"Die Gründung des Bauhauses hatte sehr viel zu tun mit dem Ersten Weltkrieg, der eine humanitäre Katastrophe ersten Ranges war, und das Bauhaus war ein Versuch, einen Neuanfang zu finden und das Verständnis, dass man so wie dieser Krieg zustande gekommen ist, nicht weitermachen kann."
"Das führte beim Bauhaus dazu, dass man sehr radikal mit den Grundformen, mit den Grundfarben, ganz elementar noch mal von vorne anfangen oder Gropius ging am Anfang weit zurück in die Geschichte, die gotische Bauhütte, versuchte sich neu zu begründen, also eine Art Stunde Null."
"Daraus lässt sich dann die Radikalität des Bauhauses verstehen, dessen Ideen übrigens ursprünglich im Arbeiterrat formuliert worden sind, das hat Gropius von dort aus aufgegriffen. Er ist nicht der einzige geistige Urheber."
"Die ersten Jahre von 1919, der Gründung, bis 25 war das Bauhaus in Weimar, in einer sehr bürgerlich, herzoglich geprägten Stadt, und der Wechsel nach Dessau war auch der Wechsel in ein ganz anderes Milieu, in eine ganz andere Situation. Dessau war eine Industrie- und damit auch Arbeiterstadt, sozialdemokratisch regiert, und der Wunsch der Stadtväter, das Bauhaus nach Dessau zu holen, war nun gerade eine Form einer sozialen Modernisierung für die Stadt auf den Weg zu bringen und das Bauhaus durchaus in die Pflicht zu nehmen, diese Stadt progressiv zu entwickeln."
Prof. Philipp Oswalt, Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau.
Der Großraum Dessau galt damals als die Hightech-Region schlechthin, quasi ein Silicon Valley der 1920er-Jahre. Hier wurden Flugzeuge hergestellt; hier gab es Chemieindustrie und Filmproduktion - kurz: Hier konzentrierte sich Hochtechnologie auf höchstem Weltniveau. Die Weimarer Zeit war eine innovative, sehr offene Zeit. Politik und Wirtschaft förderten Experimente:
"Und in diesen Prozess kam das Bauhaus mit der Verpflichtung, etwas für die Stadt zu tun und dazu gehörte auch ein Wohnungsbauprogramm."
Das nicht viel kosten durfte, denn die wirtschaftlichen Verhältnisse waren schwierig.
"Es gab eine Wohnungsnot, die man in vielen anderen Städten mit neuem Bauen, in Frankfurt, in Berlin, in Wien, auch hier in Magdeburg versuchte, zu adressieren, und es gab die Notwendigkeit, sehr billig zu bauen."
Und auch Menschen mit wenig Geld ein eigenes Haus zu ermöglichen.
"Da gab es unterschiedliche Diskussionen darum, wie das zu erfolgen hat. Gropius schwärmte immer von der Hausbaufabrik, es ging um die Serienfertigung und dadurch das ganze wirtschaftlicher zu machen, indem man das industriell fertigt. Es gab natürlich auch genossenschaftliche Modelle, das zu finanzieren, wie kommt überhaupt das Kapital zustande, mit dem gebaut werden kann? Die Graswurzelvereinigung, die Genossenschaften, die versuchten den Arbeitern das Kapital zu vermitteln, was nötig ist, um einen solchen Hausbau anzugehen."
Nach den Erfahrungen im Ersten Weltkrieg, dachten die Planer auch an die Versorgung der Bewohner der Siedlung.
"Es gab Modelle der Selbstbewirtschaftung, der Subsistenzwirtschaft, also Gärten, die produktiv sein können, die einen Teil der Nahrungsversorgung gewährleisten können. Das war auch Teil der Programmatik. Man muss dazu sehen, die Bauhaussiedlung, also Törten, ist nicht das einzige Wohnungsbauprojekt, insofern war es nur ein Teil einer breiteren Bewegung."
Die Idee des Neuen Bauens setzte sich in der ganzen Republik durch - auch im Ruhrgebiet, das durch die wachsende Industrialisierung immer mehr Wohnraum benötigte.
Zum Beispiel in Duisburg:
"Das ist ein ziegelsichtiger Schornstein auf einem rechteckigen Grundriss, der oben leicht abtreppend ausgebildet ist, letztendlich war der Schornstein ein weithin sichtbares Signal für die Siedlung. Man kann in der Mitte auch noch einen kleinen Metalldorn sehen, an dem war ein Ziffernblatt befestigt."
