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Ein "politisches Reflektorium" für Deutschland?

Karin Fischer: Deutschland bekommt ein neues Politik-Magazin, es heißt "Cicero", ist ab Donnerstag am Kiosk zu haben und wird vom Schweizer Ringier-Konzern, der es finanziert, als die "erste Innovation auf dem Markt der politischen Magazine" gepriesen. Seinen Namen hat das mit 150 Seiten in mehrfachem Sinne schwergewichtige neue Blatt von ebenjenem streitbaren und auch erfolgreichen römischen Konsul, der nicht nur Staatsmann und Anwalt, sondern vor allem ein toller Redner und kluger Philosoph war. Bei "Cicero" steht Cicero jedenfalls für den gewandten Rhetor und den leidenschaftlichen Verfechter einer "res publica", der man heute, so liest man es zwischen den Zeilen des Magazins, wieder zu ihrem Recht verhelfen muss. Frage an den Herausgeber und Chefredakteur Wolfram Weimer, wie geht das - was ist Cicero?

Gespräch mit Cicero-Herausgeber Wolfram Weimer |
    Weimer: Zunächst einmal ist Cicero das erste politische Magazin aus Berlin. Wir haben 14 Jahre nach dem fall der Mauer ja den ungewöhnlichen Zustand, dass es keine meinungsbildende Zeitschrift aus der Hauptstadt gibt. Zum anderen ist Cicero ein reflektorisches politisches Magazin, das ist ein Genre, das es in Deutschland gar nicht gibt. Wir haben in Amerika Atlantic Monthly, den New Yorker, in England den Spectator, The Nation, in Frankreich Nouvelle Observateur - also eine Kultur politisch intellektueller Magazine und in Deutschland haben wir das nicht. Und da glaube ich, dass die deutsche politische Kultur nicht ärmer ist. Insofern importieren wir ein stückweit auch diese Idee, aber wir knüpfen zugleich auch an eine Tradition an, denn diese Kultur gab es in Deutschland in den 20erjahren sehr reich. In der Weimarer Republik gab es eine Fülle von politisch intellektuellen Magazinen: Hochland, die Fackel, auch Kurt Tucholskys Weltbühne und die Nationalsozialisten haben die alle verboten und die Kultur hat sich nie wieder belebt und ist eigentlich erst jetzt durch die Hauptstadtwerdung und die metropolitane Selbstfindung Berlins wieder ein schönes Gefäß dafür.

    Fischer: Sie haben damit natürlich die Latte sehr hoch gehängt und gleich fürs erste Heft auch eine beeindruckende Liste von Mitarbeitern vorzuweisen. Von Arthur Miller und Umberto Eco über Gesine Schwan und vielleicht überraschend Rudolf Scharping und natürlich fehlen nicht die Interviews mit Horst Köhler und dem Bundeskanzler. Aber ist das denn schon eine Agenda-Setting oder nicht eher so etwas wie ein "anything goes"? Was Köhler sagt, hätte er jeder Tageszeitung auch erzählt.

    Weimer: Wir sind ein Autorenmagazin, das heißt, wir laden Akteure, Politiker, Intellektuelle und Publizisten ein, herein zu treten in einen gedruckten Salon. Wir wollen unterschiedliche Meinungen, es ist kein Richtungsmagazin, sondern eines, was die Debatte eröffnen will, was den Meinungsstreit liebt. Wir laden Linke wie Konservative, Wirtschaftsliberale ein, miteinander um zentrale Fragen der Zeit zu streiten. Es geht uns nicht um esoterische Erkenntnisse, nicht um eine intellektuelle Nische sondern um die großen Fragen der Republik. Und da gehört es eben auch dazu, dass man den Bundeskanzler direkt befragt: wie geht es weiter mit ihm, mit Deutschland und auch den kommenden Bundespräsidenten befragt, der ja bisher auch etwas widersprüchliche Ansichten von sich gegeben hat und mal hinter die Kulissen schaut. Was macht diesen Mann aus, was ist sein Wertekanon, wie ist er geprägt und was will er mit diesem Amt anfangen, denn er ist ja in Deutschland noch relativ unbekannt. Insofern eröffnet dieses Interview ein schönes Feld.

    Fischer: Sie haben vorher gesagt, es soll keine vorgegebene Richtung geben. Für den Aufbruch im Denken ist ihr eigener kleiner Essay am Schluss des Bandes ja aber sehr pessimistisch geraten. Er handelt von zu viel Ironie in einem Land mit zu viel falschen Rhetoren, könnte man vielleicht sagen, in dem Äußerlichkeit, Oberflächlichkeit, Uneigentlichkeit auch im Sprechen und Denken herrschen statt eben dieser Sinn für die res publica. Fürchten Sie nicht, dass Sie mit genau den Menschen, die an dieser Oberflächlichkeit im Alltag, sprich Politiker, tagtäglich mitwirken, jetzt sozusagen die andere Seite formieren wollen und kann das denn gut gehen?

    Weimer: Ich glaube, dass in der Krise, in der dieses Land und unser politisches System steckt und übrigens auch die Medien, die Antwort nicht lauten kann: Sparen, Boulevardisierung des öffentlichen Denkens und Nutzwertjournalismus. Wir versuchen das Gegenteil. Wir investieren, machen einen Salon auf und setzen auf Denkwert. Es gibt so etwas Emblematisches wie eine neue Ernsthaftigkeit. Da wird im Moment viel drüber geredet, es ist aber auch viel wahres dran. Nach dem großen Spaßjahrzehnt, dem ökonomisch überbordenden Kapitalismus der 90erjahre haben wir seit dem 11. September, mit der Weltwirtschaftskrise, mit unseren politischen Verwerfungen wieder ernste Fragen auf der Tagesordnung. Wir reden über Krieg, Terrorismus, Weltwirtschaftskrise. Dinge, an die wir vor fünf Jahren nie gedacht hätten. Insofern fügt sich Cicero ein in die ernste Betrachtung von großen relevanten Themen und ist ein Stück Gegenmodell zum Firlefanz der Talkshowgesellschaft.