Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Ein mutiges Mädchen und ein Zorgel

Der Versroman "Zorgamazoo" von Robert Paul Weston ist ein fantastisches Langgedicht über gut 30.000 Worte. Die Geschichte handelt von einer ungewöhnlichen Freundschaft zwischen einem Zorgel - einem bärenähnlichen, friedfertigen Wesen mit Hörnern und Krallen - und einem mutigen Mädchen, das nie aufgibt.

Von Karin Hahn | 17.11.2012
    Hier ist eine Geschichte,
    ein unglaubliches Stück
    Bevor es losgeht, lehn dich zurück.
    Hol dir 'ne Decke,
    ein kuschliges Kissen.
    Mach‘s dir bequem.
    Den Kakao nicht vergessen?

    Ich warn dich natürlich, bevor wir beginnen:
    Grusel und Spannung werden hier walten,
    Gefahr und Schrecken und knappes Entrinnen,
    böse Geschöpfe, Horrorgestalten.


    Wie ein Sog ziehen die schwungvollen Verse den Leser in diese atemberaubende Abenteuergeschichte über einen intergalaktischen Überfall hinein. Ursprünglich als längeres Gedicht für ein Bilderbuch geplant, wuchs die Handlung unbeabsichtigt auf gut 30.000 Worte. Mit seinem lässigen, direkten, balladesken Ton führt Robert Paul Weston ohne lange Beschreibungen seine Hauptfigur ein. Sie heißt Katrina Katrell. Zu Beginn denkt man noch, in guter englischer Kinderliteratur-Tradition, sie sei Waise, aber schnell stellt sich heraus, dass Katrinas Eltern nicht das geringste Interesse an ihrem aufgeweckten Kind haben und lieber dem schnöden Mammon hinterherjagen. Die griesgrämige Mrs. Krabone herrscht über das Wohl des neugierigen Mädchens. Katrina entdeckt im Tunnel der U-Bahn eine seltsame Gestalt: einen Zorgel, wie bald zu erfahren ist. Die reale Welt wird plötzlich mit einer fremden Erscheinung konfrontiert, ein Thema, das Robert Paul Weston schon immer fasziniert hat:

    "Als ich Kind war konnte ich, wenn ich eine Tageszeitung aufgeschlagen habe, immer wieder etwas über seltsame Wesen lesen, wie das Monster von Loch Ness, den Yeti oder Ufos. Und ich habe den Eindruck, je älter ich werde, dass diese Geschichten nach und nach in Vergessenheit geraten sind. Es kann sein, ich war als Kind an diesen Geschichten interessiert und nur ich habe sie bemerkt. Aber ich habe heute den Eindruck, die Nachrichten sind ernster geworden, so wie auch die Welt seriöser erscheint und da ist kein Platz mehr für Fantasiewesen. Und ich habe nach einer Erklärung gesucht. Vielleicht sind die seltsamen Wesen verschwunden, vielleicht ist etwas passiert? Vielleicht hat sie jemand entführt? Und wer würde das tun? 'Zorgamazoo' ist meine mögliche Antwort auf diese Frage."

    Niemals hätte Robert Paul Weston diese Geschichte mit ihren grotesken, wie witzigen Szenen in simpler Prosa erzählen können. Die gebundene Rede zwingt ihn einerseits zu sprachlicher Verknappung, andererseits eröffnet sie durch die verschiedenen Sprachebenen, mal Hochsprache, dann wieder lockerleichte bis derbe Umgangssprache, einen größeren melodischen Reichtum. Robert Paul Weston spricht seinen Leser immer direkt an und zieht ihn so mitten hinein ins Geschehen.

    Katrina war natürlich ganz richtig im Kopf
    ( die Meise hatt‘ Mrs. Krabone unterm Schopf ).
    Das weiß ich so gut, weil ich aufklären muss:
    Das Wesen war echt, nicht irgendein Stuss.

    Wenn du ihn sähest, den schaurigen Geist,
    "He, Freund", würd‘st du sagen, "erzähl, wie du heißt."
    Weshalb ich das glaube mit solchem Schwunge?
    Morty, der Zorgel, war 'n sympathischer Junge.


