Samstag, 11. Mai 2024

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Ein musikalischer Abend im Hotel

Der vielseitige Komponist und Regisseur Franz Wittenbrink hat in Dresden "Die Lobbyisten" inszeniert. Dabei es geht nicht um die Interessenvertreter großer Wirtschaftsunternehmer, sondern um das bunte Völkchen in einem Hotel.

Von Hartmut Krug | 01.01.2010
    Mit einem neu betexteten Titel der Eagles beginnt am Staatsschauspiel Dresden Franz Wittenbrinks "musikalischer Abend im Hotel", in dem von wechselnden Ideologien und sich wandelnden Gefühlen, von Hoffnungen und Enttäuschungen gesungen wird. Der Wartesaal der Sehnsüchte ist diesmal die Lobby eines heruntergekommenen Hotels in Kötzschenbroda bei Dresden: Die Rezeption ist zugleich Bar, der Fahrstuhl ist kaputt, und wenn mal wieder vom slapstickartistisch ungeschickten Hotelpagen ein Brett fest gehämmert werden muss, dann löst das eine Kettenreaktion aus: Angela Merkels Busenbild fällt von der Wand und enthüllt nacheinander die von ihr verdeckten Bilder von Honecker, Stalin, Hitler und August dem Starken.

    So wie Franz Wittenbrink nun Opernarien und Politsongs, Volkslieder und Schlager, Rock und Pop mit neuen Texten und durch musikalische Konfrontationen bis auf ihren Kitschkern entblößt oder ihnen neuen Sinn zuweist, genau so direkt und kabarettistisch sind seine Figurenzeichnungen und seine Dramaturgie um das liebes- oder lebenskranke Strandgut in dieser Hotellobby: Ein Handelsreisender trauert seiner hier einst gefundenen Liebe nach und einem Schwermütigen missglücken alle Selbstmordversuche, während ein "Bisnissman" mit seiner neureichen russischen Gattin streitet und gemeinsam mit seinem ostdeutschen Mitarbeiter, der zu DDR-Zeiten Leiter der Lebensmittelkoordination war und jetzt beim Bauamt tätig ist, die Hotelbesitzerin zu einer Unterschrift für den Umbau des Hotels zu bewegen sucht. Doch diese wird mehr umgetrieben von den Problemen mit ihrer Tochter, und wenn sich die Tochter mal wieder in sexuelle Sehnsüchte flüchtet, reagiert sie gegen deren Lied von "Soko" mit einem von "Die Ärzte".

    Der Oma, die mit der Klorolle in der Hand durch den Raum irrlichtert, verwirren sich Lieder und Texte, sodass hinterm kommunistischen "Lied vom kleinen Trompeter" das nationalsozialistische "Horst-Wessel-Lied" hervor klingt, und bei einem Lied von France Galle geraten Sex und Politik durcheinander.

    Insgesamt liebt Wittekind bei seinen "Lobbyisten" nur zart ironisierte, besinnliche Lebenserklär-Texte á la "Hier sitze ich und bin melancholisch", andererseits setzt er auch scharfe Kontraste: da wird Beethovens "Ich liebe dich" mit pornografischem Text aufgeladen, ein Bär tapst vorbei, um kurz "Sex im Hotel" von "Rosenstolz" zu brummen, und gegen ein optimistisches Pionierlied wird die Trauer von Schuberts "Die Winterreise" gesungen.

    Der Abend, der bei kaum zwei Stunden Dauer manche Spannungslöcher zeigt und nicht zu Wittenbrinks stärksten gehört, bedient sich für seine rund 50 musikalisch-kabarettistischen Nummern unter anderem bei Frank Schöbel und Frank Sinatra, bei Xavier Naidoo und Prince, bei Mozart und Astor Piazolla, bei Heinz Erhard und Hans Eisler.

    Gespielt und gesungen wird mehrheitlich wunderbar, vor allem von Mila Dargies und den anderen Damen des Ensembles, und wenn nach vielerlei Anspielungen auf Wendeverlierer und Wendegewinner eine Abrissbirne in die Hotelwand kracht, stoßen in "Winners", dem Schlussmedley dieses musikalisch-kabarettistischen Unterhaltungsabends, noch einmal vielerlei Musiken und Haltungen aufeinander.

    Infos:
    Staatsschauspiel Dresden