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Ein neuer Blick auf Emil Schumacher

"Malerei ist gesteigertes Leben" – das hat der Künstler Emil Schumacher einmal gesagt. Und weil das so ein knackiges Zitat ist, hat das Emil-Schumacher-Museum in Hagen jetzt seine aktuelle Ausstellung so genannt. Christiane Vielhaber hat sie besucht - und ist beeindruckt.

Christiane Vielhaber im Gespräch | 02.09.2012
    Kathrin Hondl: Im Studio ist Christiane Vielhaber. Sie waren für "Kultur heute" im Emil-Schumacher-Museum. Hält die Ausstellung denn, was das knackige Titelzitat verspricht?

    Christiane Vielhaber: Es ist ein frühes Selbstzitat von Emil Schumacher und das hat schon was mit seiner Malerei zu tun. Er ist nicht der ganz große gestische Maler, obwohl es große Gesten sind, aber seine Malerei hat immer etwas mit seinem Leben zu tun, mit seinem Erleben, egal ob er jetzt auf Reisen war, oder ob er sich mit anderen Künstlern auseinandergesetzt hat, die vor ihm schon gemalt haben, die neben ihm gemalt haben. Insofern finde ich diesen Titel noch nicht mal so pathetisch, sondern eigentlich ganz passend.

    Hondl: Informell, abstrakt, expressionistisch – so wird die Kunst von Schumacher ja immer charakterisiert. Aber kann man denn tatsächlich irgendwie so eine eindeutige Stilschublade für ihn aufmachen?

    Vielhaber: Frau Hondl, ich glaube, dass diese Ausstellung so etwas ist wie ein Befreiungsschlag. Genau das, was Sie gesagt haben: Wir reden eigentlich … in Deutschland haben wir keine abstrakten Expressionisten. Das ist Amerika, das ist de Kooning, wir haben kein Action Painting, das ist Pollock, sondern wir haben die deutsche informelle Nachkriegsmalerei. Und dann wird eigentlich in einem Atemzug Emil Schumacher, Gerhard Hoehme, Karl Otto Götz, das sind so die großen Heroen, und das klingt eigentlich wie eine reine deutsche Entwicklung. Und was diese Ausstellung jetzt versucht zu zeigen und anschaulich versucht und letztlich auch ein bisschen überzeugend ist, dass Emil Schumacher weder der reine Informelle war, denn wenn Sie durch diese Ausstellung gehen, dann sehen Sie, dass da ganz viel Gegenständliches zu sehen ist und dass da nicht unbedingt die Formlosigkeit herrscht, sondern dass er Formen mit Linien begrenzt. Sie sehen, dass er was mit den Amerikanern zu tun hat, Sie sehen zum Beispiel das, was er mit Fontana zu tun hat. Er zerschlägt Bilder, die er zum Beispiel auf Türblätter gemalt hat, mit dem Hammer, haut da Löcher rein. Daneben hängt Fontana, der ja nun berühmt geworden ist, dass er die Leinwand in die Tiefe geöffnet hat mit einem Schlitz. Bei Fontana sehen Sie dann, dass das ästhetisches Kalkül ist, teilweise ein Schlitz, hat so eine ganz erotische Konnotation, während Emil Schumacher in die Leinwand reinhaut und Löcher reinmacht. Oder Sie sehen einen Dubuffet und Sie sehen, wie Dubuffet eine Landschaft gestaltet mit einer Horizontlinie und so Gekräusele in dieses Bild macht, auf dieses Bild macht, und daneben hängt ein großer Schumacher. Dann denken Sie, aha, hat auch was mit Landschaft zu tun, Horizontlinie und so ein bisschen weiß oben. Aber wenn Sie die beiden Bilder wirklich nebeneinander sehen und vergleichen, dann sehen Sie, dass Schumacher eigentlich mit nichts vergleichbar ist - das gilt natürlich für die anderen Künstler auch -, aber dass er eingebunden ist in diese Zeit der 50er-, 60er- und 70er-, 80er-Jahre, und Sie sehen auch am Anfang, wo er herkommt.

    Hondl: Also die Ausstellung versucht, tatsächlich diese internationalen Verbindungen und Wahlverwandtschaften deutlich zu machen. Sie haben jetzt von Fontana gesprochen, das war sehr einleuchtend. Aber da sind ja auch noch ganz andere Namen im Spiel: Pollock haben Sie schon genannt, Soulages, Tàpies. Funktioniert das denn?

    Vielhaber: Zum Beispiel mit Tàpies, das ist was Formalästhetisches. Bei Schumacher finden Sie immer so einen Bogen. Dieser Bogen könnte ein Kopf sein, dieser Bogen könnte eine Architektur sein. Und was haben wir bei Tàpies? – Wir haben ein Bild mit so einem Bogen, wo Sie auch das Gefühl haben, das ist eigentlich so ein Torbogen, nur ist es eine andere Materialität. Aber wenn Sie das nebeneinander sehen, dann denken Sie, die sind schon sehr verwandt. Oder Sie sehen hinreißende Zeichnungen von de Kooning, einfach so schwarze Striche, die aber sehr kaligrafisch und zeichenhaft sind. Und dann sehen Sie eine Malerei von Emil Schumacher und plötzlich gewinnen diese schwarzen Striche, die letztlich irgendeine Form ja doch darstellen, dann doch diese kaligrafische Qualität, dass da doch, was Sie gesagt haben, so eine Wahlverwandtschaft oder Geistesverwandtschaft da ist, und dass man sieht, Kunst entsteht einfach nicht voraussetzungslos. Was die Künstler in Frankreich gedacht haben oder in Amerika, das passiert in den deutschen Köpfen im Atelier ganz genauso, nur äußert es sich etwas anders.

    Hondl: Das hört sich so an, als ob da tatsächlich ein neuer Blick auf Schumacher versucht wird?

    Vielhaber: Ja, ein überzeugend neuer Blick, das muss ich sagen – jedenfalls auch für mich.

    Hondl: Vielen Dank! – Christiane Vielhaber war das über die Jubiläumsausstellung zum 100. Geburtstag von Emil Schumacher im Emil-Schumacher-Museum in Hagen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.