsehprogramme bekommt er auch nicht mehr rein und muss sein Leben riskieren, um die Antenne zu richten. Und dann muss er sich auch noch um seinen labilen Bruder kümmern, der auf der Wohnzimmercouch schläft, wenn er nicht gerade von der Polizei heimgebracht wird, weil er sich in halbkriminellen Milieus herumgetrieben hat.

    Larry ist eigentlich kein Versager: Er kann seinen Studenten mit großer Begeisterung die Heisenbergsche Unschärferelation erklären. Und resigniert auch nicht angesichts deren Desinteresse. Larry platzt auch nicht der Kragen, als er merkt, dass sein stiernackiger Nachbar ihm mit jeder Rasenmäherrunde ein kleines Stück des Grundstücks klaut. Er hat den bösen Kräften der Eigensucht nur einfach als guter Mensch mit guten Manieren nichts entgegenzusetzen. Das Gespräch mit dem nächsthöheren praktisch amtierenden Rabbi gestaltet sich deshalb schon wesentlich grundsätzlicher, wenn auch wieder einmal ohne rechtes Ergebnis.

    "Hashem" bedeutet im Hebräischen "Der Name" und ist eine der Bezeichnungen für Gott. Mit "A serious Man" enthüllen Joel und Ethan Coen auf sehr kurzweilige Weise die Wurzeln ihres filmischen Werks im jüdischen Witz, weswegen der Film manchmal wie ein früher Woody-Allen-Film wirkt, dann wieder wie ein bizarres Proseminar kurioser Einfälle. Larrys Unglück ist ja eine schwere Prüfung, wie die des biblischen Schmerzensmanns Hiob. Aber es gibt keine tiefere Bedeutung und vor allem keine Belohnung für erlittenes Unrecht. Jüdischer Witz sei, das hat Carlo Schmid einmal gesagt, heiter hingenommene Trauer über die Gegensätze und Ungereimtheiten dieser Welt.

    Die vielgelobte Lakonie der Coenfilme, in denen die Figuren durch ihre Lebenssituationen gehetzt werden wie bedauernswerte Zauberwesen, die nie verstanden haben, was eigentlich um sie herum geschieht, entpuppt sich als ein Rekonstruktionsversuch Äsopscher Fabeln, denen perfider weise nur jegliche Moral fehlt. Das war schon in "Barton Fink" - dem frühen Meisterwerk der Coens so, das 1991 eine goldene Palme in Cannes gewann - alle dezidierten Sinnsucher werden bitter bestraft in dieser unserer Welt, in der die Uneigentlichkeit die Herrschaft übernommen hat. Joel und Ethan Coen sind jedenfalls die praktischen Philosophen eines Kinos, das diesen Zeitgeist – übrigens mit großartigen Bildern und grandios geführten Schauspielern – immer wieder neue Akzente abtrotzt. Zum dritten und wichtigsten Rabbi wird Larry lange nicht vorgelassen. Er muss erst dessen mürrische Sekretärin von der Wichtigkeit seines Anliegens überzeugen.