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Ein Modernitätsflüchtling

Ernst von Dohnanyi, der Großvater des langjährigen Bürgermeisters von Hamburg, Klaus von Dohnanyi, war selber Pianist und Komponist. Drei Solokonzerte aus seiner Feder sind jetzt interpretiert vom Philharmonieorchester der BBC auf CD veröffentlicht worden. Sie zeigen einen Komponisten ganz in der klassisch-romantischen Tradition. Das künstlerische Handwerk, wie es Wagner, Bruckner oder Brahms beherrschten, die Musiksprache der Spätromantik - das wurde und blieb die Welt von Dohnanyis.

Von Ludwig Rink | 01.01.2006
    Mit dem Namen "von Dohnányi" verbindet der politisch Interessierte den 1928 geborenen sozialdemokratischen Politiker Klaus von Dohnanyi, der lange Jahre Erster Bürgermeister der Hansestadt Hamburg war. Sein Bruder Christoph ist ein gutes Jahr jünger und wurde Dirigent; lange war er beim Cleveland Orchestra in Amerika, seit der Saison 2004/2005 ist er Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters des Norddeutschen Rundfunks. Er betont seinen Nachnamen übrigens anders, nämlich "von Dochnahni". Der Vater der beiden Brüder hieß Hans und war Jurist; er wurde gegen Ende des 2. Weltkriegs als Verschwörer gegen Hitler hingerichtet. Und dessen Vater wiederum hieß Ernst von Dohnanyi, er lebte von 1877 bis 1960, war Pianist und Komponist, und von ihm soll heute morgen die Rede sein, denn bei der englischen Firma Chandos ist vor einiger Zeit eine CD mit drei Solokonzerten aus der Feder Ernst von Dohnanyis erschienen. Daraus hier zunächst das Intermezzo, der 2. Satz des Violinkonzerts Nr. 2, op. 43.

    " Musikbeispiel: Ernst von Dohnányi - 2. Satz "Intermezzo" aus: Violinkonzert Nr. 2, op. 43"

    Soweit das Intermezzo aus dem 2. Violinkonzert von Ernst von Dohnányi, gespielt von James Ehnes und dem BBC Philharmonic unter Leitung von Matthias Bamert. Es war seine Liebe zu einer ganz bestimmten Art von Musik, die Ernst von Dohnanyi zu einem Unzeitgemäßen werden ließ. Er stand ganz in der klassisch-romantischen Tradition mit ihrem großen Orchester, mit den virtuosen Solokonzerten und Sinfonien. Das künstlerische Handwerk, wie es Wagner, Bruckner oder Brahms beherrschten, die Musiksprache der Spätromantik - das wurde und blieb seine Welt. Die radikalen Neuerungen eines Schönberg, Berg oder Webern wollte er nicht mitmachen, auch zu einer gemäßigteren Moderne, wie sie Strawinsky oder Bartok teilweise mit Rückbesinnung auf Volksmusik oder frühere Epochen pflegten, konnte er sich nicht entschließen. So haftete ihm stärker noch als Richard Strauss, Sergej Rachmaninow, Erich Wolfgang Korngold und anderen "Modernitätsflüchtlingen" der Ruf des Epigonalen an. Und die Tatsache, dass diese spätromantische Tradition in starkem Maße von Musikern aus Österreich und Deutschland bestimmt war, führte später auch zu politischen Vorwürfen. Jahrelang wurde Ernst von Dohnányi in seinem Heimatland Ungarn als einer der ganz Großen verehrt, stand neben Kodály und Bartok ganz oben auf dem Treppchen, hatte die Budapester Musikakademie, die Budapester Philharmonie und die Musikabteilung des Ungarischen Rundfunks geleitet. Energisch setzte er sich gegen staatlichen Antisemitismus ein, bis er gezwungen wurde, unter der deutschen Okkupation sein Orchester aufzulösen. 1944 verlor er zwei seiner Söhne, die für ihre Beteiligung an dem misslungenen Attentat auf Hitler hingerichtet wurden. Doch als er daraufhin floh, beschimpfte man ihn plötzlich als Verräter an der ungarischen Nation, und auch das neue kommunistische Regime setzte die Angriffe fort: Er pflege einen germanischen Musikstil, anstatt zur Bildung einer ungarischen Tradition beizutragen. Diesen Diskussionen der Nachkriegszeit entzog er sich, ging mit seiner Familie nach Argentinien, dann in die USA, wo er 1949 in Florida eine Universitätsstelle erhielt, die ihm als Komponist, Klaviervirtuose und Pädagoge neue Energie und Anerkennung verschaffte. Aus diesen Nachkriegsjahren stammen alle drei auf der vorliegenden CD versammelten Solokonzerte: das 2. Klavierkonzert, das 2. Violinkonzert und schließlich das Concertino für Harfe und Kammerorchester.

    " Musikbeispiel: Ernst von Dohnányi - 2. Satz: Allegretto vivace aus: Concertino für Harfe und Kammerorchester"

    Soweit Clifford Lantaff und das BBC Philharmonic mit dem Allegretto, dem 2. Satz aus dem Concertino für Harfe und Kammerorchester von Ernst von Dohnányi. Schon diese beiden gehörten Ausschnitte verdeutlichen, mit welcher Intensität, Sorgfalt und Musikalität sich die Solisten und das englische Orchester der Musik von Dohnányis annehmen. Erneut unterstreicht das BBC Philharmonic seinen Ruf als eines der besten Orchester Großbritanniens, auch wenn es nicht in London, sondern in Manchester zuhause ist. Elf Jahre lang war Yan Pascal Tortelier Chefdirigent, seit 2002 bekleidet nun Gianandrea Noseda diese Position. Bei der vorliegenden Aufnahme stand der aus der Schweiz stammende, heute 63-jährige Matthias Bamert am Dirigentenpult. Bamert ist Chefdirigent des Australian Symphony Orchestra, hat mit vielen Orchestern, vor allem auch in Großbritannien, zusammengearbeitet, war fünf Jahre lang Leiter des Glasgower Festivals für Neue Musik und sechs Jahre Leiter des Luzerner Festivals. In seiner siebenjährigen Amtszeit als Leiter der London Mozart Players entstand die CD-Reihe "Mozarts Zeitgenossen"; außerdem hat er für Chandos neben dieser Dohnányi-CD Werke von Parry, Frank Martin, Korngold und Bearbeitungen von Leopold Stokowski eingespielt. Wir blenden uns jetzt ein in das Geschehen des 3. Satzes von Dohnányis 2. Klavierkonzert.

    " Musikbeispiel: Ernst von Dohnányi - 3. Satz: Allegro vivace (Ausschnitt) aus: Klavierkonzert Nr. 2, op. 42"

    Die Neue Platte - heute mit einer Neuaufnahme von drei Solokonzerten von Ernst von Dohnányi. Zuletzt hörten sie den dritten Satz aus dem 2. Klavierkonzert mit Howard Shelley, Klavier und dem BBC Philharmonic unter Leitung von Matthias Bamert. Im Studio verabschiedet sich Ludwig Rink.

    Diskographie

    Titel: "dohnányi"
    Orchester: BBC Philharmonic
    Leitung: Matthias Bamert
    Label: Chandos
    Labelcode: LC 7038
    Bestellnr.: CHAN 10245