Als Friedrich Christian Flick, ein Enkel des Firmengründers Friedrich Flick, vor Jahren in Berlin seine private Kunstsammlung der Öffentlichkeit präsentieren wollte, löste das Vorhaben eine heftige Kontroverse aus. Kritiker warfen ihm vor, das Geld zum Kauf der Bilder stamme aus dem Erbe seines Großvaters. Und dieser sei unter anderem durch die Arisierung jüdischen Eigentums und die Ausbeutung von Zwangsarbeitern reich geworden. Um die Debatte zu versachlichen, finanzierte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ein Forschungsprojekt des Instituts für Zeitgeschichte zur Rolle des Flick-Konzerns im Dritten Reich. Die mehr als 1000-seitige Studie erschien vor einem Jahr und zeichnete das schonungslose Bild eines Unternehmers, der bereitwillig und ohne moralische Bedenken mit dem NS-Regime kooperiert hatte.
Nahezu zeitgleich hatte damals auch Dagmar Ottmann, eine Enkelin Friedrich Flicks, eine weitergehende historische Untersuchung in Auftrag gegeben, nämlich eine Gesamtdarstellung des Hauses Flick von den Anfängen im Kaiserreich bis zur Auflösung des Konzerns in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts.
Das Ergebnis liegt nun vor – ein weiteres umfangreiches Werk von über 900 Seiten. Um möglichen Enttäuschungen vorzubeugen: Auch das neue Kompendium kann nicht jedes Detail der Flickschen Unternehmens- und Familiengeschichte ausleuchten. Denn den Historikern standen, wie Ralf Ahrens, einer der Autoren, einräumt, nicht alle Quellen zur Verfügung.
"Wir wissen nicht, ob es ein Familienarchiv gibt. Es gibt aber auch kein Flick-Konzernarchiv im Unterschied zu vielen anderen Unternehmen, die in den letzten 10, 15 Jahren in den bekannten Großprojekten untersucht worden sind, Dresdner Bank, Deutsche Bank, Daimler Benz, Volkswagen usw. Aus der Familie ist uns wiederholt signalisiert worden, dass da kein Interesse besteht, tiefer in die Angelegenheiten der Familie einzutauchen. Und das macht es so schwierig, eine Biografie im engeren Sinne Friedrich Flicks zu schreiben. Den Anspruch können auch wir nicht erheben. Friedrich Flick ist immer nur als Unternehmer in Erscheinung getreten."
Diskretion war eines der Prinzipien, die zu Friedrich Flicks Erfolg beitrugen. Interviews, öffentliche Auftritte und persönliche Stellungnahmen sind kaum überliefert, abgesehen von dem erzwungenen Erscheinen vor dem Nürnberger Militärtribunal im Jahr 1947. So konnten Unternehmensleitung und Familie jahrzehntelang die Legende vom fleißigen und bescheidenen Patriarchen verbreiten, ohne dass die Möglichkeit bestand, den Wahrheitsgehalt dieses Bildes zu überprüfen:
"Der sparsame, rund um die Uhr arbeitende, hart arbeitende Unternehmer, der seine preiswerte Zigarrenmarke Handelsgold raucht, Holzklasse fährt und aus dem Henkelmann Mittag isst. Es hat in gewisser Weise einen wahren Kern. Flick hat nie wirklich Freude am Luxus gehabt."
Allerdings widerspricht diesem Eindruck, dass sich Friedrich Flick Ende der 20er-Jahre an der Ruhr einen schlossartigen Bau mit 54 Zimmern errichten ließ, wohl nicht zuletzt, um mit den pompösen Wohnsitzen der Krupps und Thyssens konkurrieren zu können. Überliefert ist auch seine Natur- und Jagdbegeisterung, der er auf mehreren, in Deutschland verteilten Herrensitzen ungestört nachgehen konnte. Wie konnte der Sohn eines Bauern und Holzhändlers aus dem Siegerland zum Konzernherrn und Milliardär aufsteigen? Neben seiner unternehmerischen Kaltschnäuzigkeit habe Flick über enormes taktisches Geschick verfügt, meint Ralf Ahrens.
"Was Flick sehr früh lernt, schon im Ersten Weltkrieg, bei der Charlottenhütte im Siegerland, ist erstens sich zu bewegen in staatlich regulierten Wirtschaftszusammenhängen - wenn Sie an die Kontingentierung von Eisen und Stahl und anderen Gütern denken, die es ja schon im Ersten Weltkrieg gibt und nicht erst im Zweiten –, und zum andern ist es eine Technik des möglichst geräuschlosen Aktienaufkaufs. Flick schafft das Kunststück, heimlich die Aktien des Unternehmens aufzukaufen, das ihn als Manager angestellt hat."