Der Schornstein gab der Siedlung den Namen, sagt der Architekturhistoriker Dr. Stefan Strauß: Einschornsteinsiedlung. Die Einschornsteinsiedlung heißt Einschornsteinsiedlung, weil es hier nur einen Schornstein gab. 72 Mehrfamilienhäuser mit 360 Wohnungen und 81 Reihenhäuser wurden mit Hilfe einer Zentralheizung geheizt. Das war 1927 ungeheuer fortschrittlich.
""Eine Besonderheit dieser Siedlung ist, dass die Innenhöfe als Gemeinschaftshöfe gestaltet sind. Sie sind auch von einem sehr bekannten Gartenarchitekten der damaligen Zeit, Lebrecht Migge, angelegt worden, der eine durchkomponierte Anlage gerade zwischen den mehrgeschossigen Wohnhäusern entwickelt hat, mit innenliegenden Spielhöfen, mit Rasenflächen, also als Gemeinschaftsgrün, das sich so ein bisschen an die damaligen Reformüberlegungen auch in der Gartenkunst anlehnte, während die Reihenhäuser Gartenparzellen hatten, die allerdings auch nach einem bestimmten Muster vorgegeben wurden, mit einem schmalen Bereich für Ackerbau und Viehzucht und einem breiteren Bereich als Aufenthaltsbereich."
Der Gemeinschaftsgedanke, Hinterhöfe als Gärten anzulegen und allen zugänglich zu machen, um dadurch den Austausch zwischen den Nachbarn zu fördern, war absolut ungewohnt und revolutionär.
"Also ein ganz wesentlicher Unterschied ist eigentlich das Zentralgebäude, das in gewisser Weise auch den Namen gegeben hat, denn es gab hier eine ganz frühe Zentralheizungsanlage. Und in diesem Zentralgebäude sollten zugunsten einer Gemeinschaftsbildung für die gesamte Siedlung auch wichtige Funktionen gebündelt werden. Dort gab es einen Kindergarten. Dort gab es eine gemeinsame Gaststätte mit dem programmatischen Namen "Neuland", auch einen kleinen Hotelkomplex, damit Leute, die hier wohnten und kleine Wohnungen hatten, auch Gäste beherbergen konnten."
Die Modernität der Siedlung unterstrich die integrierte große Gemeinschaftsgarage für PKW, damals eine kolossale Neuerung, denn nur wenige konnten sich die neuen Kraftfahrzeuge leisten.
"Es gab vor allen Dingen einen großen Saal, in dem sich die Siedlergemeinschaft treffen sollte, gemeinsam Theaterstücke aufführen sollte, es war eine kleine Bühne mit einem kleinen Bühnenturm integriert. Es war sogar ein Waschhaus hier vorgesehen, mit dem man auch die Körperpflege zentralisieren wollte. Davon hat man dann aber doch letztendlich abgesehen. Die Wohnungen haben dann doch Bäder bekommen. Aber man sieht schon, der Gemeinschaftsgedanke wurde sehr stark hervorgehoben und durch entsprechende Zentralfunktionen dann in der Mitte der Siedlung gebündelt."
Auch wenn die Siedlung vielleicht ursprünglich als Arbeitersiedlung gedacht war: Das Zentralgebäude mit der integrierten Heizung, die individuellen Bäder in jeder Wohnung und den Häusern, machten das Wohnen hier teuer. Auch die Optik sprach Ende der 1920er-Jahre wohl eher die reformorientierten Bewohner Duisburgs an: Flachdach und farbige Mauern waren ungewöhnlich.
Was haben die Ideen aus den 1920er-Jahren mit dem modernen Bauhaus zu tun?
Die meisten verbinden mit Bauhaus immer noch revolutionäres Design, Kunst, Möbel, vielleicht auch Theater.
"Als erstes verstehe ich das Bauhaus als Programmatik."
... meint dessen neuer Direktor Philipp Oswalt.
