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Ein Naturereignis

Christian Schwochow wurde vor 30 Jahren auf Rügen geboren. Schon als Kind wirkte er bei zahlreichen Hörspielproduktionen des Staatsrundfunks der DDR mit, arbeitet später als Comedyautor und Sprecher für Fernsehproduktionen, als Reporter für die ARD, als Produzent von Werbefilmen und kann auf eine lange Liste von Kurzfilmen zurückblicken. "Novemberkind" ist sein Debüt über die lange Strecke. Die DDR spielt darin eine kleine Rolle, die junge Schauspielerin Anna-Maria Mühe dafür eine große.

Von Josef Schnelle | 20.11.2008
    Der Vergleich ist naheliegend - aber er ist ungerecht. Nicht nur wegen der Story, die einige Parallelen aufweist. Im Zentrum von "Das Leben der Anderen" von Florian Henckel von Donnersmarck stand der Schauspieler Ulrich Mühe als Stasibelauscher des Dissidentenlebens in der DDR. Seine Tochter Anna-Maria Mühe, auch sie nun Schauspielerin, steht im Mittelpunkt von Christian Schwochows Film "Novemberkind", in dem die DDR-Vergangenheit allerdings nur im Hintergrund dräut.

    Mitten in der Erfolgsgeschichte des Films bis hin zum Auslands-Oscar war ein Streit ihrer Eltern Jenny Grolmann und Ulrich Mühe losgebrochen. Grolmann, einer bekannten und beliebten DEFA-Schauspielerin, wurde vorgeworfen, als Stasi-IM ihren Mann Ulrich Mühe bespitzelt zu haben. In einem Dokumentarfilm über die letzten Jahre des funkelnden DDR-Stars Jenny Grolmann, der vor ein paar Monaten im Kino war, tritt auch Anna-Maria Mühe im Interview auf und versucht es irgendwie beiden Eltern Recht zu machen. Kurz nacheinander sind Grolmann und Mühe an Krebs gestorben. Nun ist Anna-Maria Mühe, die die Augen ihres Vaters hat und das Lächeln ihrer Mutter, selbst Hauptdarstellerin eines Filmes, der sich mit der DDR-Vergangenheit beschäftigt. Da hat man zunächst gar keine Chance, das auseinander zu halten: Das Leben dieser jungen Frau und den Beziehungskrieg ihrer Eltern, der - so vermuten manche - von interessierter Seite rechtzeitig angeheizt wurde, um einen zusätzlichen PR-Effekt für den Film "Das Leben der Anderen" zu erzielen. Auf jeden Fall muss man bei diesem Film immerzu an das Beziehungsdreieck der jungen Frau und ihrer Eltern denken und man mag glauben, dass diese Lebensgeschichte dazu beiträgt, dass die Darstellung der Hauptfigur so authentisch gerät. Anna-Maria Mühe führt als Inga führt langweiliges aber glückliches Leben irgendwo in einer mecklenburgischen Tristesse. Doch dann kommt ein merkwürdiger Mann vorbei und erzeugt eine gewisse Unruhe. Inga ist bei ihren Großeltern aufgewachsen. Ihre Mutter, das hat man ihr gesagt, sei längst tot.

    Robert, der ihr dieses Bekenntnis entlockt, hat sich als Literaturprofessor vorgestellt, der zufällig vorbei kommt, vor Jahren aber in Westdeutschland ihrer Mutter Anna begegnet ist. Die sieht nämlich genau so aus wie Inga und wird in sämtlichen Rückblickszenen des Films ebenfalls von Anna-Maria Mühe verkörpert. Anna hat Inga als Baby zurückgelassen und ist in den Westen geflohen. Die junge Frau beginnt, Fragen zu stellen.
    Das verlegene Schweigen, das Inga von nun an immer wieder begegnet, macht sie misstrauisch. Es bleibt ihr gar nichts anderes übrig, als sich nun im wieder vereinigten Deutschland auf Spurensuche zu begeben. Literaturprofessor Robert bietet ihr dabei seine Hilfe an. Eine deutsch-deutsche Detektivgeschichte beginnt. Hinter den Lügen. mit denen sie bisher gelebt hat, scheint die Überanpassung der bisher so geliebten Großeltern auf. Im Westen dann findet Anna nicht nur glückliche DDR-Aussteiger und sogar ihren wirklichen Vater, einem im Westen gestrandeten russischen Deserteur. Zu Robert entsteht eine sexuelle Spannung in dem an dieser Stelle beginnenden Roadmovie. Doch ahnt sie nicht, dass der Literaturprofessor in Wahrheit ein Schriftsteller in der Krise ist, der ihre Lebensgeschichte als Inspiration und Lebensspritze vampirisch ausbeutet. Nur seinem Diktiergerät vertraut Robert das an.

    "Novemberkind" ist Genrekino par excellence. Ein Klischee ist schlecht. Aber alle auf einem Haufen - das kann große Kunst werden. Oder wenigstens ein wirklich interessanter Film. Die Darsteller tragen dazu nicht wenig bei. Ulrich Matthes glaubt man den mittelalten Verführer ebenso wie die verkrachte Existenz, die er wirklich ist. Anna-Maria Mühe in ihrer Doppelrolle ist aber das eigentliche Naturereignis dieses Films. Schwer vorstellbar, dass sie im künftigen deutschen Filmschaffen nicht eine der absoluten Hauptrolle spielen wird. Und dann ist wieder klar: Leben und Film sind doch gar nicht auseinander zu halten, und wer will das auch schon. Das Leben ist gar nicht soviel anders als der Film darüber. Ulrich Mühe und Jenny Grolmann auf zwei Wölkchen in der Abteilung Sieben im Filmschauspielerhimmel dürfen also vielleicht doch gemeinsam stolz sein auf ihre Tochter, die wohl größer werden wird, als sie beide zusammen es je gewesen sind. Und das ist schon allerhand. Wie schon gesagt - der Vergleich ist naheliegend aber ungerecht.