Konkurrenten nannten Friedrich Flick in einer Mischung aus Respekt und Missgunst "das Genie der Geräuschlosigkeit". Um seine Aktiengeschäfte diskret abwickeln zu können, erkaufte Flick sich das Schweigen neugieriger Journalisten, die in seinem Umfeld brisantes Material sammelten. Überhaupt waren finanzielle Zuwendungen ein wichtiger Baustein seiner Unternehmensphilosophie. Ein Ermittlungsrichter, der in den 20er-Jahren wegen Betrugs gegen eine seiner Firmen ermittelte, gab sein Amt auf, weil er als Rechtsanwalt lukrative Aufträge von Flick bekam. Einen Funktionär des NS-Regimes, zuständig für Rüstungslieferungen, holte er in den Führungszirkel seines Konzerns. Mit Geld brachte der Konzernchef Kritiker zum Schweigen, mit Geld stimmte er Entscheidungsträger in Behörden und Politik gewogen.
"Flick ist berüchtigt für seine Spendenpraxis. Berüchtigt vor allem natürlich für seine Spenden erstens an die Nazis und zweitens dann in seinem Nachwirken sozusagen das, was dann die Parteispendenaffäre werden sollte, ausgelöst unter seinem Erben Friedrich Karl Flick in den 70er-Jahren. Zuallererst mal muss man aber konstatieren politischen Opportunismus und die Bereitschaft, grundsätzlich an alle Seiten zu zahlen, solange sie ihm nur irgendwie nutzen können."
Aus politischem Opportunismus trat Friedrich Flick 1937 der NSDAP bei. Trotzdem sei er kein "wirklicher Nazi" gewesen, so die Autoren, sondern zeitlebens ein Nationalliberaler. In der kenntnisreichen und akribischen Darstellung stellen die Historiker jedoch fest, dass Flick einer der größten Ariseure des Dritten Reiches war. Wie schon die Studie des Instituts für Zeitgeschichte kommt auch die jetzige Untersuchung zu dem Ergebnis, dass der Flick-Konzern sich skrupellos fremdes Eigentum einverleibte, bedenkenlos Zwangsarbeiter einsetzte und wie kaum ein anderes Unternehmen von nationalsozialistischem Unrecht profitierte.
Worte des Bedauerns fand Friedrich Flick nach 1945 nicht. Nicht ein Zwangsarbeiter seiner Betriebe erhielt eine Entschädigung.
"Da hat bis zum Schluss gegolten der bekannte Satz aus seinem eigenen Nürnberger Schlussstatement: Nichts wird uns davon überzeugen, dass wir Kriegsverbrecher gewesen sind. Sie finden diesen Mythos des zu Unrecht und symbolhaft angeklagten aufrechten, apolitischen Unternehmers dann auch in zwei Festschriften zu Flicks 70. und 80. Geburtstag, die im Konzern angefertigt werden für den internen Gebrauch."
"Unbeirrbar schritt Friedrich Flick über alle wirtschaftlichen und politischen Brüche des 20. Jahrhunderts hinweg, vorwärts, immer nur vorwärts", schreiben die Autoren. Auf der Strecke blieb dabei nicht zuletzt seine Familie. So ist die Geschichte des Hauses Flick auch eine Geschichte des Scheiterns. Vater und älterer Sohn stritten vor Gericht um das Erbe, der jüngere Sohn erwies sich als unwürdiger Nachfolger.
"Dieser Konzern soll auch ein Familienkonzern sein und bleiben, aber er soll erst in dem Moment überhaupt an einen Erben weitergehen, als Friedrich Flick selbst nun wirklich gar nicht mehr kann. Friedrich Flick baut seinen zweiten Konzern nach 45 in einem Alter auf, als andere schon in Rente gegangen sind. Friedrich Flick wollte herrschen, und da war zunächst mal kein Platz für Herrscher neben oder unter ihm. Und die Anforderungen an seine Söhne waren vielleicht ganz einfach zu hoch."
Am Ende lag der Konzern in Trümmern. Der Patriarch hatte es nicht vermocht, eine erfolgreiche Familiendynastie zu etablieren. Stattdessen steht der Name Flick vor allem für die Verstrickung der Wirtschaftselite in die Verbrechen des Nationalsozialismus sowie für den hemmungslosen Einsatz finanzieller Mittel, um politischen Einfluss zu gewinnen. Ein letztes Mal sorgte der Name Flick mit der sogenannten "Pflege der politischen Landschaft" und dem Vorwurf der "gekauften Bonner Republik" für Aufsehen. Der Konzern löste den größten Parteispendenskandal der Bundesrepublik aus und erschütterte nachhaltig die Glaubwürdigkeit der politischen Klasse.
