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Ein Musikinstrument für jeden Schüler

Die Astrid-Lindgren-Schule in Gelsenkirchen gehört zu den ersten Grundschulen, die das Projekt "Jedem Kind ein Instrument" (JeKI) gestartet haben. Seit drei Jahren unterrichten hier Lehrer der städtischen Musikschule die Kinder in unterschiedlichen Instrumenten.

Von Solveig Bader |
    "Jetzt ist aber Ruhe, weil wir stimmen müssen. Chantal, dein Cello brauche ich zum Stimmen, du hast es leider vergessen."

    Musiklehrer Rüdiger Hoffmann braucht eine Weile, bis die Mädchen ihm zuhören. Die Drittklässlerinnen haben schon vier Unterrichtsstunden hinter sich: Mathe, Deutsch, Englisch. Mit der Konzentration geht es so langsam bergab. Rüdiger Hoffmann schlägt das Lieblingslied der Kinder vor - das steigert die Motivation auf Anhieb.

    "Okay, alle Augen bei mir. Eins, zwei, drei, vier: Bruder Jakob, schläfst du noch."

    Nur vier Mädchen spielen in der Cello-Gruppe. Das liegt wohl am Instrument. Die Durchschnittsgröße der JeKI-Gruppen liegt sonst bei fünf bis acht Kindern.

    "Der absolute Spitzenreiter bei JeKI ist ja Gitarre und Geige. Viele der Kinder haben ja Gitarre gewählt und haben dann trotzdem das Cello bekommen. Wir versuchen das von der Musikschule, das möglichst gerecht beziehungsweise breit gefächert zu verteilen, dass nicht nur Gitarre und Geige als Gruppen bestehen."

    Im ersten Schuljahr haben die Kinder vierzehn Instrumente kennengelernt, im zweiten Jahr konnten sie sich dann für eins entscheiden. Sidney hatte sich auch erst für die Gitarre interessiert, doch Rüdiger Hoffmann konnte sie dann doch für das Cello begeistern und jetzt - nach einem Jahr - kennt sie das Instrument schon ziemlich gut.

    "Der Bogen ist hauptsächlich aus Holz und ein bisschen aus Metall und diese Haare, die hier sind, das sind Pferdehaare. Und dann muss man die immer spannen, zum Beispiel wenn man nicht mehr spielt, muss man die entspannen. Und wenn man spielen will, muss man die spannen."

    Die Theorie beherrschen die Mädchen ganz gut, nur mit der Spielpraxis ist das so eine Sache. Eine Unterrichtsstunde in der Woche bei Rüdiger Hoffmann und eine weitere im Schulorchester - das Gelernte müsste zu Hause noch vertieft werden. Hausaufgaben gehören zum JeKI-Unterricht nämlich dazu. Doch die vier Mädchen sehen das nicht so eng.

    Christiane: "Wir sollten die Buchstaben hinschreiben mit den Fingern, wie die Tonnamen heißen."

    Chantal: " Wie ist es mit dir? Du hast die Mappe nicht dabei und Christiane, hast du es gemacht? Lass mal sehen, nein, hast du auch nicht gemacht. Kinder, das sieht irgendwie gar nicht gut aus mit Hausaufgaben."

    "Ich spiel Cello, Klavier und Geige. Ich geh noch schwimmen: fünfmal die Woche."

    Musiklehrer Rüdiger Hoffmann muss Abstriche machen. Viele Kinder sind außerdem im Offenen Ganztag und überfordert, sich anschließend noch ihrem Instrument zu widmen. In der Regel nimmt das Interesse an JeKI im Laufe der Schuljahre ab. 90 Prozent der Kinder fangen mit einem Instrument an, dann werden es immer weniger.

    "Das liegt daran, dass nach dem ersten Instrumentaljahr die Kinder oder Eltern merken, das ist doch nicht das richtige Instrument, dass es - vielleicht wie die Sidney - so viele Sachen haben, dass vielleicht der JeKI-Unterricht zu viel ist, da gibt es viele Gründe. Oft sind es leider auch finanzielle Gründe."

    Auch wenn die Instrumente kostenlose Leihgaben der Musikschule sind, Kursgebühren werden trotzdem fällig. Im zweiten Schuljahr sind es 20 Euro, in der dritten Klasse 35 Euro. Wer sich das nicht leisten kann, bekommt einen Zuschuss. Die Stiftung "Jedem Kind ein Instrument" vergibt außerdem Stipendien. Damit soll auch wirklich jedes Kind die Chance bekommen, ein Instrument zu erlernen. Trotzdem werden nicht alle Kinder erreicht. Rüdiger Hoffmann hält das Projekt JeKI nach drei Jahren Erfahrung mit seinen Klassen für sehr sinnvoll.

    "Die Beschäftigung und die Begegnung mit dem Instrument ist sehr, sehr wichtig, selbst wenn ein Kind nur dieses eine Jahr mitmacht, hat es schon sehr, sehr viel gewonnen und erlebt, wie es ist, in der Gruppe zu musizieren, zusammen anzufangen, aufzuhören. Wir haben auch Spaß miteinander."

    "Wir spielen jetzt die Quatschstrophe von Bruder Jakob, okay? Frère Jaque, alte Jacke …"

    Die vier Cellistinnen jedenfalls wollen auch nach der Grundschule noch weiter spielen. Schließlich haben sie ihren Instrumenten schon Namen gegeben.

    "Erst hab ich mein Instrument Victoria genannt, aber dann fand ich Marie schöner."

    "Von mir das Instrument das heißt Lilli."

    "Mein Instrument heißt Sarah-Marie."

    Christiane hat sogar ganz große Zukunftspläne.

    "Wenn ich groß bin, dann möchte ich auch Cello-Lehrerin werden."