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Ein Pionier der Kunstphilosophie

Der deutsch-amerikanische Medientheoretiker und Kunstpsychologe Rudolf Arnheim ist im Alter von 102 Jahren in den USA gestorben. Seine Forschungen auf dem Gebiet der ästhetischen Wahrnehmung und Gestaltung sind von grundlegender Bedeutung für die Wissenschaft.

Von Josef Schnelle | 10.06.2007
    "Mir ging es also darum, dass alles Denken von den Sinneserfahrungen abhängt. Das Seelische ist meinem Verständnis nach, was wir durch die Sinne erfahren. Denn wenn ein Mensch oder ein Tier oder auch eine Pflanze keine Sinneseindrücke hat, dann ist sie ja tot, dann kann sie ja nicht leben. Denn es gibt keinen anderen Hintergrund, als was wir durch die Sinne von der Natur empfangen."

    Schon mit brüchiger Stimmer als Rentner in Ann Arbour Michigan beschrieb Rudolf Arnheim 1999 noch einmal, mit welcher Überlegung fast 70 Jahre zuvor sein Journalisten- und Forscherleben begonnen hatte 1999, das war das Jahr, in den man sich in Deutschland noch einmal an Rudolf Arnheim erinnerte, nachdem er viele Jahre fast in Vergessenheit geraten war. Aus heiteren Himmel wurde ein Reihe von Universitätssymposien veranstaltet, eine Sonderbriefmarke der Bundespost kam heraus, und die Stadt Düsseldorf ehrte den damals 95-Jährigen mit dem Helmut-Käutner-Preis.

    Für eine große Reise nach Deutschland war er damals schon zu schwach. Deshalb wurde auf einer großen Videoleinwand die parallele Feierstunde in Ann Arbour übertragen. Diese kleine Familienfeier im "globalen Dorf" muss dem alten Herrn seltsam bekannt vorgekommen sein, hatte er doch schon in den 30er Jahren das Entstehen des "Rundfunkfilms" mit "lebendigen Aufführungen im Senderaum" vorausgesagt. Die Ehrung galt auch nicht seiner langen Akademiker-Karriere in den USA, sondern dem Verdienst, als einer der ersten erkannt zu haben, dass in dem neuen Medium Kino nicht nur billiger Kintopp steckte - vielmehr auch eine neue Kunstform. "Film als Kunst" nannte er deshalb seinen Theorieklassiker, der 1932 herauskam und erstmals die formalen Mittel des Films systematisch beschrieb.

    "Viele Filme aus der Zeit waren eigentlich sehr schockierend. Sie müssen auch bedenken, dass zu der Zeit die Regisseure und die Filmautoren eine viel größere Freiheit hatten, weil nämlich die Filmindustrie noch in ihren Windeln lag."

    Seine Erkenntnisse über das Filmmedium hatte sich Arnheim natürlich als eifriger Kinogänger erworben. Er schrieb Filmkritiken und landete bei der legendären Zeitschrift "Die Weltbühne". 1928 stellte ihn Carl von Ossietzky als Kulturredakteur ein, damit er trotz der Reisewut Kurt Tucholskys jeden Sonntag eine neue Ausgabe des Intelligenzblattes der Weimarer Republik herstellen konnte.

    Rudolf Arnheim schrieb die Filmkritiken und redigierte die Kulturartikel. Mit dem Florett focht die Zeitschrift auf allen Ebenen gegen den heraufziehenden "braunen Ungeist".

    "Ich muss sagen, dass wir eigentlich an die Bedrohung nicht glaubten bis fast zuletzt. Eigentlich fanden wir im Allgemeinen Hitler eine lächerliche Figur."

    Arnheim, Regimegegner und Jude, floh 1933 über die Stationen Italien und England in die USA. Dann - ein Emigrantenleben. In New York wurde er schon empfangen von seinem Mentor Max Wertheimer. Seine akademische Karriere begann mit hochgeachteten Beiträgen zur Psychologie der Kunst in New York, Harvard und Ann Arbour/Michigan.

    Das lärmende Kino Hollywoods hat ihn nicht mehr interessiert, dafür um so mehr die psychologischen Grundlagen der Architektur, der bildenden Kunst und der Alltagsästhetik. Sein letzter veröffentlichter Aufsatz galt der Computergrafik Sein letzter Gedanke galt der Form. Die gibt es auch, so Rudolf Arnheim 1999 wenn man über den Abschluss seines Lebens nachdenkt.

    "Ich weiß, dass ich meine letzten Jahre verbringe. Und was hauptsächlich jetzt in mir vorkommt, ist, wie ich denn einen guten Abschluss zu meinem Leben bringe."