Norbert Frei, Ralf Ahrens, Jörg Osterloh, Tim Schanetzky: "Flick. Der Konzern – die Familie - die Macht". Das Buch erscheint am Donnerstag im Karl Blessing Verlag, München. Es hat ca. 900 Seiten und kostet Euro 34, 95. Unser Rezensent war Otto Langels.
Nahezu zeitgleich hatte damals auch Dagmar Ottmann, eine Enkelin Friedrich Flicks, eine weitergehende historische Untersuchung in Auftrag gegeben, nämlich eine Gesamtdarstellung des Hauses Flick von den Anfängen im Kaiserreich bis zur Auflösung des Konzerns in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts.
Das Ergebnis liegt nun vor – ein weiteres umfangreiches Werk von über 900 Seiten. Um möglichen Enttäuschungen vorzubeugen: Auch das neue Kompendium kann nicht jedes Detail der Flickschen Unternehmens- und Familiengeschichte ausleuchten. Denn den Historikern standen, wie Ralf Ahrens, einer der Autoren, einräumt, nicht alle Quellen zur Verfügung.
"Wir wissen nicht, ob es ein Familienarchiv gibt. Es gibt aber auch kein Flick-Konzernarchiv im Unterschied zu vielen anderen Unternehmen, die in den letzten 10, 15 Jahren in den bekannten Großprojekten untersucht worden sind, Dresdner Bank, Deutsche Bank, Daimler Benz, Volkswagen usw. Aus der Familie ist uns wiederholt signalisiert worden, dass da kein Interesse besteht, tiefer in die Angelegenheiten der Familie einzutauchen. Und das macht es so schwierig, eine Biografie im engeren Sinne Friedrich Flicks zu schreiben. Den Anspruch können auch wir nicht erheben. Friedrich Flick ist immer nur als Unternehmer in Erscheinung getreten."
Diskretion war eines der Prinzipien, die zu Friedrich Flicks Erfolg beitrugen. Interviews, öffentliche Auftritte und persönliche Stellungnahmen sind kaum überliefert, abgesehen von dem erzwungenen Erscheinen vor dem Nürnberger Militärtribunal im Jahr 1947. So konnten Unternehmensleitung und Familie jahrzehntelang die Legende vom fleißigen und bescheidenen Patriarchen verbreiten, ohne dass die Möglichkeit bestand, den Wahrheitsgehalt dieses Bildes zu überprüfen:
"Der sparsame, rund um die Uhr arbeitende, hart arbeitende Unternehmer, der seine preiswerte Zigarrenmarke Handelsgold raucht, Holzklasse fährt und aus dem Henkelmann Mittag isst. Es hat in gewisser Weise einen wahren Kern. Flick hat nie wirklich Freude am Luxus gehabt."
Allerdings widerspricht diesem Eindruck, dass sich Friedrich Flick Ende der 20er-Jahre an der Ruhr einen schlossartigen Bau mit 54 Zimmern errichten ließ, wohl nicht zuletzt, um mit den pompösen Wohnsitzen der Krupps und Thyssens konkurrieren zu können. Überliefert ist auch seine Natur- und Jagdbegeisterung, der er auf mehreren, in Deutschland verteilten Herrensitzen ungestört nachgehen konnte. Wie konnte der Sohn eines Bauern und Holzhändlers aus dem Siegerland zum Konzernherrn und Milliardär aufsteigen? Neben seiner unternehmerischen Kaltschnäuzigkeit habe Flick über enormes taktisches Geschick verfügt, meint Ralf Ahrens.
"Was Flick sehr früh lernt, schon im Ersten Weltkrieg, bei der Charlottenhütte im Siegerland, ist erstens sich zu bewegen in staatlich regulierten Wirtschaftszusammenhängen - wenn Sie an die Kontingentierung von Eisen und Stahl und anderen Gütern denken, die es ja schon im Ersten Weltkrieg gibt und nicht erst im Zweiten –, und zum andern ist es eine Technik des möglichst geräuschlosen Aktienaufkaufs. Flick schafft das Kunststück, heimlich die Aktien des Unternehmens aufzukaufen, das ihn als Manager angestellt hat."