    Katrina Katrell, das Menschenkind, und Morty, der Zorgel, ein bärenähnliches, friedfertiges Wesen mit Hörnern und Krallen, treffen nun als ungleiches Paar aufeinander. Morty, der Sportreporter, der weder Herausforderungen mag, noch mutig ist, wurde auserwählt die Zorgel, die aus der Unterwelt von Zorgamazoo verschwunden sind, zu suchen. Bevor die Reise die beiden unfreiwillligen Gefährten zu einem grauen, müden Alien auf den Mond führt, muss Katrina erstmal fluchtartig ihr Haus verlassen, denn ihr Vormund hat einen fiesen "Schädelchirurgen" beauftragt, dem Kind ein Stück seines Gehirns herauszuoperieren.

    Liebkosend strich er über den Stahl.
    "Ich verehre das Teil! Es ist phänomenal!
    Es gibt nichts Bessres für den Zweck
    als das Schädel punktierende Hackwolf-Besteck!
    Und wenn sie erlauben, demonstriere ich gern,
    wie der Hackwolf vordringt zum innersten Kern!"


    Die etwas bizarren Gruselszenen, in denen überspitzt die Erwachsenen einen Angriff auf die lebendige Fantasiefähigkeit des Kindes allgemein starten, kommentiert Robert Paul Weston mit einem Augenzwinkern. Er mag gar keinen Horror, ihm gefällt eher der skurrile Humor von Monty Python.

    "Kinder, wenn sie es lesen, die meisten Kinder sagen, wow, das war aufregend. Sie konnte ihm entkommen, das war aufregend. Die Erwachsenen sagen, solche Szenen machen sie unruhig. Ich glaube, der Unterschied ist, die meisten Kinder mögen diese Aufregung."

    Immer wieder hat Robert Paul Weston während des Schreibprozesses die verschiedensten Wortkombinationen ausprobiert und so mehrere Fassungen gedichtet.

    "Diese Versform heißt anapästischer Tetrameter, das bedeutet, es ist ein aus vier Doppelfüßen bestehendes Versmaß.
    Es hat also einen regelmäßigen Vierertakt in jeder Zeile. Ich habe das nicht bewusst gewählt, ich habe diese Form - anapästischer Tetrameter - erst kennengelernt als ich geschrieben habe und ich musste dann erstmal Nachforschungen über Gedichtformen anstellen. Am Anfang habe ich auch nicht gedacht, dass ich ein Lyriker bin. Ich dachte, ich wähle eine Form, die natürlich klingt. Natürlicher als Jamben. Dadadamdadadamdadadam – das klingt für mich natürlich."

    Der Versroman "Zorgamazoo" erschien erstmalig im Jahr 2008. Mit Preisen überhäuft hat sich jedoch nur ein Übersetzer an dieses Kinderbuch gewagt: Uwe-Michael Gutzschhahn. Er ist sehr nah am Original geblieben, trotz der vielen einsilbigen Wörter im Englischen. Während der Suche nach den passenden Reimen wurde für ihn immer deutlicher, erst mit den vier Hebungen und Senkungen stellt sich das Tempo und der Schwung ein. In Zorgamazoo endlich angelangt, treffen Morty und Katrina auf die heulende Menschenfresserin Winnie, die ihnen zum Glück nur die halbe tragische Wahrheit berichtet.

    "Sie fraßen die Zorgel von Zorgamazoo!
    Auch meine Familie – einfach nur so!
    Sie hatten Tentakel! Flügel und Krallen!
    Sie ließen nichts übrig mehr von uns allen!"


    Robert Paul Weston erzählt in seinem fantastischen Langgedicht von einer ungewöhnlichen Freundschaft zwischen einem Zorgel, der über sich hinauswächst und einem mutigen Mädchen, das nie aufgibt. Ganz nebenbei und subtil warnt er zwischen den Verszeilen vor grauer Eintönigkeit und dem langsamen Entschwinden unserer Vorstellungskraft. Denn was wäre die Welt ohne Meerjungfrauen, Drachen, Menschenfressern, Trollen, Riesen, Kobolden und neuerdings Zorgel?


    Robert Paul Weston, Víctor Rivas ( Ill.): Zorgamazoo, Nach dem Englischen gereimt von Uwe-Michael Gutzschhahn, Verlagshaus Jacoby & Stuart, 288 Seiten, 16,95 EURo , ISBN 978-3-941087-98-9

    Hörbuch, erschienen bei Silberfisch, Hörbuch Hamburg, 3 CDs, 12,99 EURo, gelesen von Martin Baltscheit