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Ein Ort für die Ewigkeit

"Sie wissen, wie das ist, wenn man die Universität abgeschlossen hat: man glaubt die Geheimnisse des Universums zu kennen. Also glaubte ich, alles zu wissen, was man wissen muß, um den großen englischen Roman schreiben zu können, mit all den großen menschlichen Gefühlen, über die man mit 20 soviel weiß. Ich schickte ihn an jeden Verlag, den ich finden konnte und alle lehnten ihn dankend ab. Auch eine Freundin, die Schauspielerin war, bekam ihn. Die sagte mir: 'Ich verstehe zwar nichts von Romanen, aber das gäbe ein gutes Stück.'Also machte ich ein Theaterstück daraus und ging damit zu örtlichen Theatergruppe. Die führten es auf, es bekam sogar gute Kritiken. Da stand ich nun im Alter von 23 Jahren und dachte, das wäre meine Zukunft, ich wäre der neue Harold Pinter, Hollywood lauere um die nächste Ecke, ich hätte es bereits geschafft. Ich schrieb weiter Stücke, bekam aber nur noch Ablehnungen. Als ich dann noch von meinem Agenten gefeuert wurde, wußte ich, daß ich wohl gar nichts mehr zustande bringe."

Johannes Kaiser |
    So kann man sich täuschen. Sicherlich: Aals Theaterautorin hatte die 1956 in Schottland geborene Val McDermid keine Zukunft. Doch als sie beschloß, sich an Verbrechen zu erproben, entdeckte sie ihre wahre Berufung. Heute gilt die 44-jährige als eine der prominenten Vertreterinnen ihres Gewerbes. Dafür spricht nicht zuletzt, daß sie 1995 in England den renommierten McCallan Gold Dragger Preis für den besten Krimi des Jahres zugesprochen bekam. Seit 1989 ihre erste Geschichte veröffentlicht wurde, hat die englische Schriftstellerin 14 weitere Romane vorgelegt. Sie ist fleißig, diszipliniert und neugierig - Eigenschaften, die sie sich als Tageszeitungsjournalistin erwarb - zumindest solange, bis ihr ihre Romane genug zum Leben einbrachten und sie den ungeliebten Pressejob aufgeben konnte. Immerhin hat sie über zehn Jahre lang recherchieren und unter Zeitdruck schreiben gelernt. Insofern kennt sie die typischen Versagensängste anderer Autoren nicht. Sie schreibt einfach drauflos. Das erklärt auch ihre enorme Produktivität.

    Allerdings gehört sie nicht zu denjenigen in der Krimibranche, die sich mit einem einmal gewählten Szenario zufrieden geben, d.h.mit einer Serienfigur in bekannten Verhältnissen. Das wäre ihr zu langweilig. Also hat sie inzwischen drei Charaktere erfunden, die ihre verzwickten Mord- und Betrugsfälle aufklären: die Journalistin Lindsay Gordon, die jedoch schon fünf Mal im Einsatz war und darum in Rente geschickt werden soll, sodann die Detektivin Kate Brannigan, die Wirtschaftsverbrechen in und um Manchester herum aufklärt, von der jetzt im Hamburger Ariadne-Verlag der zweite Fall 'Luftgärten' wiederaufgelegt wird, die in England bereits sechsmal erfolgreich war und für Val McDermid noch lange nicht verschlissen ist und schließlich den Polizeipsychologen Tony Hill, der versucht, Serienmorde dadurch aufzuklären, daß er sich in die Seele des Massenmörders hineinzuversetzen sucht, um ihm zuvorzukommen und ihn zu entlarven. Tony Hill hat bereits zweimal Serlentäter zur Strecke gebracht. Er ist noch unverbraucht und für weitere Mordserien vorgesehen. Die Chronologie der Verbrechensjäger deutet auch eine gewisse Rangfolge der Qualität der Krimis an, auch wenn die Grundfrage immer dieselbe bleibt. Die Autorin:

    "Das wertvollste Wortpaar im Wortschatz einer Schriftstellerin ist "was, wenn". Wenn man anfängt, über eine Geschichte nachzudenken, dann muß man sich immer wieder fragen, was wäre, wenn dies statt jenem passiert, was wäre, wenn ich mich täusche und etwas ganz anders geschieht und je mehr Möglichkeiten man erkundet, desto mehr Schichten bekommt die Geschichte, desto komplexen wird die Erzählung. Ich spiele gerne ein Art Spiel mit dem Leser, messe meinen Verstand mit ihm. Das kann man nur mit Krimis, nirgendwo sonst. Es ist ein Wettstreit, ein gegenseitiger Test."

