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Ein nachhaltiges Projekt

Die Hauptschule ist in der bildungspolitischen Debatte ziemlich in Verruf geraten: Wer es irgendwie schafft, schaut, dass er zumindest die Realschule besucht. In einem Projekt der privaten Zeppelin-University in Friedrichshafen am Bodensee kümmern sich Studierende ganz konkret um den zukünftigen Werdegang von Hauptschülern. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hat die Schirmherrschaft über das Projekt übernommen.

Von Thomas Wagner | 04.03.2009
    "Worüber haben wir gesprochen? Über Archäologie. Wir haben gerade darüber gesprochen, ob wir im Büro arbeiten oder lieber draußen. Und ich dachte, wenn Du Archäologie machen willst oder wenn das ein Wunsch war .... hey! Wie cool ist das, weil's eben wirklich draußen ist.

    Also ich find wirklich, Büro ist immer so langweilig. Und ich möchte lieber draußen sein. Ich hab das dann im Fernsehen gesehen, wie die die Sachen so entdecken, Kultur und so - ich find's schon spannend."

    Ein ungleiches Paar: Lukas Onken, Mitte 20, studiert an der Zeppelin-University Friedrichshafen Kultur- und Kommunikationswissenschaften. Mahsun dagegen besucht die 8. Klasse einer Friedrichshafener Hauptschule - und hegt einen Traum: Später einmal will er Archäologe werden. Vielleicht klappt's ja irgendwie - dank der Hilfe durch Lukas Onken.

    ""Müssen wir mal schauen, wie wir da weiter vorgehen. Wir können im Internet schauen. Wir sitzen ja auch gerade mal am Computer und schauen einfach mal, was die nächsten Schritte sind. Ob das was wird - schauen wir mal."

    Lukas und Mahsun sind Teilnehmer an einem außergewöhnlichen studentischen Projekt namens Rock Your Life.

    "Die Aussage ist einfach wirklich: Nimm Dein eigenes Leben in die Hand. Rock Dein eigenes Leben, eine Aufforderung eigentlich, den Leuten zu zeigen, dass man etwas drauf hat. Das soll eigentlich dieses Rock Your Life bedeuten."

    So Christina Veldhoen, die an der Zeppelin-University Kommunikations- und Kulturwissenschaften studiert und im Projektteam Rock Your Life mitarbeitet. Das besteht aus über 40 Studierenden. Jeder von ihnen kümmert sich über zwei Jahre hinweg um jeweils einen Hauptschüler aus Friedrichshafen. Gemeinsam werden berufliche Perspektiven entwickelt. Die Studierenden zeigen den Hauptschülern zudem, wie man besser lernt, wie man die anstehenden Prüfungen schafft - ein bundesweit einzigartiges Projekt, das nach Ansicht der Studierenden deshalb Sinn macht,

    " ... weil uns allein in Deutschland klar ist, dass die Chancen, die Hauptschüler haben und die Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt nicht gerade rosig sind. Wir aber der Überzeugung sind, dass jeder sein individuelles Potenzial hat, was man mit dem nötigen Engagement durchaus fördern kann."

    erklärt Christina Veldhoen. Bei diesem Coaching für Hauptschüler ergeben sich für die beteiligten Studierenden immer wieder Überraschungen. Viola Benz betreut als ZU-Studentin ein Mädchen, das ebenfalls die 8. Hauptschulklasse besucht.

    "Hauptschüler werden immer in eine Schublade gesteckt: können nichts, machen nichts, wollen nichts. Und das stimmt einfach gar nicht. Die sind wirklich alle motiviert. Die haben wirklich für die 8. Klasse super Berufsvorstellungen, was bei mir in dieser Zeit gar nicht so war. Das sieht man mal, wie sehr die schon im Leben stehen und eigentlich völlig verkannt werden."

    Dabei soll das Hauptschul-Coaching keine Einbahnstraße sein: Nicht nur, dass die Studierenden den Hauptschülern unter die Arme greifen - die Erfahrungen, die sie dabei sammeln, kommen ihnen später selbst zugute. Lukas Onken, angehender Kultur- und Kommunikationswissenschaftler:

    "Also jetzt mal ganz praktisch gedacht: Wenn ich später einmal in einem Theater arbeite oder aber im Kulturbetrieb, dass ich dann einfach einen Blick habe für Andersdenkende. Ich denke jetzt an Bühnenarbeiter zum Beispiel. Dass man in anderen Kategorien denkt und jemanden nicht mehr so schnell abschreibt vielleicht und versucht, da einfach offen zu sein."

    Die beteiligten Hauptschüler dürfen im Gegenzug darauf hoffen, dass sich ihr studentischer Coach bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz ganz persönlich für sie einsetzt und dabei Türen öffnet, die ohne diese Hilfe verschlossen blieben. Lukas Onken:

    "Es ist langfristig auch ein Ziel, dass wir Studenten Mittler sind zwischen Unternehmen und Hauptschülern. Und ich glaube, dass gerade ein Kommunikationsproblem herrscht zwischen den Unternehmen und den Hauptschülern. Weil die Unternehmen haben durchaus ein Bedürfnis an den Schülern. Aber irgendwie funktioniert die Kommunikation nicht, dass sie an die Schüler herankommen und sagen, was sie brauchen. Und andersherum eben genauso. Und ich bin sicher, dass wir Studenten da so eine Art Mittlerrolle einnehmen können, um da letztendlich konkret ein Unternehmen und einen Hauptschüler zusammen zu bringen."
    Zunächst ist das Projekt Rock Your Life auf Friedrichshafen beschränkt. Dort soll allerdings für jeden Hauptschüler der Klassenstufe 8 ein studentischer Coach gefunden werden, der dann auch über zwei Jahre hinweg die Betreuung übernimmt. Später einmal will die Projektgruppe Rock Your Life bundesweit ausdehnen. Projektleiterin Lin Rampel:

    "Unser Ziel ist es, das Projekt Rock-Your-Life erst einmal in Friedrichshafen zu etablieren und es dann nach Berlin zu tragen, wo dann das Thema Hauptschule nochmals eine ganz andere Brisanz hat als hier in Friedrichshafen, wo eine geringe Arbeitslosenquote ist. Da haben wir in Berlin natürlich eine ganz andere Situation. Und unser Ziel ist es, als "Social Franchise" und als "Social Business" das Projekt bundesweit einzuführen, mit unterschiedlichen Hochschulen, mit unterschiedlichen Studierenden und Schülern. Ziel ist es, jetzt wirklich in Friedrichshafen zu beginnen, um im September nach Berlin zu gehen, um das dort auch in Berlin etablieren zu können."