Die Theaterstücke von Jean Genet, dem wohl berühmtesten französischen Dramatiker der Nachkriegszeit, werden in Frankreich immer noch intensiv diskutiert und erheblich häufiger gespielt als an deutschsprachigen Bühnen. Da sie eher unter die Rubrik Autorentheater fallen, haben sie in der Ära des deutschsprachigen Regietheaters für dieses ihre ursprüngliche Anziehungskraft offensichtlich verloren. Einen überraschenden Genet gab es jetzt in dem programmatisch anspruchsvollen Pariser Théâtre de la Cité Internationale mit "Elle", deutscher Titel "Sie", und dieser postum erschienene Einakter, auch in Frankreich selten gespielt, ist vielleicht sein witzigstes, sein heutigstes Theaterstück. Genet schrieb es 1955, zur selben Zeit wie "Der Balkon". 1990 fand die französische Erstaufführung statt; 1991 folgte ohne Echo die Erstaufführung in Deutschland. Den komödiantischen Reiz arbeitete die Neuinszenierung von Olivier Balazuc und Damien Bigourdan erfrischend heraus und öffnete damit den Blick für einen übermütigen Genet, ohne seine theatertheoretischen Stelzen.
Auf der Bühne ein monumentales goldenes Tor, wie in eine Wüste gestellt, so beschreibt Genet selber die Szene. Durch diese Pforte wird "Sie" kommen, Ihre Heiligkeit der Papst nämlich, auf Rollschuhen und nach dem Motto vorne hui, im weißen Ornat mit Tiara, und hinten pfui, mit nacktem Hintern. Auf der rechten Bühnenseite steht ein altmodischer Photoapparat, bedeckt mit einem schwarzen Tuch, unter dem sich gelegentlich der Photograph verkriecht. Er will für 15 Millionen Gläubige ein Bild des Papstes erjagen. Ein Türsteher, geschmückt mit silberner Kette, sitzt auf einem roten Sessel, den er herumdreht, um der Sessellehne eine Kaffeemaschine und zwei Tassen zu entnehmen. Schon die Ausstattung verweist auf eine "getürkte" Wirklichkeit, die auch die brüchige Existenz dieses Papstes charakterisiert. In dessen spöttisch-kritischer Selbstbeschreibung erkennt man übrigens deutlich den damaligen Dichterstar Genet selber. Nach ihrem Auftritt aber besteht Ihre Heiligkeit zunächst auf dem Recht an ihrer Leibhaftigkeit, hier, an diesem frühen Morgen, will sie sich ohne jedes Zeremoniell auf den Nachttopf setzen und scheißen dürfen. Der Photograph lässt sich von diesem bizarren Grobianismus nicht nur nicht schockieren, sondern von der bei Genet ungewohnten Sanftheit dieser Figur in deren Bann ziehen. In fünf "Gesängen" wird ihr Lebenslauf beschworen, die Metamorphose vom naiven jungen Schäfer zum blind angebeteten Hirten und die Verwandlung in ein leeres Image. Mit Trauer und Tränen besingen die morgendlichen Gefährten und Ihre Heiligkeit deren Aufstieg zum allmächtigen Idol als beispielhaften Weg der mediatisierten Existenz schlechthin. Die Regie lässt den Papst hierbei alle schauspielerischen Register ziehen, er psalmodiert als Schmierenkomödiant, nimmt mit Eleganz die Pose des Erleuchteten ein und pathetisch die des gütigen Segenspenders und demütigen Dieners. Aber - dieser Heilige Vater wäre am Ende lieber ein zum Verzehr bestimmtes Stück Zucker für seine Gläubigen statt einer Projektionsfläche. Der temperamentvollen Wandlungsfähigkeit der Schauspieler ist es zu danken, dass der Zuschauer die Suche nach der Wahrheit hinter allen Posen, allem ironischen Rollenspiel, plötzlich ernst nimmt und die poetische Unbefangenheit und Weitsicht heben den Text über jede Parodie eines religiösen Oberhaupts hinaus. Er verweist visionär auf unseren heutigen profanen Alltag, der ja maßgeblich von der Jagd nach dem Idol sowie von der Sehnsucht, selber eines zu werden geprägt ist. "Sie" könnte heute auch "Madonna" heißen. In der Aufführung wurde viel gelacht und zum Schluss gab es anhaltende Bravos.
Auf der Bühne ein monumentales goldenes Tor, wie in eine Wüste gestellt, so beschreibt Genet selber die Szene. Durch diese Pforte wird "Sie" kommen, Ihre Heiligkeit der Papst nämlich, auf Rollschuhen und nach dem Motto vorne hui, im weißen Ornat mit Tiara, und hinten pfui, mit nacktem Hintern. Auf der rechten Bühnenseite steht ein altmodischer Photoapparat, bedeckt mit einem schwarzen Tuch, unter dem sich gelegentlich der Photograph verkriecht. Er will für 15 Millionen Gläubige ein Bild des Papstes erjagen. Ein Türsteher, geschmückt mit silberner Kette, sitzt auf einem roten Sessel, den er herumdreht, um der Sessellehne eine Kaffeemaschine und zwei Tassen zu entnehmen. Schon die Ausstattung verweist auf eine "getürkte" Wirklichkeit, die auch die brüchige Existenz dieses Papstes charakterisiert. In dessen spöttisch-kritischer Selbstbeschreibung erkennt man übrigens deutlich den damaligen Dichterstar Genet selber. Nach ihrem Auftritt aber besteht Ihre Heiligkeit zunächst auf dem Recht an ihrer Leibhaftigkeit, hier, an diesem frühen Morgen, will sie sich ohne jedes Zeremoniell auf den Nachttopf setzen und scheißen dürfen. Der Photograph lässt sich von diesem bizarren Grobianismus nicht nur nicht schockieren, sondern von der bei Genet ungewohnten Sanftheit dieser Figur in deren Bann ziehen. In fünf "Gesängen" wird ihr Lebenslauf beschworen, die Metamorphose vom naiven jungen Schäfer zum blind angebeteten Hirten und die Verwandlung in ein leeres Image. Mit Trauer und Tränen besingen die morgendlichen Gefährten und Ihre Heiligkeit deren Aufstieg zum allmächtigen Idol als beispielhaften Weg der mediatisierten Existenz schlechthin. Die Regie lässt den Papst hierbei alle schauspielerischen Register ziehen, er psalmodiert als Schmierenkomödiant, nimmt mit Eleganz die Pose des Erleuchteten ein und pathetisch die des gütigen Segenspenders und demütigen Dieners. Aber - dieser Heilige Vater wäre am Ende lieber ein zum Verzehr bestimmtes Stück Zucker für seine Gläubigen statt einer Projektionsfläche. Der temperamentvollen Wandlungsfähigkeit der Schauspieler ist es zu danken, dass der Zuschauer die Suche nach der Wahrheit hinter allen Posen, allem ironischen Rollenspiel, plötzlich ernst nimmt und die poetische Unbefangenheit und Weitsicht heben den Text über jede Parodie eines religiösen Oberhaupts hinaus. Er verweist visionär auf unseren heutigen profanen Alltag, der ja maßgeblich von der Jagd nach dem Idol sowie von der Sehnsucht, selber eines zu werden geprägt ist. "Sie" könnte heute auch "Madonna" heißen. In der Aufführung wurde viel gelacht und zum Schluss gab es anhaltende Bravos.