Er gibt sich so wie eh und je. Mißtrauen, Sarkasmus und Neugier halten sich die Waage, wenn Slawomir Mrozek auftritt - besonders dann, wenn er ein Pressegespräch führt. Interviews seien, so Mrozek, nichts weiter als ein Akt der Loyalität gegenüber den Verlagen. Der Diogenes-Verlag hat soeben Mrozeks Gesammelte Werke abgeschlossen - und das, so muß man hinzufügen, fast schon in aller Stille. Schließlich war Slawomir Mrozek der Liebling des europäischen Theaters der sechziger und siebziger Jahre - im westlichen Deutschland der meistgespielte polnische Dramatiker, und auf ostdeutschen Studiobühnen ebenso geschätzt. Seinen Rang erwarb er sich als Meister des Absurden - in Stücken wie "Polizei", "Striptease" oder "Die Emigranten". Vor allem aber mit "Tango" hatte er den Nerv der Zeit getroffen. Eine kaputte Familiengeschichte als Modell der politischer Herrschaft unserer Zeit: Die Eltern: Avangardisten, die die Welt aus den Angeln gehoben haben; Sohn Artur: ein Mann der Konterrevolution, der totalitären Aufruhr gegen die Alten inszeniert, während sich am Ende ganz frei von Ideologie der Machtinstinkt des Familienlakaien Edek durchsetzt. Den Stückeschreiber bewunderte man vor allem für die gnadenlose Konsequenz seiner nur scheinbar absurden Handlungen.
Mrozek, der - seit 1963 fern der polnischen Heimat - erst durch durch Italien zog, dann in Frankreich und Mexiko Quartier nahm, ist eine lebende Legende, die in Vergessenheit zu geraten droht. Im Bonner Literaturhaus beschäftigt er sich mit einer Erdbeere und wehrt Blicke in die Vergangenheit ab. Der Autor:
"Wissen Sie, ich mag keine Erinnerungen, ich mag es nicht, zu ihnen zurückzukehren. Das interessiert mich nicht. Mich interessiert, was in diesem Augenblick passiert. Wer ich in diesem Augenblick bin, was ich in diesem Augenblick zu tun habe oder allenfalls in fünf Minuten oder in einem halben Jahr. Das ist schon das Maximum. Also habe ich nicht die geringste Lust, nicht das geringste Bedürfnis und auch nicht die geringste Fähigkeit, mich an irgend etwas zu erinnern."
Immerhin dürfen wir uns erinnern. Zumal der jüngste aller Bände seiner Gesammelten Werke zum frühen Mrozek zurückführt, diesmal zum Geschichtenerzähler der sechziger Jahre. "Der Doppelgänger" lautet der Titel. Der Doppelgänger durfte den Tyrannen lange Zeit hindurch bei weniger wichtigen Staatsgeschäften vertreten. Gerade genießt er seine wohlverdiente Ruhe, als ihn die Nachricht vom Tod Tyrannen erreicht - und vom angeblichen Ende der Tyrannei, welches die alten und neuen Berater ausgerufen haben. Der Doppelgänger soll, so erklären diese Berater, unsichtbar werden, um das Volk nicht beim Genuß der Freiheit zu stören. So heisst es im Text:
"Wir erklären es dir zum letztenmal. Du warst ihm ähnlich und hast ihm gedient, als man es dir befahl. Daraus macht dir niemand einen Vorwurf. Aber jetzt haben sich die Zeiten geändert; es wird keine Ausbeutung mehr geben und keine Ungerechtigkeit. Und deine Fresse sieht aus wie die vergangene Zeit. Man braucht nur hineinzuschauen, und schon möchte man die Hacken zusammenreißen."