" ... als eine gewisse Methodik, und da spielen diese Fragen auf eine Verpflichtung des gesellschaftliches Wohlergehen, die Interdisziplinarität der Arbeitsweise, auch die internationale Offenheit der Arbeitsweise, der Wunsch zu experimentieren, zu neuen Lösungen zu kommen, das ist für mich der Kernbestand und das ist etwas, was ich für heute als genauso relevant ansehe, wie für damals, aber natürlich in einer Situation, die ganz, ganz anders ist und zum Teil genau umgekehrt."
Die Stiftung Bauhaus - so Philipp Oswalt - steht also in der Tradition, wenn auch unter anderem Vorzeichen...
"... das Bauhaus damals, in einer Wachstumsperiode, in einer Periode einer sehr fortschrittlichen Industrialisierung in durchaus wirtschaftlich schwierigen Umständen, heute die Stiftung Bauhaus Dessau, was natürlich nicht mehr das Bauhaus ist, die Situation in einer Region, die stark an Bevölkerung verliert, die stark deindustrialisiert ist, gleichzeitig auch neue Industrien entstehen, das darf man auch nicht vergessen, aber eher einen Prozess des Rückzugs zu organisieren hat, und da wird - die Methodik ist von gleicher Relevanz, aber die Aufgaben sind andere: Wir müssen heute nicht mehr Siedlungshäuser erstellen, wir müssen eher überlegen, wie wir mit bestehenden Siedlungshäusern umgehen, ob wir sie abreißen, ob wir sie umnutzen, ob wir sie verändern. Das sind Fragen, die man aber mit der Programmatik des historischen Bauhauses gut angehen kann."
Philipp Oswalt beschäftigt sich nicht mit dem Design von Kaffeetassen, Lampen oder Sesseln. Er hat gerade ein großes, international angelegtes Projekt abgeschlossen zur Schrumpfung der Städte. Und er bereitet ein großes, neues Projekt vor: Die Internationale Bauausstellung, die 2010 eröffnet wird.
"Die Grundkonzeption der IBA ist, dass jede der 19 Städte ihr eigenes Thema, ihr eigenes Konzept hat. Also es ist genau der Abschied der Vorstellung, dass wir mit einem Rezept diese Fragen beantworten können, sondern dass es auch eine sehr spezifisch lokale Frage ist, welches Potenzial hat der jeweilige Ort, wie kann hier aus dem, was besteht heraus, eine Selbstermächtigung, eine Stärkung des Städtischen erreicht werden."
Zum Beispiel Dessau:
Es regnet an diesem trüben Märztag. In einer alten, großen Halle, eine ehemalige Brauerei aus dem 19. Jahrhundert, stehen Dr. Holger Schmidt von der Werkstatt Stadtumbau Dessau und Heike Brückner, Landschaftsarchitektin an der Stiftung Bauhaus Dessau.
"Die Halle ist noch Teil eines ehemaligen Areals, was im Moment noch stehen geblieben ist, was jetzt einer neuen Nutzung zugeführt werden soll. In unmittelbarer Nachbarschaft befinden sich Flächen, die schon abgerissen worden sind. Hier fährt der Zug der Strecke Dessau - Berlin - Leipzig vorbei. In unmittelbarer Nachbarschaft - es gab hier die Fläche der alten Fleischerei, in unmittelbarer Nachbarschaft gab es einen Kohlehandel. Es gab noch Wohnbebauung, also ganz unterschiedliche Nutzung, die sich am Rande der Stadt entlang der Eisenbahn erstreckt haben."
Und was ist da heute?
"Landschaft. Wir haben im Rahmen des Stadtumbaus Dessau ein Motto: Wir sagen, wo Gebäude zurückgebaut werden, fügen wir Landschaft ein und haben die Vision, dass da in 20 - 30 Jahren ein schöner neuer Landschaftszug durch die Stadt geführt werden kann."
Was da für Landschaft hinkommt, wurde mit den Dessauer Bürgern diskutiert:
"Die Bürger haben uns auf etwas gebracht, was ganz naheliegend ist, nämlich das Motiv des Dessau-Görlitzer Gartenreichs, wie es vor den Toren der Stadt zu finden ist, in die Stadt hineinzuholen."
Das besondere daran: Bürger können für bestimmte Areale Patenschaften übernehmen. Dabei helfen die Planer bei der Begrünung.
Vorschläge haben Bürger auch für die Nutzung der alten Halle gemacht:
"Es gibt im Moment eine Diskussion, ob man es für die Nutzung als Skaterhalle, als Winterquartier nutzen kann."
