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Ein Panorama von atemberaubender Hässlichkeit

Wenn auf einem Buchrücken der Konkret- und Titanic-Autor Gerhard Henschel zu lesen ist, kann und sollte man auf Provokantes gefasst sein. Seit jeher ist das Sammeln von Zitaten eine der größten Leidenschaften des 1962 geborenen Schriftstellers, bevorzugt solche, die aus den unterschiedlichsten Gründen politisch skandalös oder peinlich anmuten. Für sein neuestes Buch über den Konnex zwischen Antisemitismus und Sexualität hat es Henschel diesmal aber gründlich übertrieben.

Von Hubert Maessen |
    Bücher gibt es, denen begegnet man nicht nur mit Interesse, sondern mit Sympathie. "Neidgeschrei" von Gerhard Henschel ist solch ein Bonus-Kandidat, weil es beabsichtigt, in das bekanntlich finsterste Kapitel Deutschlands noch mehr Licht zu bringen - und davon kann Aufklärung nicht genug haben, solange das schon ausgerufene Ende der Geschichte vertagt ist.

    Die Ankündigung beziehungsweise die Anpreisung des Verlegers muss man in dem Fall auch nicht misstrauisch als die handelsübliche Übertreibung werten, denn der Verlag Hoffmann & Campe in Hamburg ist eins der besseren Häuser im Lande und neigt nicht zu platten Knalleffekten. Also, was soll das Buch?

    "Ein Buch über den aus sexuellem Neid geborenen Anteil des Antisemitismus, das nicht nur zeigt, welche - manchmal tödliche - Macht Fantasien entwickeln können, sondern auch vor Augen führt, wie sich in den Feindbildern einer Gesellschaft deren Mentalität widerspiegelt. Ein erhellender Blick in eine dunkle Geschichte.
    Eine wichtige, bislang wenig beachtete Erkenntnis wird hier belegt: Der sexuelle Neid bildet ein emotionales Hauptmotiv der Judenfeindschaft und hat von Anfang an aus ihren Zeugnissen gesprochen."


    Nanu! Hier stutzt der geneigte Leser: "Eine wichtige, bislang wenig beachtete Erkenntnis"!? Das kann doch wohl nicht sein. Die Verknüpfung von Herrschaft, von Unterdrückung und Sexualität, von Sexualneid und der sexuellen Denunziation als Waffe ist seit Olim in Tausenden von Untersuchungen, Büchern, Berichten, Essays etcetera dargelegt worden und kann von der heranwachsenden Jugend auf jedem besseren Prekariats-Schulhof praxisnah in Augenschein genommen und geübt werden.

    O-Ton, beispielsweise, mit den aus Schicklichkeitsgründen piependen Auslassungen: "Ey, du -Piepton- sohn, gestern hat mein Bruder deine Mutter piepton- und deine Schwester habe ich gestern in den -Piepton- -piepton-."

    Mit solch reizenden Demütigungen auf dem Platz ist ja wohl kürzlich eine Fußballweltmeisterschaft von den Italienern gewonnen worden, falls man den Franzosen um Zinédine Zidane glauben darf.

    Und all das ist ja auch längst theoretisch sattsam erkannt. Die 68er im Gefolge von Wilhelm Reich und Herbert Marcuse beispielsweise haben fast nichts so heftig zum Thema gemacht wie Sexualität und Politik, und zwar des Langen und des Breiten, von der Befreiung der Sexualität und mittels der Sexualität bis zur Unterdrückung des Volkes im Allgemeinen und der Frau im Besonderen. Hat seinerzeit nicht Klaus Theweleit mit seinen "Männerphantasien", vor aufs Jahr genau 30 Jahren, auf höchstem Niveau alles klar gemacht, was man zum Thema und seinen Metastasen weiß und wissen sollte? Was gibt es da Neues zu entdecken in den rund 200 Bücher-Quellen, die der Autor im geradezu monströsen 100-hundertseitigen Anmerkungs- und Registerapparat listet, notabene ein gutes Viertel des Buches ausmachend?