Konkurrenten nannten Friedrich Flick in einer Mischung aus Respekt und Missgunst "das Genie der Geräuschlosigkeit". Um seine Aktiengeschäfte diskret abwickeln zu können, erkaufte Flick sich das Schweigen neugieriger Journalisten, die in seinem Umfeld brisantes Material sammelten. Überhaupt waren finanzielle Zuwendungen ein wichtiger Baustein seiner Unternehmensphilosophie. Ein Ermittlungsrichter, der in den 20er-Jahren wegen Betrugs gegen eine seiner Firmen ermittelte, gab sein Amt auf, weil er als Rechtsanwalt lukrative Aufträge von Flick bekam. Einen Funktionär des NS-Regimes, zuständig für Rüstungslieferungen, holte er in den Führungszirkel seines Konzerns. Mit Geld brachte der Konzernchef Kritiker zum Schweigen, mit Geld stimmte er Entscheidungsträger in Behörden und Politik gewogen.
"Flick ist berüchtigt für seine Spendenpraxis. Berüchtigt vor allem natürlich für seine Spenden erstens an die Nazis und zweitens dann in seinem Nachwirken sozusagen das, was dann die Parteispendenaffäre werden sollte, ausgelöst unter seinem Erben Friedrich Karl Flick in den 70er-Jahren. Zuallererst mal muss man aber konstatieren politischen Opportunismus und die Bereitschaft, grundsätzlich an alle Seiten zu zahlen, solange sie ihm nur irgendwie nutzen können."
Aus politischem Opportunismus trat Friedrich Flick 1937 der NSDAP bei. Trotzdem sei er kein "wirklicher Nazi" gewesen, so die Autoren, sondern zeitlebens ein Nationalliberaler. In der kenntnisreichen und akribischen Darstellung stellen die Historiker jedoch fest, dass Flick einer der größten Ariseure des Dritten Reiches war. Wie schon die Studie des Instituts für Zeitgeschichte kommt auch die jetzige Untersuchung zu dem Ergebnis, dass der Flick-Konzern sich skrupellos fremdes Eigentum einverleibte, bedenkenlos Zwangsarbeiter einsetzte und wie kaum ein anderes Unternehmen von nationalsozialistischem Unrecht profitierte.
Worte des Bedauerns fand Friedrich Flick nach 1945 nicht. Nicht ein Zwangsarbeiter seiner Betriebe erhielt eine Entschädigung.
"Da hat bis zum Schluss gegolten der bekannte Satz aus seinem eigenen Nürnberger Schlussstatement: Nichts wird uns davon überzeugen, dass wir Kriegsverbrecher gewesen sind. Sie finden diesen Mythos des zu Unrecht und symbolhaft angeklagten aufrechten, apolitischen Unternehmers dann auch in zwei Festschriften zu Flicks 70. und 80. Geburtstag, die im Konzern angefertigt werden für den internen Gebrauch."
"Unbeirrbar schritt Friedrich Flick über alle wirtschaftlichen und politischen Brüche des 20. Jahrhunderts hinweg, vorwärts, immer nur vorwärts", schreiben die Autoren. Auf der Strecke blieb dabei nicht zuletzt seine Familie. So ist die Geschichte des Hauses Flick auch eine Geschichte des Scheiterns. Vater und älterer Sohn stritten vor Gericht um das Erbe, der jüngere Sohn erwies sich als unwürdiger Nachfolger.
"Dieser Konzern soll auch ein Familienkonzern sein und bleiben, aber er soll erst in dem Moment überhaupt an einen Erben weitergehen, als Friedrich Flick selbst nun wirklich gar nicht mehr kann. Friedrich Flick baut seinen zweiten Konzern nach 45 in einem Alter auf, als andere schon in Rente gegangen sind. Friedrich Flick wollte herrschen, und da war zunächst mal kein Platz für Herrscher neben oder unter ihm. Und die Anforderungen an seine Söhne waren vielleicht ganz einfach zu hoch."
Am Ende lag der Konzern in Trümmern. Der Patriarch hatte es nicht vermocht, eine erfolgreiche Familiendynastie zu etablieren. Stattdessen steht der Name Flick vor allem für die Verstrickung der Wirtschaftselite in die Verbrechen des Nationalsozialismus sowie für den hemmungslosen Einsatz finanzieller Mittel, um politischen Einfluss zu gewinnen. Ein letztes Mal sorgte der Name Flick mit der sogenannten "Pflege der politischen Landschaft" und dem Vorwurf der "gekauften Bonner Republik" für Aufsehen. Der Konzern löste den größten Parteispendenskandal der Bundesrepublik aus und erschütterte nachhaltig die Glaubwürdigkeit der politischen Klasse.
Norbert Frei, Ralf Ahrens, Jörg Osterloh, Tim Schanetzky: "Flick. Der Konzern – die Familie - die Macht". Das Buch erscheint am Donnerstag im Karl Blessing Verlag, München. Es hat ca. 900 Seiten und kostet Euro 34, 95. Unser Rezensent war Otto Langels.