Das macht Sinn: Durch die Lage etwas außerhalb von Wohnbebauung wären Anwohner von dem Lärm geschützt. Und laut ist es hier sowieso. Andererseits liegt die Halle nah genug am Kern der Stadt, so dass sie leicht genutzt werden kann. Gute Erfahrung hat man mit einem Projekt gemacht in unmittelbarer Umgebung der Halle. Für den Laien ist nicht sofort ersichtlich, was sich hinter den aufgeschütteten Hügeln verbirgt:
"Wir haben mit den Jugendlichen gemeinsam eine Werkstatt durchgeführt, eine Gestaltungswerkstatt, wo wir ihre Bedürfnisse abgefragt haben, also: Was könntet Ihr Euch vorstellen auf den Flächen zu machen? Es gab dann eine Diplomarbeit, die das ein bisschen inhaltlich begleitet hat, und dann hat die Stadt dieses Projekt gemeinsam mit den Jugendlichen gebaut. Das ist also eine Dirt-Strecke."
Dirt von dirty, also schmutzig ...
" ... wo man Sprunghügel hat, wo man mit dem Fahrrad drüber fahren kann, ... furs Fahrrad oder fürs Mountainbike. Und die Jugendlichen haben dann anschließend erklärt, dass sie für diese Fläche, eine Patenschaft übernehmen. Das sie sagen, wir kümmern uns darum."
Dass das alles gut funktioniert, dafür sorgt die Sozialarbeiterin Claudia Trautweg.
"Die Jugendlichen gehen zum großen Teil einer ganz geregelten Arbeit nach. Sie sind auch gar nicht mehr so klein, alle zwischen 21 und 25 und engagieren sich nun in ihrer Freizeit für andere Jugendliche, die gerne skaten wollen oder bmxen wollen und wollen hier Räumlichkeiten schaffen, dass das Ganze auch bei schlechtem Wetter stattfinden kann. Ja, dass die Jugendlichen ein zuhause finden. Interessant ist, dass die erste Generation .. schon weg ist, jetzt die nächste nachgewachsen. Und sie versuchen über dieses Angebot, was jetzt durch die Stadtumbauflächen auch da ist, neue Jugendliche zu gewinnen für den Sport. Wir haben auch gesagt, bevor die Jugendlichen, die waren früher teilweise im Gartenreich und sind dort die Wege langgefahren oder irgendwelche Hügel runtergefahren und haben dort teilweise auch Schaden angerichtet. Da haben wir gesagt, wenn wir die Jugendlichen auf eine neue Fläche holen, dann haben wir dort einen Entlastungseffekt und wir haben gleichzeitig den Effekt, dass sie sich hier um die Fläche kümmern."
Das Bauhaus ist im 21. Jahrhundert angekommen. Auf dem Turm der alten Halle, das Haar vom kühlen Märzwind zerzaust, hat die Landschaftsarchitektin Heike Brückner eine Vision, wie sich - ganz pragmatisch - für Besucher von Dessau das Alte und das Neue verbinden lassen:
"Es hat sich eigentlich bei den Planungen ergeben, dass dieser Landschaftszug, weil wir ihn eben mit den Grünflächen im Norden, mit dem A1-Wanderweg entlang der Elbe und mit den Grünflächen im Süden verbinden, dass es vielleicht auch eine Infrastruktur sein könnte, um die Bauhaus-Bauten auf neue Weise miteinander zu verbinden. Vom Kornhaus über die Meisterhäuser zum Bauhaus bis zur Siedlung Törten, und damit eben auch die Touristen nicht an der Stadt vorbeifahren zu lassen, sondern sie wirklich in die Stadt hereinzuholen und mit diesem heutigen in Berührung zu bringen und auch vertraut zu machen. Das ist eigentlich der neue Ansatz, der eigentlich Anfang diesen Jahrtausends ansteht."
Weiterführende Literatur:
Droste, Prof. Dr. Magdalena, Bauhaus, Verlag Taschen, Köln, 2009-03-31
Hofmann, Tobias, (Hg.), Bauhausstil oder Konstruktivismus? Aufbruch der Moderne in den Zentren Berlin - Bauhaus - Hannover - Stuttgart - Frankfurt, Wienand Verlag, Köln, 2008
Kottjé, Johannes, Purissimo, Aktuelle Beispiele minimalistische Wohnhäuser, DVA, München 2008
Reuter, Helmut; Schulte, Birgit, (Hrsg), Mies und das Neue Wohnen, Verlag Hatje Cantz, 2008
"Das führte beim Bauhaus dazu, dass man sehr radikal mit den Grundformen, mit den Grundfarben, ganz elementar noch mal von vorne anfangen oder Gropius ging am Anfang weit zurück in die Geschichte, die gotische Bauhütte, versuchte sich neu zu begründen, also eine Art Stunde Null."