Mrozek hat als Erzähler, nicht als Dramatiker, ersten Ruhm erworben. Das war 1957 in Krakau. Mitten ins polnische Tauwetter der Gomulka-Ära plazierte er den "Elephanten" und andere satirische Erzählungen. Seither führt er die Welt in gadenloser Konseqzenz und gern im nüchternen Kanzleistil ad absurdum. Den frühen literarischen Erfolgen voran gingen nur einige Hochschulstudien und eine kurze Karriere als Journalist in den frühen fünfziger Jahren. Es paßt zu Mrozek, daß er über dieses - gemeinhin als peinlich empfundene - Kapitel seiner Biograpie genauer Auskunft gibt, als über die Zeiten späteren Ruhms. Dazu Mrozek:
Ja, ich war Journalist, als ich zwanzig, zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig Jahre alt war. Aber die Aussage: "Ich war Journalist" im Blick auf die Stalin-.Ära ergibt überhaupt keinen Sinn. Denn niemand war Journalist. Alle waren Mitarbeiter der Propaganda. Ich war auch ein Mitarbeiter der Propaganda, und, selbstverständlich, war ich davon überzeugt, daß das gut sei. Die ganze Sprache, die Bedeutung der Worte wurde damals verfälscht. Der Sejm, das Parlament war kein Parlament, obwohl er Sejm genannt wurde, Polen war nicht Polen, obwohl es so hieß. Denn es war nicht unabhängig, obwohl es sich als unabhängig bezeichnete und so weiter und so weiter... Ich war ideologisch überzeugt: zwei, drei, vielleicht vier Jahre lang. Mein literarisches Debüt fällt erst in das Jahr 1954, als ich bereits meinen Rücktritt eingereicht hatte, als ich schon kein Pseudojournalist mehr war, sondern ein "Freelancer".
Das ist er auch heute, nachdem er sich Mitte der neunziger Jahre und nach dreiunddreißig Jahren Exil (zuletzt auf einer einsamen Ranch in Mexiko) wieder in seiner früheren Heimatstadt Krakau niedergelassen hat. Wenn Mrozek nämlich nicht gerade an einem neuen Stück arbeitet, schreibt er für die polnische Presse - als Pauschalist. Wer die führende polnische Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" aufschlägt, kann jederzeit auf Mrozek stoßen. Zum Beispiel so:
"Genug: Das Streben nach Vollkommenheit erschöpft mich, ohne irgend etwas zu ändern. Die Vollkommenheit ist eine Idee. Aber keine Idee kann erreicht, das heißt in die Wirklichkeit umgesetzt werden, weil sie dann aufhört, Idee zu sein. Zwischen Idee und Wirklichkeit klafft ein ewiger, unüberbrückbarer Abgrund. Fertig."
Oder man entdeckt zwischen Nachrichten aus dem politischen und wirtschaftlichen Leben diesen Aphorismus:
"Vorsicht beim Erlaß von Schuld. Denn wenn wir uns gegenseitig alle Schulden erlassen, könnte es passieren, daß zwischen uns nichts mehr bleibt." Der Autor weiter:
"Die Umstände sind sehr prosaisch. Ich habe einen Vertrag mit der "Gazeta Wyborcza", eine Vereinbarung, Feuilletons zu schreiben. Das heißt, ich sollte regelmäßig ein Feuilleton abliefern. Aber oft weiß ich weder, worüber ich ein Feuilleton noch wie ich ein Feuilleton schreiben sollte. Und da ist es dann für mich einfacher, eine Druckseite mit Aphorismen zu füllen, da kann man dann größere Zeilenabstände nehmen. Und so schreibe ich eine Seite oder sogar zwei, und schon habe ich meinen Vertrag erfüllt. Das ist kein Masochismus. Das ist mein Selbsterhaltungstrieb. Es ist für mich wichtig, regelmäßig etwas zu tun. Und da man nicht ununterbrochen Theaterstücke schreiben kann, habe ich den Vertrag über diese Feuilletons abgeschlossen. Das ist nicht gerade meine Spezialität, aber es zwingt mich dazu, regelmäßig zu schreiben."
Während man Mrozek hierzulande erst wieder ins Gedächtnis rufen muß, ist er in seiner neuen, alten polnischen Heimat ganz und gar präsent. Egal ob im Krakauer Theater oder in der überregionalen Tagespresse. Mrozek schwebt nicht über dem Leben - er steckt mitten drin. So scheint es, allerdings nur solange, bis er auch diesen Eindruck dementiert. Denn vor allem - räumt er ein - sei sein Leben doch geprägt von der Distanz zum Leben:
"Wenn man dreiundreißig Jahre außerhalb Polens gelebt hat und dann zurückkehrt, ist es unmöglich, keine Distanz zu haben. Ich gehöre keiner Gruppe an, denn ich habe noch nie im Leben einer Gruppe angehört, weder während meiner Emigration noch vor der Emigration. Das entspricht nicht meiner Gemütslage. Kennen Sie die Oper "Porgy and Bess" - sie ist wohl von Gershwin. Es gibt dort so ein Lied: Der, der es singt, ist ein Zyniker und erschüttert auf ironische Art biblische Wahrheiten. Der Refrain dieses Lieds lautet: "It’s not necessary at all". Zum Beispiel: Jonas reiste im Bauch des Wals: "It’s not necessary at all". Und wenn man dreiundreißig Jahre nicht an dem Ort war, wo man geboren wurde und heranwuchs, und dann kehrt man zurück, da glaubt man ganz einfach daran, daß das jetzt eine andere Wirklichkeit ist. Ich engagiere mich nicht, ich sehe nur die Relativität dessen, was den Menschen, die immer an diesem Ort leben, absolut vorkommt, was ihnen emotional wertvoll und bedeutend erscheint. Und so habe ich im Moment das Gefühl: "It’s not necessary at all". Das heißt, es könnte alles auch ganz anders sein."
