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"Ein Opfer des Literaturbetriebs"

Die Leiche der 61-jährigen Brigitte Schwaiger sei in Wien in der Donau entdeckt worden, teilte die Polizei mit. Mit dem Text der Frauenbefreiungsliteratur "Wie kommt das Salz ins Meer?" wurde sie bekannt. Letztlich habe sie den Schritt zur Berufsschriftstellerin nicht gemeistert, sagt Literaturkritikerin Sigrid Löffler.

Sigrid Löffler im Gespräch mit Beatrix Novy | 27.07.2010
    Beatrix Novy: Die österreichische Schriftstellerin Brigitte Schwaiger ist tot. Ihr Leichnam wurde in der Donau treibend gefunden bei Wien – ein Selbstmord ist sehr wahrscheinlich. Es würde sich zu der Tatsache fügen, dass Brigitte Schwaiger schwere psychische Probleme hatte. Über die und über ihren Aufenthalt in der Psychiatrie hatte sie 2006 das Buch "Fallen lassen" veröffentlicht und auch sonst offen darüber gesprochen.

    Brigitte Schwaiger: "Wenn man depressiv ist, hat man einen scharfen Blick für das Unangenehme oder für das Widerborstige im Leben. Ich will nicht dann eine Wende zum Positiven machen, die verlogen wäre.

    Novy: Brigitte Schwaiger hat immer geschrieben, keines ihrer Bücher erreichte aber den Erfolg ihres ersten Romans "Wie kommt das Salz ins Meer?". Ein Glücksfall war das für Autorin und Verlag: 15 Auflagen allein im ersten Jahr, eine halbe Million verkaufter Exemplare insgesamt, ein Buch, an das sich viele erinnern. Ein Stück Frauenbefreiungsliteratur der 70er-Jahre, der Handlung nach. Ich habe die Literaturkritikerin Sigrid Löffler gefragt, welchen Nerv traf es denn, dass es derart Furore machte?

    Sigrid Löffler: Ja, das war ein populär-feministischer Bestseller. Das war so eine Art Beweistext für Frauenunterdrückung in der Ehe. Und er hat damit ganz eindeutig den Zeitgeist getroffen, es war ein ungeheurer Erfolg. Und Brigitte Schwaiger wurde – man muss heute sagen zu ihrem Unglück – in die Schriftstellerlaufbahn gedrängt, der sie aber eigentlich nicht gewachsen war. Und diesen Schritt zur Berufsschriftstellerin hat sie eigentlich nie gemeistert, obwohl sie eine ganze Reihe von Büchern geschrieben hat, die natürlich alle nicht im Entferntesten den Erfolg hatten wie ihr Debütroman.

    Novy: Diese Bücher waren alle autobiografisch geprägt, stimmt das?

    Löffler: Ja, das stimmt natürlich, und vor allem der letzte Text, der sie noch einmal in die Schlagzeilen gebracht hat, "Fallen lassen", diese beklemmende Sozialreportage aus der Psychiatrie, den sogenannten Steinhof, wie das Wiener Irrenhaus genannt wird, diese Sozialreportage hat sie noch einmal in die Zeitungen gebracht, da ist die Aufmerksamkeit der Medien noch mal sehr groß gewesen. Aber eigentlich muss man schon tragischerweise sagen, dass das Thema der Medien oder die Neugier der Medien eigentlich eher der Verelendung einer einst prominenten Autorin gegolten hat, die mit jedem publizierten Text aufs Neue nur ihren realbiografischen Bankrott erklärt hat. Und dieser soziale und mentale Ruin, diese Lebensunfähigkeit, diese Heillosigkeit und dieses multiple Unglück, das war es eigentlich dann, was sie öffentlich vorgeführt hat und wofür sich die Medien interessiert haben. Sie war ein Opfer des Literaturbetriebs, man kann es nicht anders sagen.

    Novy: Es wird öfter kolportiert, dass Elfriede Jelinek ihr geschrieben haben soll: Brigitte, schreib weiter, du kannst es!

    Löffler: Ja, natürlich. Elfriede Jelinek ist eine außerordentlich solidarische, besonders zu Frauen solidarische und liebenswürdige Schriftstellerin und Kollegin, die natürlich diese unglückliche jüngere Frau ermutigen wollte. Aber ich glaube, es hat nicht viel geholfen.

    Novy: Lassen Sie uns doch zum Schluss vielleicht noch einen Satz zu "Wie kommt das Salz ins Meer?" sagen, nämlich das, was dieses Buch bleiben wird.

    Löffler: Ja, es war ein lakonischer Monolog einer jungen Frau, die an ihrem kleinbürgerlichen und provinziellen Milieu leidet und die ohne Liebe den falschen Mann heiratet, die eine trostlos unglückliche Ehe führt, dann Ehebruch begeht, es gibt eine Abtreibung, es kommt zur Scheidung. Die Frau geht vollkommen verwirrt, orientierungslos und ohne gute Erdung aus diesem Eheunglück heraus und kommt eigentlich in neues multiples Unglück hinein. Eigentlich hat sich die arme Brigitte Schwaiger ihr Leben lang von diesem Erfolg nicht mehr erholt.

    Novy: Also ein Buch, aber auch exemplarisch genug, um später als Zeichen der Zeit gelten zu können?

    Löffler: Das würde ich unbedingt sagen. Es ist sicher ein Buch, das bleiben wird. Man kann sie vergleichen mit Karin Struck, deren erstes Buch "Klassenliebe" wird auch bleiben. Oder Franz Innerhofer, dessen erstes Buch "Schöne Tage" ist ein Klassiker seiner Zeit. So wie Innerhofer hat auch Brigitte Schwaiger dann ihre Karriere nicht gemeistert, beide haben sich umgebracht, beide sind tragische Opfer.

    Novy: Das war Sigrid Löffler über die österreichische Schriftstellerin Brigitte Schwaiger, deren Tod heute bekannt wurde.