"Daraus lässt sich dann die Radikalität des Bauhauses verstehen, dessen Ideen übrigens ursprünglich im Arbeiterrat formuliert worden sind, das hat Gropius von dort aus aufgegriffen. Er ist nicht der einzige geistige Urheber."
"Die ersten Jahre von 1919, der Gründung, bis 25 war das Bauhaus in Weimar, in einer sehr bürgerlich, herzoglich geprägten Stadt, und der Wechsel nach Dessau war auch der Wechsel in ein ganz anderes Milieu, in eine ganz andere Situation. Dessau war eine Industrie- und damit auch Arbeiterstadt, sozialdemokratisch regiert, und der Wunsch der Stadtväter, das Bauhaus nach Dessau zu holen, war nun gerade eine Form einer sozialen Modernisierung für die Stadt auf den Weg zu bringen und das Bauhaus durchaus in die Pflicht zu nehmen, diese Stadt progressiv zu entwickeln."
Prof. Philipp Oswalt, Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau.
Der Großraum Dessau galt damals als die Hightech-Region schlechthin, quasi ein Silicon Valley der 1920er-Jahre. Hier wurden Flugzeuge hergestellt; hier gab es Chemieindustrie und Filmproduktion - kurz: Hier konzentrierte sich Hochtechnologie auf höchstem Weltniveau. Die Weimarer Zeit war eine innovative, sehr offene Zeit. Politik und Wirtschaft förderten Experimente:
"Und in diesen Prozess kam das Bauhaus mit der Verpflichtung, etwas für die Stadt zu tun und dazu gehörte auch ein Wohnungsbauprogramm."
Das nicht viel kosten durfte, denn die wirtschaftlichen Verhältnisse waren schwierig.
"Es gab eine Wohnungsnot, die man in vielen anderen Städten mit neuem Bauen, in Frankfurt, in Berlin, in Wien, auch hier in Magdeburg versuchte, zu adressieren, und es gab die Notwendigkeit, sehr billig zu bauen."
Und auch Menschen mit wenig Geld ein eigenes Haus zu ermöglichen.
"Da gab es unterschiedliche Diskussionen darum, wie das zu erfolgen hat. Gropius schwärmte immer von der Hausbaufabrik, es ging um die Serienfertigung und dadurch das ganze wirtschaftlicher zu machen, indem man das industriell fertigt. Es gab natürlich auch genossenschaftliche Modelle, das zu finanzieren, wie kommt überhaupt das Kapital zustande, mit dem gebaut werden kann? Die Graswurzelvereinigung, die Genossenschaften, die versuchten den Arbeitern das Kapital zu vermitteln, was nötig ist, um einen solchen Hausbau anzugehen."
Nach den Erfahrungen im Ersten Weltkrieg, dachten die Planer auch an die Versorgung der Bewohner der Siedlung.
"Es gab Modelle der Selbstbewirtschaftung, der Subsistenzwirtschaft, also Gärten, die produktiv sein können, die einen Teil der Nahrungsversorgung gewährleisten können. Das war auch Teil der Programmatik. Man muss dazu sehen, die Bauhaussiedlung, also Törten, ist nicht das einzige Wohnungsbauprojekt, insofern war es nur ein Teil einer breiteren Bewegung."
Die Idee des Neuen Bauens setzte sich in der ganzen Republik durch - auch im Ruhrgebiet, das durch die wachsende Industrialisierung immer mehr Wohnraum benötigte.
Zum Beispiel in Duisburg:
"Das ist ein ziegelsichtiger Schornstein auf einem rechteckigen Grundriss, der oben leicht abtreppend ausgebildet ist, letztendlich war der Schornstein ein weithin sichtbares Signal für die Siedlung. Man kann in der Mitte auch noch einen kleinen Metalldorn sehen, an dem war ein Ziffernblatt befestigt."