Mrozek, der - seit 1963 fern der polnischen Heimat - erst durch durch Italien zog, dann in Frankreich und Mexiko Quartier nahm, ist eine lebende Legende, die in Vergessenheit zu geraten droht. Im Bonner Literaturhaus beschäftigt er sich mit einer Erdbeere und wehrt Blicke in die Vergangenheit ab. Der Autor:
"Wissen Sie, ich mag keine Erinnerungen, ich mag es nicht, zu ihnen zurückzukehren. Das interessiert mich nicht. Mich interessiert, was in diesem Augenblick passiert. Wer ich in diesem Augenblick bin, was ich in diesem Augenblick zu tun habe oder allenfalls in fünf Minuten oder in einem halben Jahr. Das ist schon das Maximum. Also habe ich nicht die geringste Lust, nicht das geringste Bedürfnis und auch nicht die geringste Fähigkeit, mich an irgend etwas zu erinnern."
Immerhin dürfen wir uns erinnern. Zumal der jüngste aller Bände seiner Gesammelten Werke zum frühen Mrozek zurückführt, diesmal zum Geschichtenerzähler der sechziger Jahre. "Der Doppelgänger" lautet der Titel. Der Doppelgänger durfte den Tyrannen lange Zeit hindurch bei weniger wichtigen Staatsgeschäften vertreten. Gerade genießt er seine wohlverdiente Ruhe, als ihn die Nachricht vom Tod Tyrannen erreicht - und vom angeblichen Ende der Tyrannei, welches die alten und neuen Berater ausgerufen haben. Der Doppelgänger soll, so erklären diese Berater, unsichtbar werden, um das Volk nicht beim Genuß der Freiheit zu stören. So heisst es im Text:
"Wir erklären es dir zum letztenmal. Du warst ihm ähnlich und hast ihm gedient, als man es dir befahl. Daraus macht dir niemand einen Vorwurf. Aber jetzt haben sich die Zeiten geändert; es wird keine Ausbeutung mehr geben und keine Ungerechtigkeit. Und deine Fresse sieht aus wie die vergangene Zeit. Man braucht nur hineinzuschauen, und schon möchte man die Hacken zusammenreißen."
Mrozek hat als Erzähler, nicht als Dramatiker, ersten Ruhm erworben. Das war 1957 in Krakau. Mitten ins polnische Tauwetter der Gomulka-Ära plazierte er den "Elephanten" und andere satirische Erzählungen. Seither führt er die Welt in gadenloser Konseqzenz und gern im nüchternen Kanzleistil ad absurdum. Den frühen literarischen Erfolgen voran gingen nur einige Hochschulstudien und eine kurze Karriere als Journalist in den frühen fünfziger Jahren. Es paßt zu Mrozek, daß er über dieses - gemeinhin als peinlich empfundene - Kapitel seiner Biograpie genauer Auskunft gibt, als über die Zeiten späteren Ruhms. Dazu Mrozek:
Ja, ich war Journalist, als ich zwanzig, zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig Jahre alt war. Aber die Aussage: "Ich war Journalist" im Blick auf die Stalin-.Ära ergibt überhaupt keinen Sinn. Denn niemand war Journalist. Alle waren Mitarbeiter der Propaganda. Ich war auch ein Mitarbeiter der Propaganda, und, selbstverständlich, war ich davon überzeugt, daß das gut sei. Die ganze Sprache, die Bedeutung der Worte wurde damals verfälscht. Der Sejm, das Parlament war kein Parlament, obwohl er Sejm genannt wurde, Polen war nicht Polen, obwohl es so hieß. Denn es war nicht unabhängig, obwohl es sich als unabhängig bezeichnete und so weiter und so weiter... Ich war ideologisch überzeugt: zwei, drei, vielleicht vier Jahre lang. Mein literarisches Debüt fällt erst in das Jahr 1954, als ich bereits meinen Rücktritt eingereicht hatte, als ich schon kein Pseudojournalist mehr war, sondern ein "Freelancer".