    Val McDermid hat mit jeder neuen Figur dazugelernt. Der Leser profitiert davon durch mehr Nervenkitzel, bessere Geschichten, aufregendere Plots.insofern scheint ihr nunmehr jüngster Krimi 'Ein Ort für die Ewigkeit' aus der Art zu schlagen, denn er beginnt sehr bedächtig und geruhsam, fast schon langatmig. Um so rasanter wird das Ende.

    In einem winzigen, abgeschiedenen Dorf in den Bergen des nördlichen Derbyshire verschwindet eines Tages ein Mädchen spurlos von der Bildfläche. Der junge Inspektor George Bennett setzt alles in Bewegung, um das vermisste Kind wiederzufinden. Nachdem er mühsellig das Misstrauen der störrischen Dorfbewohner überwunden hat, enthüllt sich ihm ein schockierendes Geheimnis. Das junge Mädchen wurde sexuell missbraucht. Viele Indizien sprechen dafür, daß der Täter- aus Angst vor Entdeckung das Mädchen umgebracht hat. Er wird daraufhin zum Tode durch den Strang verurteilt.

    "Der erste Teil des Buches soll ein true-crime-Geschichte sein. Also war es für mich notwendig, beim Leser das Gefühl zu erzeugen, er liest eine Art Dokumentation, und daß alles, was ich erzähle, wahr ist. 'Glaub mir, das ist wirklich passiert. So geht die Polizei vor.' So wiege ich ihn in falsche Sicherheit. Nur um ihm dann eins über den Schädel zu geben."

    Allerdings weiß man schon von Anfang an, daß irgendetwas nicht stimmt, denn die Journalistin, die sich hinter den alten aufgeklärten Fall klemmt, um ihn erneut aufzurollen, findet irn ehemaligen Aufklärer inspektor Bennett zwar einen willigen Zeugen, doch als ihr Buch fertig ist, verweigert der plötzlich seine Zustimmung zur Veröffentlichung. Was ist passiert? Ohne die Lösung des dramatischen Falls zu verraten, kann hier nur erwähnt werden, als daß sich der detailbesessene, überaus korrekte, vorurteilsfreie Polizist in einem entscheidenden Punkt tödlich geirrt hat. Das aber macht aus Val McDermids Roman auch ein beeindruckendes Plädoyer gegen die Todesstrafe - kein Zufall, wie die politisch engagierte Autorirl gerne bestätigt.

    "Es hat in diesem Land in letzter Zeit sehr viel Zorn und Empörung über Pädophilie und Kindesmissbrauch gegeben. Die Leute sagen, so jemand sollte umgebracht, gehängt, kastriert, lebenslang weggeschlossen werden. Der Innenminister hat vor kurzem sogar die Idee vertreten, daß Leute mit der Diagnose 'psychopathische Persönlichkeit' eingesperrt werden sollten und zwar bevor sie Oberhaupt irgendetwas angestellt haben, einfach nur weil sie Psychopathen sind. Mich beunruhigen solche Diskussionen sehr. Eigentlich sagen sie, daß die Gesellschaft, wir also, nicht wissen, wie man damit umgehen soll und darum geht es doch auch bei der Todesstrafe. Das Problem ist, wenn man einen Fehler macht, und wir sind Menschen und machen Fehler, dann kann man nicht zurückgehen und sagen, tut mir leid. Es ist ein Zeichen von Zivilisation, einen Weg zu finden, wie man mit der Kriminalität der Mitglieder unserer Gesellschaft umgeht. Ich möchte nicht, daß wir sagen, wir wissen nicht, wie wir darauf reagieren sollen. Darum schließen wir sie einfach weg."