Der Schornstein gab der Siedlung den Namen, sagt der Architekturhistoriker Dr. Stefan Strauß: Einschornsteinsiedlung. Die Einschornsteinsiedlung heißt Einschornsteinsiedlung, weil es hier nur einen Schornstein gab. 72 Mehrfamilienhäuser mit 360 Wohnungen und 81 Reihenhäuser wurden mit Hilfe einer Zentralheizung geheizt. Das war 1927 ungeheuer fortschrittlich.
""Eine Besonderheit dieser Siedlung ist, dass die Innenhöfe als Gemeinschaftshöfe gestaltet sind. Sie sind auch von einem sehr bekannten Gartenarchitekten der damaligen Zeit, Lebrecht Migge, angelegt worden, der eine durchkomponierte Anlage gerade zwischen den mehrgeschossigen Wohnhäusern entwickelt hat, mit innenliegenden Spielhöfen, mit Rasenflächen, also als Gemeinschaftsgrün, das sich so ein bisschen an die damaligen Reformüberlegungen auch in der Gartenkunst anlehnte, während die Reihenhäuser Gartenparzellen hatten, die allerdings auch nach einem bestimmten Muster vorgegeben wurden, mit einem schmalen Bereich für Ackerbau und Viehzucht und einem breiteren Bereich als Aufenthaltsbereich."
Der Gemeinschaftsgedanke, Hinterhöfe als Gärten anzulegen und allen zugänglich zu machen, um dadurch den Austausch zwischen den Nachbarn zu fördern, war absolut ungewohnt und revolutionär.
"Also ein ganz wesentlicher Unterschied ist eigentlich das Zentralgebäude, das in gewisser Weise auch den Namen gegeben hat, denn es gab hier eine ganz frühe Zentralheizungsanlage. Und in diesem Zentralgebäude sollten zugunsten einer Gemeinschaftsbildung für die gesamte Siedlung auch wichtige Funktionen gebündelt werden. Dort gab es einen Kindergarten. Dort gab es eine gemeinsame Gaststätte mit dem programmatischen Namen "Neuland", auch einen kleinen Hotelkomplex, damit Leute, die hier wohnten und kleine Wohnungen hatten, auch Gäste beherbergen konnten."
Die Modernität der Siedlung unterstrich die integrierte große Gemeinschaftsgarage für PKW, damals eine kolossale Neuerung, denn nur wenige konnten sich die neuen Kraftfahrzeuge leisten.
"Es gab vor allen Dingen einen großen Saal, in dem sich die Siedlergemeinschaft treffen sollte, gemeinsam Theaterstücke aufführen sollte, es war eine kleine Bühne mit einem kleinen Bühnenturm integriert. Es war sogar ein Waschhaus hier vorgesehen, mit dem man auch die Körperpflege zentralisieren wollte. Davon hat man dann aber doch letztendlich abgesehen. Die Wohnungen haben dann doch Bäder bekommen. Aber man sieht schon, der Gemeinschaftsgedanke wurde sehr stark hervorgehoben und durch entsprechende Zentralfunktionen dann in der Mitte der Siedlung gebündelt."
Auch wenn die Siedlung vielleicht ursprünglich als Arbeitersiedlung gedacht war: Das Zentralgebäude mit der integrierten Heizung, die individuellen Bäder in jeder Wohnung und den Häusern, machten das Wohnen hier teuer. Auch die Optik sprach Ende der 1920er-Jahre wohl eher die reformorientierten Bewohner Duisburgs an: Flachdach und farbige Mauern waren ungewöhnlich.
Was haben die Ideen aus den 1920er-Jahren mit dem modernen Bauhaus zu tun?
Die meisten verbinden mit Bauhaus immer noch revolutionäres Design, Kunst, Möbel, vielleicht auch Theater.
"Als erstes verstehe ich das Bauhaus als Programmatik."
... meint dessen neuer Direktor Philipp Oswalt.
" ... als eine gewisse Methodik, und da spielen diese Fragen auf eine Verpflichtung des gesellschaftliches Wohlergehen, die Interdisziplinarität der Arbeitsweise, auch die internationale Offenheit der Arbeitsweise, der Wunsch zu experimentieren, zu neuen Lösungen zu kommen, das ist für mich der Kernbestand und das ist etwas, was ich für heute als genauso relevant ansehe, wie für damals, aber natürlich in einer Situation, die ganz, ganz anders ist und zum Teil genau umgekehrt."