    Neues gibt es gar nicht. Im Gegenteil. Denn mit zunehmendem Entsetzen muss der eben noch geneigte Leser erfahren, dass der Autor nichts anderes vorlegt als ein Buch der schlimmen Stellen. Irgendwie hat er sich ein Sammelsurium der sexuellen Verleumdungen, dreckigen Phantasien, üblen und abartigen Denunziationen aus den Archivritzen zusammengekratzt, und präsentiert es voll Sammlerstolz mit einer Art locker-flockiger Moderation, natürlich mit einem kritisch-spöttisch-wissenden Hintergrundrauschen, denn der Konkret- und Titanic-Autor Henschel weiß ja, was sich gehört. Aber das wusste Bundestagspräsident Philipp Jenninger eigentlich auch, als er vor genau 20 Jahren seine Rede in den Sand setzte.

    Henschels Buch "Neidgeschrei" ist die verlängerte Jenninger-Rede. Wir wollen uns das mal kurz anhören, ohne es dem Autor gleich zu tun, der ohne jeden Erkenntnisgewinn noch das obskurste zu Recht längst vergessene primitive antisemitische Sudel-Pamphlet in ganzer absurder Widerlichkeit nacherzählt, ausgiebig zitiert und zu Headlines macht.

    "Die Sünde wider das Blut / Eine perverse Hurenbrut / Haremsluft, in der sie leben / Die "Schwarze Schmach" / Juden, die es einfach nicht lassen könnten, sich sexuell über Gebühr zu vergnügen, nichtjüdische Frauen zu verführen und die moralische Ordnung zu zerrütten. / Die Sage vom lüsternen Juden erfreut sich seit Jahrhunderten einer grenzüberschreitenden Beliebtheit. / Der schwarzhaarige Judenjunge lauert stundenlang, satanische Freude in seinem Gesicht, auf das ahnungslose Mädchen, das er mit seinem Blute schändet und dadurch seinem, des Mädchens Volke raubt."

    Falls Sie es nicht bemerkt haben sollten: der schwarzhaarige Judenjunge beschäftigte den Führer höchstpersönlich, hier kommt im "Neidgeschrei" also auch Adolf Hitler zu Wort. Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn Henschels Auswahlbuch der schlimmen Stellen nicht eine von allen guten Geistern verlassene Zitat-Suada wäre, ein Schwatzkästlein, aus dem sich die Glatzen bedienen können und bedienen werden. Denn es sind ja auch alle Beifänge des Jägers verlorener Zitate noch verwurstet: Also treten auf:

    Der potente Neger mit sagenhaftem Gemächt, der wie King Kong auf die weiße Frau loslegt, die Hottentottenfrauen mit von ausufernder Masturbation gedehnten Labien, die frivolen Franzmänner, Jamaicaner, triebhaft wie Paviane, der früh verkehrende und sich erschöpfende Mohammedaner, die Indianer, die Hunnen, die Mauren, es müssen ja alle sein, weil es überall immer die Anderen sind. Und das geht von Tacitus bis Martin Walser, von den Kirchenvätern bis zu den Grünen - dem Rechercheur ist nichts zu schwör.

    Erschöpft ist dann nicht nur der jung verheiratete Mohammedaner, noch vor dem Ende erschöpft ist auch der Leser, der sich durch das zusammengestoppelte Sammelgut quält. Das Buch ist nichts anderes als eine gut gefüllte Pandora-Büchse, und der Autor, dem außer Zitieren und gutgemeinten Begleittexten nicht viel einfällt, der verrät auch, wie er das Buch gemacht hat und wie es eben nicht geht, nicht nur bei einem solchen Thema nicht geht:

    "Führt man aber solche Quellenfunde in größerer Zahl zusammen und vermehrt den Zufluß um einschlägige Zitate aus der judenfeindlichen Literatur, von den Schriften der Kirchenväter bis zur antizionistischen Öffentlichkeitsarbeit der Islamisten, dann ergibt sich ein Panorama von geradezu atemberaubender Weite, Tiefenschärfe und Häßlichkeit."
    Ja, und so ist das Buch tatsächlich: Ein Panorama von atemberaubender Hässlichkeit, aber ohne weitere Tiefenschärfe. Verfehlt und überflüssig, um es freundlich zu sagen.


    Gerhard Henschel: Neidgeschrei. Antisemitismus und Sexualität
    Hoffmann und Campe Verlag, 25 Euro