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"Ein Pollock mit Echtheitssiegel ist Millionen wert"

Werke von US-Künstlern des Abstrakten Expressionismus - Pollock, Rothko, Motherwell - sollen gefälscht sein. Die Echtheit wurde offenbar nicht geprüft. US-Gutachter weigern sich seitdem, Expertisen abzugeben, sagt Journalistin Sacha Verna - aus Angst, die Besitzer könnten gegen das Ergebnis klagen.

11.07.2012
    Stefan Koldehoff: Der Fall Beltracchi in Deutschland. Gefälschte Picassos und gefälschte Picasso-Expertisen gerade diese Woche in Spanien. Und in den USA gibt es seit Kurzem Prozesse wegen einer Reihe von Werken von Künstlern des Abstrakten Expressionismus – Pollock, Rothko, Motherwell –, bei denen auch nicht alles in Ordnung zu sein scheint. Sie alle kamen über die einst angesehene, inzwischen ganz plötzlich geschlossene New Yorker Galerie Knoedler in Umlauf. In den USA haben dieser und andere Kunstfälschungsskandale nun – anders als hier bei uns in Europa – einschneidende Konsequenzen, und über die will ich mit Sacha Verna in New York sprechen. Verschiedene Experten und Künstlernachlässe weigern sich nämlich inzwischen, noch Gutachten auszustellen. Frau Verna, zunächst mal aber: Welche Rolle haben denn die Experten im Fall Knoedler gespielt?

    Sacha Verna: Na ja, das Merkwürdige ist eben, dass diese Experten erst jetzt anfangen, eine Rolle zu spielen; denn bis die Klagen eingereicht wurden, das heißt, bis jemand an der Provenienz der Werke zu zweifeln begann, wurden keine Gutachter hinzugezogen, und genau dieses Versäumnis wirft man der Knoedler-Gallery jetzt eben vor.

    Koldehoff: Das heißt, bisher ist auch beispielsweise kein Geld geflossen für Expertisen? Hier in Deutschland hatten wir ja den Fall, dass beispielsweise Werner Spies, der bis dahin große Experte für Max Ernst, für die Expertise zu sieben gefälschten - wie sich hinterher herausstellte -, Bildern 400.000 Euro plus X kassiert hat. Ist es in den USA auch üblich, dass Experten für ihre Gutachten hohe Summen kassieren?

    Verna: Nun, es kommt darauf an, an wen Sie sich wenden. Die meisten Nachlässe namhafter Künstler verfügen ja über Expertenkomitees, die die Werke authentifizieren. Daneben gibt es unabhängige Prüfungsinstitute wie die International Foundation for Art Research und es gibt eben private Gutachter, wie ein Herr Spies einer gewesen ist – meistens sind das Kunsthistoriker oder eben Kuratoren. Nun ist das Erstellen von Gutachten ja häufig mit Aufwand verbunden. Es geht nicht nur darum zu sagen, ach ja, also diese Tropfen, die scheinen mir nicht ganz Pollock-artig, die sind mir verdächtig, sondern es muss zum Beispiel das Alter von Farben festgestellt werden, von Leinwänden, vom Holz des Rahmens und so weiter. Dieser Aufwand muss bezahlt werden, und der wird bezahlt – auch in den USA. Aber es ist nicht so, dass hier die Experten sich eine goldene Nase verdienen, indem sie ein Werk für echt erklären, sodass es ihr Klient für viele Millionen verkaufen kann und sie dann eine entsprechend hohe Provision kassieren. Im Gegensatz zu Deutschland kann ein Experte im Fall eines Irrtums in den USA nämlich vor Gericht gezogen werden.

    Koldehoff: Da schließt sich dann natürlich die Frage an: Welche Konsequenzen hatte der Fall Knoedler oder hat der Fall in den USA? Gibt es eine Debatte über Experten, über Expertisen?

    Verna: Ganz massiv. Es ist nämlich inzwischen so, dass gewisse Nachlässe, darunter die Warhol Foundation, die Roy Lichtenstein Foundation und das Isamu Noguchi Museum sich weigern, Gutachten abzugeben. Das gilt auch für private und unabhängige Gutachter. Angst haben die aber nicht etwa davor, dass sie sich irren könnten, sondern davor, dass ihr Gutachten dem Besitzer eines Werkes schlicht missfällt und der sie deshalb verklagt, denn die Besitzer wollen natürlich, dass ihr Werk für echt befunden wird. Ein Pollock mit Echtheitssiegel ist Millionen wert, einer ohne gar nichts. Da geht es um millionenschwere Klagen, die sich die Betreffenden schlicht nicht leisten können. Wobei, wenn ich das noch anfügen darf, es auch hier mindestens einen Gewinner gibt, nämlich die Versicherungen. Die haben einen neuen Geschäftszweig entdeckt und bieten Kunstexperten inzwischen eine Police gegen genau solche Klagen an.

    Koldehoff: Mit der Bitte um ganz kurze Antwort, Frau Verna: Was machen Sie denn jetzt, wenn Sie Ihren eigenen Pollock, der wahrscheinlich in Manhattan im Appartement über dem Sofa hängt, verkaufen wollen? Haben Sie überhaupt noch eine Chance, eine Echtheits-Expertise zu bekommen?

    Verna: Man kriegt schon noch Expertisen, und ich meine, die Lösung des Problems würde darin bestehen, dass man die Leute, die etwas davon verstehen, unabhängig von monetären Interessen ihre Arbeit machen lässt. Es ist nämlich in der Tat verhängnisvoll, wenn Sachverständigen ein Maulkorb verpasst wird - einerseits natürlich für den Kunstmarkt, aber vor allem auch für die Wissenschaft. Denn zum Beispiel sind zahlreiche Nachlassverwalter dazu übergegangen, Werkverzeichnisse, diese definitiven Bibeln der bekannten und anerkannten Werke eines Künstlers, zu "Work in progress" zu erklären und die dann a la Wikipedia ins Internet zu stellen, sodass jeder seinen Senf dazugeben kann. Damit geht der Wissenschaft ein wichtiges Arbeitsmittel verloren, und ich würde sagen, es zeigt sich hier einfach wieder einmal diese Apotheose des Relativismus und natürlich vor allem die Macht des Geldes, die wirklich in jeden Bereich vordringt. Dies scheinen Zeichen der Zeit zu sein und mit denen muss man sich wohl abfinden.

    Koldehoff: Sacha Verna - vielen Dank! – über die Krise der Kunstexperten in den USA.