Die Stiftung Bauhaus - so Philipp Oswalt - steht also in der Tradition, wenn auch unter anderem Vorzeichen...
"... das Bauhaus damals, in einer Wachstumsperiode, in einer Periode einer sehr fortschrittlichen Industrialisierung in durchaus wirtschaftlich schwierigen Umständen, heute die Stiftung Bauhaus Dessau, was natürlich nicht mehr das Bauhaus ist, die Situation in einer Region, die stark an Bevölkerung verliert, die stark deindustrialisiert ist, gleichzeitig auch neue Industrien entstehen, das darf man auch nicht vergessen, aber eher einen Prozess des Rückzugs zu organisieren hat, und da wird - die Methodik ist von gleicher Relevanz, aber die Aufgaben sind andere: Wir müssen heute nicht mehr Siedlungshäuser erstellen, wir müssen eher überlegen, wie wir mit bestehenden Siedlungshäusern umgehen, ob wir sie abreißen, ob wir sie umnutzen, ob wir sie verändern. Das sind Fragen, die man aber mit der Programmatik des historischen Bauhauses gut angehen kann."
Philipp Oswalt beschäftigt sich nicht mit dem Design von Kaffeetassen, Lampen oder Sesseln. Er hat gerade ein großes, international angelegtes Projekt abgeschlossen zur Schrumpfung der Städte. Und er bereitet ein großes, neues Projekt vor: Die Internationale Bauausstellung, die 2010 eröffnet wird.
"Die Grundkonzeption der IBA ist, dass jede der 19 Städte ihr eigenes Thema, ihr eigenes Konzept hat. Also es ist genau der Abschied der Vorstellung, dass wir mit einem Rezept diese Fragen beantworten können, sondern dass es auch eine sehr spezifisch lokale Frage ist, welches Potenzial hat der jeweilige Ort, wie kann hier aus dem, was besteht heraus, eine Selbstermächtigung, eine Stärkung des Städtischen erreicht werden."
Zum Beispiel Dessau:
Es regnet an diesem trüben Märztag. In einer alten, großen Halle, eine ehemalige Brauerei aus dem 19. Jahrhundert, stehen Dr. Holger Schmidt von der Werkstatt Stadtumbau Dessau und Heike Brückner, Landschaftsarchitektin an der Stiftung Bauhaus Dessau.
"Die Halle ist noch Teil eines ehemaligen Areals, was im Moment noch stehen geblieben ist, was jetzt einer neuen Nutzung zugeführt werden soll. In unmittelbarer Nachbarschaft befinden sich Flächen, die schon abgerissen worden sind. Hier fährt der Zug der Strecke Dessau - Berlin - Leipzig vorbei. In unmittelbarer Nachbarschaft - es gab hier die Fläche der alten Fleischerei, in unmittelbarer Nachbarschaft gab es einen Kohlehandel. Es gab noch Wohnbebauung, also ganz unterschiedliche Nutzung, die sich am Rande der Stadt entlang der Eisenbahn erstreckt haben."
Und was ist da heute?
"Landschaft. Wir haben im Rahmen des Stadtumbaus Dessau ein Motto: Wir sagen, wo Gebäude zurückgebaut werden, fügen wir Landschaft ein und haben die Vision, dass da in 20 - 30 Jahren ein schöner neuer Landschaftszug durch die Stadt geführt werden kann."
Was da für Landschaft hinkommt, wurde mit den Dessauer Bürgern diskutiert:
"Die Bürger haben uns auf etwas gebracht, was ganz naheliegend ist, nämlich das Motiv des Dessau-Görlitzer Gartenreichs, wie es vor den Toren der Stadt zu finden ist, in die Stadt hineinzuholen."
Das besondere daran: Bürger können für bestimmte Areale Patenschaften übernehmen. Dabei helfen die Planer bei der Begrünung.
Vorschläge haben Bürger auch für die Nutzung der alten Halle gemacht:
"Es gibt im Moment eine Diskussion, ob man es für die Nutzung als Skaterhalle, als Winterquartier nutzen kann."