Das ist er auch heute, nachdem er sich Mitte der neunziger Jahre und nach dreiunddreißig Jahren Exil (zuletzt auf einer einsamen Ranch in Mexiko) wieder in seiner früheren Heimatstadt Krakau niedergelassen hat. Wenn Mrozek nämlich nicht gerade an einem neuen Stück arbeitet, schreibt er für die polnische Presse - als Pauschalist. Wer die führende polnische Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" aufschlägt, kann jederzeit auf Mrozek stoßen. Zum Beispiel so:
"Genug: Das Streben nach Vollkommenheit erschöpft mich, ohne irgend etwas zu ändern. Die Vollkommenheit ist eine Idee. Aber keine Idee kann erreicht, das heißt in die Wirklichkeit umgesetzt werden, weil sie dann aufhört, Idee zu sein. Zwischen Idee und Wirklichkeit klafft ein ewiger, unüberbrückbarer Abgrund. Fertig."
Oder man entdeckt zwischen Nachrichten aus dem politischen und wirtschaftlichen Leben diesen Aphorismus:
"Vorsicht beim Erlaß von Schuld. Denn wenn wir uns gegenseitig alle Schulden erlassen, könnte es passieren, daß zwischen uns nichts mehr bleibt." Der Autor weiter:
"Die Umstände sind sehr prosaisch. Ich habe einen Vertrag mit der "Gazeta Wyborcza", eine Vereinbarung, Feuilletons zu schreiben. Das heißt, ich sollte regelmäßig ein Feuilleton abliefern. Aber oft weiß ich weder, worüber ich ein Feuilleton noch wie ich ein Feuilleton schreiben sollte. Und da ist es dann für mich einfacher, eine Druckseite mit Aphorismen zu füllen, da kann man dann größere Zeilenabstände nehmen. Und so schreibe ich eine Seite oder sogar zwei, und schon habe ich meinen Vertrag erfüllt. Das ist kein Masochismus. Das ist mein Selbsterhaltungstrieb. Es ist für mich wichtig, regelmäßig etwas zu tun. Und da man nicht ununterbrochen Theaterstücke schreiben kann, habe ich den Vertrag über diese Feuilletons abgeschlossen. Das ist nicht gerade meine Spezialität, aber es zwingt mich dazu, regelmäßig zu schreiben."
Während man Mrozek hierzulande erst wieder ins Gedächtnis rufen muß, ist er in seiner neuen, alten polnischen Heimat ganz und gar präsent. Egal ob im Krakauer Theater oder in der überregionalen Tagespresse. Mrozek schwebt nicht über dem Leben - er steckt mitten drin. So scheint es, allerdings nur solange, bis er auch diesen Eindruck dementiert. Denn vor allem - räumt er ein - sei sein Leben doch geprägt von der Distanz zum Leben:
"Wenn man dreiundreißig Jahre außerhalb Polens gelebt hat und dann zurückkehrt, ist es unmöglich, keine Distanz zu haben. Ich gehöre keiner Gruppe an, denn ich habe noch nie im Leben einer Gruppe angehört, weder während meiner Emigration noch vor der Emigration. Das entspricht nicht meiner Gemütslage. Kennen Sie die Oper "Porgy and Bess" - sie ist wohl von Gershwin. Es gibt dort so ein Lied: Der, der es singt, ist ein Zyniker und erschüttert auf ironische Art biblische Wahrheiten. Der Refrain dieses Lieds lautet: "It’s not necessary at all". Zum Beispiel: Jonas reiste im Bauch des Wals: "It’s not necessary at all". Und wenn man dreiundreißig Jahre nicht an dem Ort war, wo man geboren wurde und heranwuchs, und dann kehrt man zurück, da glaubt man ganz einfach daran, daß das jetzt eine andere Wirklichkeit ist. Ich engagiere mich nicht, ich sehe nur die Relativität dessen, was den Menschen, die immer an diesem Ort leben, absolut vorkommt, was ihnen emotional wertvoll und bedeutend erscheint. Und so habe ich im Moment das Gefühl: "It’s not necessary at all". Das heißt, es könnte alles auch ganz anders sein."