Das macht Sinn: Durch die Lage etwas außerhalb von Wohnbebauung wären Anwohner von dem Lärm geschützt. Und laut ist es hier sowieso. Andererseits liegt die Halle nah genug am Kern der Stadt, so dass sie leicht genutzt werden kann. Gute Erfahrung hat man mit einem Projekt gemacht in unmittelbarer Umgebung der Halle. Für den Laien ist nicht sofort ersichtlich, was sich hinter den aufgeschütteten Hügeln verbirgt:
"Wir haben mit den Jugendlichen gemeinsam eine Werkstatt durchgeführt, eine Gestaltungswerkstatt, wo wir ihre Bedürfnisse abgefragt haben, also: Was könntet Ihr Euch vorstellen auf den Flächen zu machen? Es gab dann eine Diplomarbeit, die das ein bisschen inhaltlich begleitet hat, und dann hat die Stadt dieses Projekt gemeinsam mit den Jugendlichen gebaut. Das ist also eine Dirt-Strecke."
Dirt von dirty, also schmutzig ...
" ... wo man Sprunghügel hat, wo man mit dem Fahrrad drüber fahren kann, ... furs Fahrrad oder fürs Mountainbike. Und die Jugendlichen haben dann anschließend erklärt, dass sie für diese Fläche, eine Patenschaft übernehmen. Das sie sagen, wir kümmern uns darum."
Dass das alles gut funktioniert, dafür sorgt die Sozialarbeiterin Claudia Trautweg.
"Die Jugendlichen gehen zum großen Teil einer ganz geregelten Arbeit nach. Sie sind auch gar nicht mehr so klein, alle zwischen 21 und 25 und engagieren sich nun in ihrer Freizeit für andere Jugendliche, die gerne skaten wollen oder bmxen wollen und wollen hier Räumlichkeiten schaffen, dass das Ganze auch bei schlechtem Wetter stattfinden kann. Ja, dass die Jugendlichen ein zuhause finden. Interessant ist, dass die erste Generation .. schon weg ist, jetzt die nächste nachgewachsen. Und sie versuchen über dieses Angebot, was jetzt durch die Stadtumbauflächen auch da ist, neue Jugendliche zu gewinnen für den Sport. Wir haben auch gesagt, bevor die Jugendlichen, die waren früher teilweise im Gartenreich und sind dort die Wege langgefahren oder irgendwelche Hügel runtergefahren und haben dort teilweise auch Schaden angerichtet. Da haben wir gesagt, wenn wir die Jugendlichen auf eine neue Fläche holen, dann haben wir dort einen Entlastungseffekt und wir haben gleichzeitig den Effekt, dass sie sich hier um die Fläche kümmern."
Das Bauhaus ist im 21. Jahrhundert angekommen. Auf dem Turm der alten Halle, das Haar vom kühlen Märzwind zerzaust, hat die Landschaftsarchitektin Heike Brückner eine Vision, wie sich - ganz pragmatisch - für Besucher von Dessau das Alte und das Neue verbinden lassen:
"Es hat sich eigentlich bei den Planungen ergeben, dass dieser Landschaftszug, weil wir ihn eben mit den Grünflächen im Norden, mit dem A1-Wanderweg entlang der Elbe und mit den Grünflächen im Süden verbinden, dass es vielleicht auch eine Infrastruktur sein könnte, um die Bauhaus-Bauten auf neue Weise miteinander zu verbinden. Vom Kornhaus über die Meisterhäuser zum Bauhaus bis zur Siedlung Törten, und damit eben auch die Touristen nicht an der Stadt vorbeifahren zu lassen, sondern sie wirklich in die Stadt hereinzuholen und mit diesem heutigen in Berührung zu bringen und auch vertraut zu machen. Das ist eigentlich der neue Ansatz, der eigentlich Anfang diesen Jahrtausends ansteht."
Weiterführende Literatur:
Droste, Prof. Dr. Magdalena, Bauhaus, Verlag Taschen, Köln, 2009-03-31
Hofmann, Tobias, (Hg.), Bauhausstil oder Konstruktivismus? Aufbruch der Moderne in den Zentren Berlin - Bauhaus - Hannover - Stuttgart - Frankfurt, Wienand Verlag, Köln, 2008
Kottjé, Johannes, Purissimo, Aktuelle Beispiele minimalistische Wohnhäuser, DVA, München 2008
Reuter, Helmut; Schulte, Birgit, (Hrsg), Mies und das Neue Wohnen, Verlag Hatje Cantz, 2008